Print Friendly, PDF & Email

Helmuth Schönauer
Luft-Entnahme
Osttirol kämpft mit Fehlschüssen gegen den Wolf.
Stichpunkt

Nachrichten aus Osttirol sind immer goldig, wie man bei Kinderpartys sagt. Derzeit steht es unter Schock. Der Wolf hat nämlich das Märchenbuch verlassen und lauert jetzt am Gartenzaun, um Großmütter zu fressen.

Einerseits siegt in den Nachrichten immer die Schlauheit der Bewohner gegenüber dem Sachverhalt: Ob es sich nun um die Überlistung von Hochwasser durch den Bau eines Biberdammes handelt oder um das Verhindern eines Kraftwerks durch Ausstreuen von streng geschützten Tamarisken-Samen.

Andererseits steckt in den Nachrichten ein Stück kindlicher Auffassungsgabe, der wir Resttiroler nachtrauern, wenn wir unsere urtümlichen Mitbewohner am Werkeln sehen.

Die Jägerschaft will vollmundig den Wolf schießen, freilich nur, wenn die Behörde die entsprechenden Schießbefehle unterfertigt, in der Fachsprache Entnahme-Zertifikate. Die Bezirkshauptmannschaft unterschreibt im Dreitagesrhythmus, denn es ist Gefahr in Verzug, die Entnahmebewilligungen verfallen nämlich gleich wieder.

Bereits macht ein Interview des recherchefreudigen ORF-Happy Hippi mit einem Jäger die Runde. Es fördert zwei wichtige Äußerungen der Jägerschaft zutage:

1. Der Wolf ist schlauer als wir.
2. Eigentlich wollen wir nur gehört werden mit unserer Angst, wir wollen gar nicht schießen.

Tatsächlich wundern sich die Jäger, dass der Wolf inzwischen gelernt hat, dass von einem SUV im Wald Gefahr ausgeht. Der moderne Jäger sitzt nämlich nicht mehr, sondern fährt.

Der Wolf, schlaugrimmig wie im Märchen, meidet die Fahrzeuge, zumal er gelernt hat, dass da nie eine Großmutter drinnen sitzt. Vielleicht meinen das die Jäger mit dem Gehörtwerden. Sie wollen vom Wolf gehört werden und fahren deshalb einen  SUV.

Auch nach Wochen ist noch kein Wolf entnommen, weil die Jäger, mittlerweile zivilisiert und der Natur entrückt, einfach nicht zum Schießen kommen. Die Papiere der Behörde erweisen sich als Luft-Erlaubnisse. Die Naturschützer sind versöhnt, manche haben sogar Mitleid. In manchen Gemeinden werden Schieß-Prämien ausgelobt, Prägraten heißt in Insiderkreisen bereits Prämien-graten.

Die Geschichte vom Wolf und der Jagd-Guck-in-die-Luft ist noch lange nicht gefressen!

Wenn Ihnen schoepfblog gefällt, bitten wir Sie, sich wöchentlich den schoepfblog-newsletter zukommen zu lassen, und Freundinnen und Freunde mit dem Hinweis auf einen Artikel Ihres Interesses zu animieren, es ebenso zu tun.


Weitere Möglichkeiten schoepfblog zu unterstützen finden Sie über diesen Link: schoepfblog unterstützen

Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

Schreibe einen Kommentar