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Helmuth Schönauer bespricht:
Regina Hilber
Super Songs Delight
Mit einem Nachwort von Konstantin Kaiser

Bist du ein Verschließungs- oder ein Erschließungsgedicht? – Gedichte vertragen es durchaus, wenn man sie in einem witzigen Ton etwas fragt, ähnlich wie man sich bei Kindern nach dem Lieblingsspielzeug erkundigt.

Regina Hilbers Gedichte sind natürlich beides: verschlossen und erschlossen. Sie haben einen Zug zur hermetischen Lyrik, indem sie etwa exklusive poetische Gegenden aufsuchen, deren geographische Verortung man erst recherchieren muss, oder mit Begriffen hantieren, die selbst im Altgriechischen nur selten vorgekommen sind.

Andererseits sind ihre Gedichte meist die poetischen Logbücher zu Reisen, Projekten, Stipendien oder Poetiken von in Archiven verschollenen Kolleginnen. Ihre Gedichtbände sind immer Meta-Erfahrungen zu Projekten, selbst in Lockdown-Zeiten ist es für sie undenkbar, in Rituale eingesperrt auf das Papier zu starren und zu dichten, wie man früher gesagt hat.

Das aktuelle lyrische Protokoll könnte man als mitreißende Songs übersetzen, super songs delight lassen vor allem eines nicht zu, dass alles geklärt ist. Denn die jeweiligen Gedichte sind oft nur eine kleine Bergkette, welche die Wolkendecke der lyrischen Grundierung durchstößt, die Spitzen eines Lärm-Pegels, die Ausraster einer auf Abkühlung programmierten Emotion.

Bildlich gesprochen ist dieses fette Weiße, das sich über die Texte gelegt hat, eine Spätfolge einer Pandemie, in der nicht nur Menschen, sondern auch Texte voneinander isoliert sind.

In neun Versuchen geht es darum, diese wattierte, stumme, weggesperrte Textur wieder in Bewegung zu bringen. Die Texte ächzen, während sie auf der Buchseite allmählich zu schimmern beginnen, es gibt viele Lücken zwischen den Wort-Riffs, das lesende Auge versucht erst einmal eine Leitung zu legen und Spannung anlaufen zu lassen, ehe sich dann doch immer mehr erschließt, was auf ein vage geplantes Gedicht hindeutet.

Am Beispiel der ersten Sequenz lässt sich dieses Verfahren beschreiben, der Text sprengt das Phantasie-Monstrum Menschenvögel / Vögelvögel auf und ist zudem eine Erinnerung an Rolf Bossert.

Rolf Bossert, muss man wissen, ist mittlerweile längst im Archiv gelandet und wird zu bestimmten Anlässen daraus hervorgeholt, wenn es etwa gilt, die rumänisch-deutsche Freundschaft zu evozieren, eine Reise ins Banat vorzubereiten oder eine literarische Aktion in der wundersamen Stadt Reschitz in Rumänien zu organisieren, worin der Autor bis zu seiner Abwanderung aus dem kommunistischen System als Mitglied des Banater Kreises gewirkt hat.

Das Zitieren solcher Schlüsselfiguren ist ein wesentliches Element in der Lyrik von Regina Hilber. Dadurch zollt sie nicht nur poetischen Haudegen Respekt und legt Updates zu vergessenen Gedichten, der Lebens- und Werkfundus der zitierten Personen ist letztlich das Fundament für die eigenen Texte.

Die Umschreibung als Menschenvögel / Vögelvögel baut das Diktum bis an die Groteske aus, wonach in jedem Gedichtband mindestens ein Vogel vorkommen muss. (Je mehr die Vögel aussterben, umso heftiger nisten sie in Gedichten!)

Allein dieses Anreißen von Namen, Begriffen und Poetologien eröffnet ein weites Feld für Storys, die ihrerseits nur als Schlüsselbegriffe einrücken. Manchmal wird diese Lyrik zu einer Art Konzept-Art, indem nur vage Spielregeln vorgegeben sind, der Zwischenraum aber den Lesenden überschrieben ist.

„schrieb eine Spur sich Angehäuftes / zur Erde hin machte kleine Buckelchen / Banatchen Häufchen / bespuckt betratscht bauschten sich / Vögelchen Glocke und / Engelchen Schön wie es sich gleicht / vergleicht das Äu mit dem Ei // glaubte ich dich gegangen / ja, ich glaubte dich gegangen hielt mich / fest an Elsas rotgefärbtem Kopf“ (11)

Das Gedicht ist stets vollendet und unvollendet, je nach Maßgabe der Lesenden; wenn fertig ist für heute, ist für heute fertig.

Wenn man die Titel der Bossertschen Lyrik einspielt, wird die Sequenz von den Vögelvögeln zusätzlich aufgerollt: Befristete Landschaft / Ich steh auf den Treppen des Winds / Um den Preis einer Vorsilbe.

In ähnlicher Weise lassen sich die übrigen Sequenzen lesen, wobei die Erinnerung an den lyrischen Brückenbauer Hart Crane (Suizid 1932, Leiche nie gefunden) noch am leichtesten herzustellen ist.

Zwischendurch wird das Layout ausgereizt im Sinne der konkreten Poesie, ein Sandgedicht (64) ist mit „x“ auf das Papier gestickt, wie Heimatbegriffe auf alten Wandstickereien im ländlichen Raum.

An anderer Stelle verklumpt der Text zu einem Stück Blockeisen, das schon glüht, aber noch nicht behauen ist. Fall apart heißt es, eine Anspielung auf das Fallen von Valentin. Angesprochen werden dabei Paul Jandl und Gertrude Stein, man ist also wieder ziemlich beschäftigt, den entsprechenden Hintergrund aufzugoogeln.

Die Sequenzen „spielen“ im US-Mythos Fargo genauso wie in der Ennsstadt Steyr, wo jemand einfach die ON-Taste drückt, und schon schwärmt die Literatur als Stadtschreiberin über den Platz.

Konstantin Kaiser, der Meister für Cold Case in der Exilliteratur, stellt in seinem Nachwort einige Informationen zu den ausgewanderten, vertriebenen oder abgetauchten Autorinnen des Exils zur Verfügung.

Verschlossen oder erschlossen? – Nach der Lektüre bleibt das Rätsel um diese Super Songs Delight, die seltsamerweise als Bruchstücke ins Ohr gehen. In einem fiktiven Interview auf einem Narrenschiff kommt der Wind als Schwester Bora daher und sagt: „Marsch jetzt / ohne Pause / und ich folge“ (37)

Regina Hilber: Super Songs Delight. Mit einem Nachwort von Konstantin Kaiser.
Wien: edition fabrik.transit 2022. 114 Seiten. EUR 18,-. ISBN 978-3-903267-32-9.
Regina Hilber, geb. 1970 in Hausleiten, lebte lange Zeit in Tirol, jetzt in Wien.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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