Helmuth Schönauer
Gedankenüberschuss
Stichpunkt

Wenn du die Wahl hast, einen Abend mit einem Philosophen oder einem Wirtschaftstreibenden zu überbrücken, nimm den Wirtschaftler! Dieser kann nämlich nicht nur was denken, sondern das Denken auch anwenden.

Zum Beispiel mit der grandiosen Erkenntnis, dass es zum Florieren der Wirtschaft Kluge und Dumme braucht. Die Klugen rechnen aus, was es für ein Geschäft so alles braucht, und die Dummen greifen sich kurz an den Bauch und kaufen oder buchen was.

– Es ist wie bei euch Dichtern, da braucht es auch Kluge, die das Buch schreiben, und Dumme, die es kaufen!

– Aber wie wird man schlau für die Wirtschaft?

– Ganz sicher nicht, indem du auf die Uni gehst, dort lernst du außer gendern so gut wie nichts, weil keine Wirtschaft im Spiel ist. Die Studierenden sind durch die Bank Erbende, die sich die Zeit bis zum Erbantritt mit leichten Bachelor-Übungen vertreiben, und die Lehrenden müssen nicht einmal auf der Stechuhr ihre Anwesenheit bestätigen, es genügt, wenn sie ein Türschild haben.

– Ja aber in der Wirtschaft genügt ja auch ein Patent oder eine Erbschaft, um einen Betrieb gut zu führen, da braucht es keine Anwesenheit?

– Doch doch, du musst mit der Steuererklärung anwesend sein, das heißt wirtschaften. Deshalb ist es auch so wichtig, dass du die Steuererklärung am richtigen Ort machst, du musst die Kohle diversifizieren. Auf keinen Fall darfst du an einem einzigen Ort alles angeben, was du machst.

– Und wann entscheidet sich im Leben, ob ich zu den Klugen zugeteilt werde oder zu den Dummen?

– Das geschieht in der Kindheit bei den Grundrechenarten. Die einen lernen rechnen mit dem Bierblock, die anderen mit der Mengenlehre. Also die Dummen schreiben Ziffern untereinander, ohne zu wissen, was unten herauskommen wird, die Klugen schneiden nach den Gesetzen der Mengenlehre Stücke aus der Torte und schauen, dass sie das größte bekommen.

– Aber eine Entscheidung in der Kindheit, kann doch nicht das ganze Leben versauen?

– Tut es aber. Schau her! Die Bierblock-Rechner trinken meist ein bisschen was neben dem Rechnen, und werden somit leicht über den Tisch gezogen beim Zusammenzählen. Wenn sie später ihre Niederlage bemerken, sagen sie Milchmädchenrechnung zum Bierblock und werden ab jetzt so richtig gemobbt und niedergemacht. Der Ausdruck Milchmädchenrechnung ist nämlich sexistisch, pädophil und un-vegan, sodass sich große Teile der Gesellschaft von dir abwenden, wenn du das Rechnen nach dieser primitiven Art betreibst.

– Und bei der Mengenlehre werde ich erfolgreich und anerkannt?

– Ei freilich. Die Mengenlehre ist nichts anderes als ein Spiel rund um die Null. Du nimmst die beiden Begriffe Überschuss und Mangel und hast schon das beste Wirtschaftsmodell. Grob definiert bedeutet wirtschaften einen Mangel beheben, während denken bloß bedeutet, im Überschuss von Gedanken zu waten. Das ist der große Unterschied im Leben.

– Und alle Macht liegt bei der großen Null?

– Ja, nimm nur das eigene Sterbebett her, was immer du gemacht hast, es endet bei null.

– Das ist aber jetzt philosophisch gemeint.

– Durchaus nicht, schau dir nur ein Stück Text aus dem Wirtschaftsteil an, alles dreht sich um die Begriffe Mangel und Überschuss. Die Facharbeiter machen bei uns einen Mangel, weil sie nicht da sind, sondern in Indien einen Überschuss absitzen. Wirtschaften heißt jetzt, die Inder nach Tirol zu holen, bis der Mangel weg ist.

– Aber man könnte ja weniger produzieren, nächtigen oder krank sein, dann könnte man auch den Mangel beheben.

– Nein, das geht weder beim Denken noch beim Wirtschaften. Was einmal da ist, muss in der gleichen Richtung weitergehen, nämlich in die Zukunft. Denken und Wirtschaften gleichen in diesem Sinne den Viren, denen du ja auch nicht sagen kannst, sie sollen mit der Vermehrung aufhören.

– Das heißt, es gibt keine Lösung?

– Die Null kommt von alleine. Wenn sich etwas überlebt hat, kommt die Null gratis, da braucht man nichts dafür zu tun. Denk an deine Dichterkollegen, sie produzieren wie irre, aber niemand liest sie. Wir haben einen Gedichte-Überschuss und einen Leser-Mangel.

Aber das Ende ist schmerzlos, die Dichter werden sterben wie die Leser, und alle sind bei null.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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