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Helmuth Schönauer
Die Boni-Dekarbonisierung
Stichpunkt

1.
Die häufigsten Wörter bei der Umschreibung eines misslichen Zustands sind mittlerweile Boni und Dekarbonisierung.

Seit man bei der Bedeutung der Wörter nur mehr auf das richtige Geschlecht schaut, ist der Inhalt ziemlich egal geworden. Es gibt daher nicht wenige, die Boni für einen Teil der Dekarbonisierung halten und das Wort mit Bindestrichen schreiben: Dekar-Boni-sierung. Und wenn man dazu den allgemeinen Wortgebrauch Kohle für Geld betrachtet, hat der Volksmund sogar wieder einmal nicht unrecht.

Im gebräuchlichen Sinn bedeuten Boni die Gutelen eines Vertrags: Etwas, das zusätzlich ausgezahlt wird. Dekarbonisierung wiederum bedeutet, Niederfahren und Ausstieg aus Kohle und anderen fossilen Stoffen.

2.
Während man sich bei Kohle oft etwas Handfestes vorstellt, indem der ehemalige Kohlehändler etwa Sonnenblumenkerne statt Briketts für die Heizung anliefert, umgeben die Boni rätselhafte Gerüchte, die wie russische Puppen ineinander gesteckt sind.

Ab und zu zerbricht eine solche verschachtelte Puppe und das wahre Wesen der Boni kommt ans Tageslicht.

So konnte während eines Streikes der Lokführer in Deutschland eine baffe Fahrgast-Community erfahren, dass der Vorstand der Deutschen Bahn Millionen an Boni einstreicht, weil er immer klug die ausverhandelten Ziele zum Jahresende erreicht.

Die Ziele des Vorstands sind nicht etwa Sauberkeit, Pünktlichkeit oder Verlässlichkeit im Bahnbetrieb. Ein Hauptziel besteht vielmehr darin, dass im Vorstand weibliche Mitglieder sitzen.

Dieses Ziel wurde durch Hinzufügen einer weiblichen Person erreicht, und schon flossen die Boni-Zahlungen an den sonst männlichen Vorstand.

Die ÖBB arbeiten mit einem ähnlichen Boni-Modell. Hier wird freilich die Dichte des Fahrplans belohnt, was sich aber leicht umgehen lässt. Wie immer erscheint im Dezember ein neuer Fahrplan mit zusätzlichen Zugverbindungen.

Diese führen unweigerlich dazu, dass der Vorstand am Jahresende Boni kriegt.
Im Jänner werden diese Zugverbindungen mangels Garnituren und Personal wieder gestrichen, ehe sie im nächsten Dezember wieder auftauchen und am Boni-Hof zur Auszahlung gelangen.

In kleinerem Maßstab arbeiten die Innsbrucker Verkehrsbetriebe. Sobald der Vorstand gebont ist, wird der Fahrplan wieder ausgedünnt und zurückgefahren, Jahr für Jahr das gleiche Spiel. Als Spezialität für boni-reife Ausdünnung werden Doppelgarnituren bei doppeltem Intervall eingesetzt. Die angebotenen Plätze stimmen zwar, aber pro Stunde fährt die Tram eben nur mehr halb so oft. – Das Ziel ist erreicht.

In diesem Licht ist auch die Strompreispolitik der TIWAG zu sehen. Zuerst wird der Strompreis erhöht, der Vorstand casht ab, weil er seine Ziele übererfüllt hat, dann klagt die AK, weil sie ja Reputation für ihre Sinnhaftigkeit braucht, und schließlich bereinigt das Gericht den Spuk und alle sind erfolgreich und zufrieden. Strompreis zurückgefahren, Boni ausbezahlt, Arbeiterkammerwahl durchgeführt – alles bestens!

3.
Dieses faszinierende Modell begleitet uns auf Schritt und Tritt. Warum haben plötzlich alle einen Franken-Kredit, um diesen später in einen variablen Zins umzuwandeln, ehe der Kreditnehmer dann in den empfohlenen Privatkonkurs gehen darf? – Weil alle Beratungseinrichtungen auf Boni-Basis arbeiten.

Das waren noch Zeiten, als die kleinen Helferlein in der Arbeitswelt ebenfalls Boni kassierten, damals hat man es Zulage genannt. Wer kennt sie nicht aus den Erzählungen der Altvorderen: Schmutzzulage, Begrüßungsgeld, Sitzvergütung, Schusswesten-Abgeltung und Gefahrenzulage für Parteienverkehr!

Und auch das Heiligtum der Österreichernden geht letztlich auf Boni zurück.
In der schönen, mageren Nachkriegswelt gab es plötzlich Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Seither machen diese sogenannten 13ten und 14ten Gehälter den Sinn des Lebens aus.

Wer an Boni rührt, gerät leicht ins Verderben. Als die damalige Liberale Heide Schmidt es wagte, von einem Jahreseinkommen zu sprechen, statt von vierzehn Gehältern, war sie gleich weg von allen Fenstern, ehe sie dann als Nationalratspräsidentin doch noch ihr Ausgedinge absitzen durfte.

Merke! An Boni rührt man nicht, man vergreift sich am besten selber daran!

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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