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Helmuth Schönauer
Beiblatt für Dreijährige, die keinen Kitaplatz kriegen.
Stichpunkt

Ist das Kinderkriegen (Reproduktion) etwas Öffentliches oder Privates? – Wenn man aus Lebensüberdruss oder Langeweile heraus eine Diskussion zur Explosion bringen will, braucht man nur diese Frage zu stellen.

1. „Vorinformation“

In Tirol versucht man beispielsweise, ein Recht auf Kinderbetreuung zu installieren. Manche Gemeinden sind dabei überfordert und kontern: Wenn sich die Eltern schon den Luxus von Kindern leisten wollen, dann müssen sie diese eben auch finanzieren. Wir haben jedenfalls kein Geld.

Und ein anderes Argument in den Gemeinden sagt: Wenn wir jetzt Betreuungsplätze schaffen, schicken sie uns aus der Stadt einfach Migrationskinder ohne Ende, und wir sind wiederum überfordert.

In Deutschland wird gerade sommerhitzig diskutiert, wie man eine Existenzsicherung für Kinder auf die Beine stellen soll. Im Raum steht die Zahl 800,- Euro, die jedes Kind als Mindestsicherung anstatt auf das Konto der Eltern auf ein eigenes Kinder-Konto überwiesen bekommen soll.

Bei meinem letzten Besuch in Franken hat mich eine aufgebrachte Pädagoginnen-Runde im Rahmen einer Info-Runde der Gewerkschaft mit dem Frust der entsprechenden Fachkräftinnen vertraut gemacht. Als Belohnung fürs Zuhören und als Info für uns Tiroler haben sie mir den Entwurf eines Beiblattes mitgegeben, in dem sie ihren Frust herauslassen.

Manches davon könnten auch wir uns durch den Kopf gehen lassen, wenn uns das Thema an denselben geworfen wird.


2. „Beiblatt (Entwurf)“

Liebes Kind!

Du hast von Gesetzes wegen einen Anspruch, dass sich Tag und Nacht Menschen aufopfern, ihre Karriere wegschmeißen, in Therapie gehen und den Suizid bekämpfen, nur um dir zu dienen. Leider sind wir jetzt so viele Erwachsene, die schwächeln, dass wir unseren Dienst an dir einschränken müssen.

Wir können dir den Kitaplatz, auf den du Anspruch hast, nicht geben, weil wir zu wenige sind, die diesen Beruf des Kinder-Dienens ausüben. Wir kümmern uns freilich darum, dass du gutes W-Lan im Zimmer hast, das wir für dich freimachen werden.

Wir werden die Eltern per Bescheid im Vorraum ihre Couch aufstellen lassen, damit du ungestört im einzigen Zimmer der Wohnung deine Kindheit ausleben kannst. Wie du schon mit deinen Reflexen gezeigt hast, kannst du hervorragend mit dem Smarty umgehen, das seine Apps für Dreijährige ausgerichtet hat. Insbesondere TikTok empfehlen wir, die machen nämlich das gleiche Programm digital, das du sonst bei uns in der Kita analog hättest absitzen müssen.

Wir von der Stammbelegschaft hier haben alle einen Bachelor und wissen, wovon wir reden. Manche betreuen ihre Gruppe bereits aus dem Homeoffice heraus, was beiden Seiten viel Ungemach erspart. Generell bitten wir dich, deine Kindheit möglichst zu straffen und schnell aus ihr hinauszuschlüpfen. Kindheit nämlich ist tote Zeit, die einem höchstens beim Sterben angerechnet wird.

Du bist der Nabel der Welt, um dich dreht sich alles, auch wenn manche bei diesem Karussell nicht mitspielen. Du kriegst demnächst eine Existenzsicherung überwiesen, auch wenn wir noch nicht wissen, wie wir es finanzieren.

Du bist eine Waffe im Sozialsystem. Deine Eltern haben dich als Habenichtse gezeugt, damit du später gegen das System kämpfst. Deine Aufgabe ist es, inzwischen möglichst viel Personal zu binden, damit der Staat rasch zugrunde geht.

Schau, dass du die Kindheit schnell abschließen kannst. Mit etwas Geduld hast du als fünfjähriges Individuum bereits das Niveau der Erwachsenenwelt erreicht. Jede Kindheit ist nämlich trostlos, weil sie die Intelligenz unterfordert. Und außerdem ist der Konsum von wertlosen Dingen für Kinder immer noch zu sehr eingeschränkt.

Achte vor allem bei Kinder-Deos darauf, dass kein Aluminium drin ist. Dieses zerstört nämlich die Sensorik in den Fingerkuppen und behindert dich am Display beim Abarbeiten des Lebens.

Überprüfe deinen Körper, vielleicht bist du im falschen drin. Lass dich sofort umoperieren in jenes Geschlecht, das dich glücklich macht. Achtung: Du hast Anspruch auf Sozialversicherung und Gratisoperation an jeder Klinik deiner Wahl. Klage ein, was man dir verwehrt!

Überhaupt gilt: Du bist strafunmündig, du kannst alles zerstören, was du siehst. Mach die Welt kaputt, wenn sie dich nicht achtet. Vielleicht kannst du als Übung jene Kita zerstören, die dich nicht aufgenommen hat. Wir Kinderbachelors von der Behörde wären dir sehr dankbar dafür, weil wir dann ein paar Tage frei hätten.

Auch wenn dir dieses Beiblatt die Eltern vorlesen wollen, hör ihnen nicht zu. Lade den Text besser auf das Handy und halte dieses an den Unterarm, damit du es lesen kannst. Seit der letzten Impfung nämlich, musst du wissen, hast du einen Chip im Unterarm, dessen KI alle Texte lesen kann, die ebenfalls mit einer KI verfertigt worden sind. 

Lesen ist also nicht mehr anstrengend und geht von selbst in dein veganes Fleisch und digitales Blut über.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. c. h. huber

    na, das ist wirklich ein grandios satirischer kommentar zum zeitgeist!

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