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Helmuth Schönauer
Innsbruck hat gewählt.
Gratulation!
Stichpunkt

1.
Kompliment! Ihr Innsbrucker habt den Streithanseln im Gemeinderat aber ordentlich den Garaus gemacht. Bravo! Im zweiten Durchgang habt ihr Innsbrucker auch den grünen Eigen-Karrieristen vom Bürgermeistersessel gehebelt. Habediehre! Wunderschön, wie ihr Innsbrucker mit den Parteibonzen aufgeräumt habt.

2.
Die Gemeinderatswahl in Innsbruck bringt hinterher auch Nichtwahlberechtigte ins Kommentieren. Immerhin schauen ehemalige Studierende, Kongressende und Flanierende gerne ein Leben lang auf Innsbruck, wenn sie in dieser Stadt Angenehmes erfahren haben.

Eine Wahl bringt nicht nur im Vorlauf allerhand Argumente und Sympathien ins Rollen, auch nach der Wahl ist es erstaunlich, wie viele Menschen aus der Ferne ihren Hinterbliebenen in der Stadt die Referenz erweisen und Glückwünsche senden, wenn diese klug gewählt haben.

3.
Nach der Wahl habe ich ungefähr fünfzig Rückmeldungen und Kommentare erhalten. Diese stammen kraft meiner Vergangenheit natürlich meist aus einem universitären, literarischen oder bibliothekarischen Freundschafts-Biotop.

Die Stadtpolitik wird aus der Entfernung eher sonnig wahrgenommen: Innsbruck hinterlässt bei seinen Besuchern und Studenten durchgehend einen optimistischen Eindruck. Als Einheimischer, im engen Wohnstrudel eingewickelt, ist man erstaunt, wie locker eigentlich die Nicht-Innsbrucker diese Stadt sehen.

Ein Schlüsselwort dabei ist sonnig. Mag sein, dass der Kampf ums Sonnendeck einen semantischen Nachklang gebracht hat. Kann sein, dass man beim frisch gewählten Bürgermeister an sonnige Augenblicke zurückdenkt, als man auf der Sonnenterrasse der Alm von ihm bewirtet worden ist. Vermutlich hat auch die Werbung mit den Sonnenstunden, welche die Stadt seit der Jahrtausendwende betreibt, eine entsprechende Langzeitwirkung im Gemüt hinterlassen.

4.
In diesem Sonnenlicht ist es auch zu sehen, dass die Wahlzentrale für die Bürgermeisterstichwahl nach skandinavischem Vorbild in der Stadtbibliothek, die als diskreter Ort für politische Diskussionen gilt, aufgeschlagen wurde.

Eine Bibliothekarin aus Bayern gratuliert zur Wahl und streicht drei literarische Aktionen heraus, die für sie Innsbruck einmalig machen.
– Die Stadtbibliothek ist ein Ort der Diskussion.
– Die Aktion Innsbruck liest erreicht mindestens 10.000 Menschen, die ein Buch in die Hand nehmen. (Heuer Caroline Wahl, 22 Bahnen. Roman. Besprechung morgen im schoepfblog)
– Im Jahr finden 300 literarische Veranstaltungen statt, bei denen Autoren von auswärts auftreten. Wenn diese zurückreisen, verbreiten sie an ihren 300 Heimatorten einen guten Eindruck von Innsbruck.


Für den Einheimischen ergibt sich die sonnig-trockene Wahlanalyse:

1. Von den ehemals zerstrittenen 40 Mandatarinnen sind 24 ausgeschieden.
2. Die namentlich auffälligen Rabauken sind nicht mehr gewählt worden.
3. Der Kontakt zu den oft brachial auftretenden Blauen kann vernünftig aufrechterhalten werden. Immerhin gibt es in Innsbruck an die 400 Rechtsanwälte, von denen der eine oder der andere mit den Blauen liebäugelt. Eine ganze Berufsgruppe zu verstoßen, wäre unklug.
4. Der Kandidatur von schnell eingeflogenen Parteifunktionären wurde eine Absage erteilt.
5. Dem Ich-bezogenen Bürgermeister, der durch aggressives Zuhören punkten wollte, wurden seine Grenzen gezeigt. Er darf sich als Vize etwas zurücknehmen. Das einzige, was von ihm als Bürgermeister bleiben wird, ist sein Porträt als Eindruck der Gratis-Bücher Innsbruck liest.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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