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Helmuth Schönauer
General-Tour
Als Verfasser eines Generalromans über Nordbulgarien
Erinnerungen

Als Sehnsuchtsort österreichischer Kommunisten gilt in den frühen 1970er Jahren die bulgarische Schwarzmeerstadt Varna. Für die soeben politisch geschlechtsreif gewordenen „Kummerln“ gibt es jedes zweite Jahr einen politischen Badeurlaub. Wer es mit sorgfältiger Agitation als Volksredner zu einer bestimmten Bekanntheit bringt, darf sogar von Ost-Berlin aus mit der Tupolev fliegen.

Für Menschen, die um diese Zeit mit dem Bus rund ums Mittelmeer touren, liegt Varna hinter sieben türkischen Hügeln. Man zeigt von Izmir aus vage nach Norden und bedauert die Polit-Badenen, dass sie eine so schlechte Sonnencreme haben.

Als Bibliothekar muss ich später bis in die 1990er hinein arbeiten und warten, bis es einen Bücherei-Kongress in Varna gibt, damit ich den hochgespielten Relax-Ort aufsuchen kann.

Na ja, es ist glücklicherweise Februar, sodass man nicht ins Wasser muss. Auf der Winter-Promenade 1999 sieht man um diese Zeit vor allem Ausscheidungen, weil der Pegelstand sich zurückgezogen hat. Und die Ausscheidungen aus den Dächern stehen jenen im Wasser um nichts nach, es riecht nach frisch geschöpfter Braunkohle.

Zwei Tage dauern üblicherweise die Referats-Orgien, wenn Bibliothekare zusammensitzen, davon geht einer fürs Übersetzen drauf. Und am dritten Tag gilt es dann, Bibliotheken zu besuchen nach freier Wahl.

Ich darf mit einem privat finanzierten Taximann ins nahe Hinterland abhauen, gut dreißig Kilometer im Landesinnern liegen die beiden Orte „General Toschewo“ und „General Kolewo“.

Da ich gerade meinen Roman „Der Notstand des Generals Eyer“ in Klagenfurt habe erscheinen lassen, empfinde ich meine General-Tour als Werbefahrt durchs nordöstliche Grenzland Bulgariens.

Ich habe jeweils Geschenkexemplare mit, die nur bedingt gut ankommen, weil im Bulgarischen die Kyrillische Schrift vorherrscht. Nur die Wenigsten können entziffern, dass in meinem Buch der gleiche General steckt wie in ihren Ortsnamen.

Mein Bibliothekskollege in Dobrich ist eigentlich Gagause, wir haben uns vor Jahren auf der Innsbrucker Germanistik kennengelernt, als wir die Grammatik sprachlicher Randgebiete des Deutschen streiften.

Er ist immer noch sauer, dass man ihn auch im Westen als Randerscheinung bezeichnet, dabei hat er unter Todor Schiwkow ohnehin ständig mit der Einheitspartei und der bulgarischen Einheitssprache zu kämpfen.

Aus dem Bibliotheksbesuch wird wie in unserem Beruf üblich, eine lebenslange Freundschaft. Freilich stirbt er noch vor dem Eintritt Bulgariens in die EU. Für mich soll er der einzige Gagause bleiben, der meinen General-Roman zu Gesicht bekommen und gewürdigt hat.

Sein Witz zu Lebzeiten ist der Landschaft angepasst, Landart pur, heiß, trocken: „Wir sind die kommende Serengeti und wir Gagausen sind die Wölfe!“ Besonders unterhält ihn, dass ich den früheren Namen von Dobrich witzig finde, sie hieß nämlich Tolbuchin nach dem sowjetischen Marschall, der sie einkassiert hatte.

Ich glühe auch vor Witz, als ich ihm erkläre, dass das so ähnlich ist, wie wenn man bei uns das Land nach Schipionieren benennen würde. Also wenn wir Pepi (nach Stiegler) zu Lienz sagen müssten, St. Schranz zum Arlberg, Benni-Pitz zu Wenns und Heinrich zum Stubai, wo sich der Gletschergott seinerzeit Erde, Luft und Klima unter den Nagel gerissen hat.

Zu einem Treffen dieser Marschall-Orte des Schifahrens ist es leider nie gekommen. Dafür bin ich mit einer Original-Ludmilla mit zwei Waggons ein Stück auf der kaputten Strecke rund um Dobrich gefahren.

Der Taxler musste im Schritttempo neben Ludmilla herfahren, während wir schon im Februar spüren konnten, dass die Serengeti im Aufblühen ist. Der Ort General Kolewo hat 131 Einwohner, ich habe mir die Zahl gemerkt, weil ich die Eselsbrücke mit der „Polizei minus zwei“ zur Nummer machte. Ivan Kolewo war ein angesehener Kavallerieleutnant und starb 1917 in Wien, jetzt wohnen noch immer zwei Dörfer unter dem Dach seines Namens in der Dobruschka.

General Toschewo ist ein etwas größerer Ort, das Verwaltungszentrum hat knapp 16.000 Einwohner und beherbergt allerhand Kleindörfer, unter anderem die Bahnhofsanlage zum Umspannen der Ludmilla für die Retourfahrt.

Früher einmal ging es hinüber nach Rumänien nach Negu Voda, aber als ich im Grenzgebiet bin, sind die Länder sehr streng miteinander und voneinander abgeschottet. Sie ahnen nicht, dass sie einmal in der EU sein werden.

General Stefan Toschev erlebte seine biographische Blüte im Ersten Weltkrieg. Das Benennen bulgarischer Siedlungen nach Weltkriegsveteranen konnte manchmal verhindern, dass sowjetische Generäle die Namen spendeten. Patriotismus kann also auch bedeuten, dass man den Platz auf der Ortstafel einnimmt, bis ein wirklicher Held auftaucht.

Die sogenannte Generals-Tour war einer der Höhepunkte, die man als Bibliothekar fast täglich erlebt. Für meine Karriere als Autor war sie nicht entscheidend, vom „General Eyer“ wurden in Bulgarien fünf Exemplare verschenkt, von drei weiß ich nachweislich, dass die Beschenkten schon verstorben sind.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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