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Helmuth Schönauer
AU-to AU-to
Stichpunkt

Vom guten alten Karl May, dem man gerade wieder einmal seine Figuren zerlegt und in die Wüste der Uncorrectness schickt, stammt eine geradezu sensationelle Information zur Sprachkompetenz.

Wenn man nämlich, so seine Theorie, bei einem mehrsprachigen Menschen die sogenannte Muttersprache herausfinden will, muss man ihm nur auf die Zehen treten oder ihn sonstwie foltern, dann schreit er seinen Fluch in der Muttersprache heraus.

Wenn Deutsch die Muttersprache ist, dann schreit er: AU-to AU-to!

Dieser Aufschrei hängt zum einen damit zusammen, dass Deutschsprechende von klein auf mit dem Gendern vertraut sind. Und das primitivste Gendern wird dadurch abgewickelt, dass man die Begriffe vorn verschluckt und hinten verdoppelt. Man denke nur an die sozialdemokratische Beschwörungsformel „Nossinnen“ und „Nossen“, die seit dem Staatsvertrag jeden Sonntag in Umlauf ist.

Und der zweite Grund, in ungewöhnlichen Lagen freiwillig oder gefoltert, AU-to AU-to zu schreien, ist darin begründet, dass das Auto in unserem Kulturkreis das Synonym für Gott ist.

Als Beleg für den Kult mag die Überlegung dienen, dass Auseinandersetzungen rund ums Auto nicht nur nach Gesetzen verhandelt werden, die den Besitz zum Inhalt haben, sondern auch Paragraphen der Herabwürdigung, Beleidigung, ja geradezu der Religionsstörung ins Spiel kommen.

Seit einem halben Jahr sind übrigens auf unseren Straßen Vertreter der Letzten Generation unterwegs. Sie kleben sich an Kreuzungen und Rampen auf die Fahrbahn und bringen den Verkehr zum Stillstand. Mittlerweile müssen sie von der Polizei nicht nur freigerubbelt, sondern auch vom aufgebrachten Auto-Mob geschützt werden, der dabei knapp an der Grenze zur Lynchjustiz entlang spaziert.

Jetzt sind in Deutschland die ersten Urteile in erster Instanz ergangen. Kränkung des Autokultes durch Festkleben an der Fahrbahn ist offensichtlich ein neuer Tatbestand, der in der erstmaligen Anwendung viel Zeit und viele Paragraphen verschlingen wird.

In den ersten Urteilen steckt etwa diese Botschaft drin: Das Anliegen der Letzten Generation ist zwar berechtigt, allerdings darf bei der Bekämpfung des Weltuntergangs nicht die Vorletzte Generation in der Ausübung ihrer Zerstörung gestört werden. Sechzig Stunden gemeinnützige Arbeit, heißt es dann für die Verurteilten.

Wenn die Vorletzte Generation durch die Letzte außerhalb des Auto-Kultes gestört wird, schaut die Sache anders aus. Immer wieder geben öffentliche Organe bis hin zu Sicherheitsexperten der Polizei den Besitzern von Fahrrädern den guten Rat, dieses mit zwei schweren Schlössern an Handläufe, Verkehrszeichen oder Gehsteig-Mobiliar anzubinden, damit  sie nicht gestohlen werden.

Wer auf diese Art gebrechliche Jahrgänge behindert oder zu Fall bringt, wird nicht nur nicht angezeigt, sondern sogar bei Mobilitätsschulungen als Referent eingeladen. Hier kommt implizit der Ratschlag zur Wirkung, dass man die Alten quälen muss, wenn sie kein Einsehen haben mit der Vernichtung der Welt.

Dass man dabei auf die Schwächsten losgeht, nämlich auf Gebrechliche und Fußgänger, liegt in der Natur der Sache. Steckt doch in der Rettung der Natur immer ein Kern Nationalpark Serengeti, wo die Tiere sich klug in der Vermehrung in Schach halten, indem gebrechliche Jahrgänge aus dem Verkehr gezogen werden.

In diesem Lichte sind auch jene Startups der Letzten Generation zu sehen, die präpotenten Grundbesitzern E-Scooter in die Hauseinfahrten stellen, damit es sie wenigstens auf die Gosche haut, wenn sie schon nicht freiwillig den Abgang hinlegen.

Wie sehr wir immer noch eine Autokultur sind, zeigt der nächstbeste Feldversuch: Bring einen Alten zum Sturz, und er wird sich an die herausgehüpfte Hüfte fassen und AU-to AU-to schreien, egal wie seine Muttersprache früher einmal gewesen sein mag.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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