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Helmuth Schönauer bespricht
für Buch aus Tirol:
Konstantin Kaiser
Die Entfremdung ist ein Untermieter der Hoffnung
Lügengedichte und kleine Geschichten

Titel sagen mittlerweile weniger darüber aus, was in einem Buch drinsteht, als vielmehr, was der Leserschaft zugemutet wird.

Konstantin Kaiser fordert die Lesenden schon vor dem Aufschlagen des Buches heraus: Die Entfremdung ist ein Untermieter der Hoffnung. Die drei Hauptwörter kommen im Alltag zwar regelmäßig vor, in dieser Konstellation und gegenseitigen Hochachtung sind sie eine Spezialität des Autors, der scheinbar gewöhnliche Beobachtungen in jenes Licht setzt, das einen direkten Draht zum Hintersinn hat.

Die Hoffnung scheint das große Gebäude zu sein, in das wir uns einmieten, damit wir heimisch werden. Mittlerweile ist das Gendern schon so allgegenwärtig, dass eine höhere Absicht vermutet werden darf, wenn die Entfremdung mit dem Untermieter korrespondiert.

Der Untertitel macht es Menschen, die nicht auf Anhieb Zeit haben, sich mit dem Hintersinn von Texten zu beschäftigen, etwas leichter, sich eine Vorstellung davon zu machen, was sie erwartet: Lügengedichte und kleine Geschichten.

Aus dem Fundus eines lebenslänglichen Logbuchs sind einige Teile ausgewählt und in Gestalt von jeweils etwa zwanzig Lügengedichten und kleinen Geschichten transkribiert. Das Schreiben erweist sich dabei ähnlich einem Garten als Lebens- und Denkstil, die produzierten Texte sind Früchten zu vergleichen, die abreifen und zu Boden fallen; manche werden geerntet und in einem Buchkorb zum Leser getragen.

Die Lügengedichte zwinkern einerseits mit den Augen der Wahrheit, sie irren vielleicht oder machen gar auf Notlüge, vor allem aber wissen Lügengedichte, dass man gerade in der Poesie sich oft gewisser Kunstgriffe bedienen muss, die bei Übertreibung in Kitsch übergehen. Die aufrechte Poesie weiß, dass man sich selbst poetisch übertölpeln muss, sie ist weder für psychiatrische noch forensische Vorgänge geeignet.

So behandelt das erste Gedicht gleich Das Schöne (9) und geht seinen Spuren nach, da man das absolut Schöne ohnehin nicht finden kann. Aber die vorgestellten Spuren sind immens logisch und weitab jeglicher Lüge. Das Schöne nämlich hat das Gewicht von Elektrizität im Haus, sitzt als Blütenstaub im Pelz der Hummel, zeigt sich als Riss in der Rinde eines Baumes, verdunstet als Regenlache im Sonnenlicht, oder ist schlicht eine Falte in der Stirn, die eine Hand glattstreicht.

Mit diesem Gedicht zeigt sich die Arbeitsweise des Philosophen und archivarischen Gedanken-Arbeiters. Während der Beschäftigung mit Biographien, Texten und Bekanntschaften, die etwa in jener Theodor-Kramer-Gesellschaft anfallen, der der Autor schon ein Leben lang verbunden ist, entstehen aus den Nebenquellen, wie sie im Schönen aufgezeichnet sind, abermals Biographien, Texte und Begegnungen. Jetzt freilich aus den Texten der Vorfahren gespeist, die im Archiv zur Ruhe gekommen sind.

Um diese seltsame Zeit, die vergeblich nach einem Abschluss sucht, geht es. Die Uhr selbst neigt zu einer Lügenuhr und geht vielleicht ungenau (29), die Zeitpfütze hat es noch nicht geschafft, völlig zu verdunsten, und in der Heimat kannst du immer etwas liegen lassen und erhältst es zurück (10). Wenn es sich bei diesen Bildern um Trugbilder handelt, so sind sie jedenfalls schön, rein und zuversichtlich wie eine Haut, die sich alles merkt.

Die Lügengedichte reißen schließlich scheinbar verfestigte Vorurteile auf, indem sie ihren eigenen Aussagen wörtlich auf den Leim gehen. In einem Gedicht über Tätigkeiten macht plötzlich der Fuchs nicht mit und gilt seither als schlau. Die Heimat ist vielleicht doch eine Sparkasse, in der die Kindheit verzinst wird. Und Reiche haben es entgegen aller Unkenrufe nicht immer leicht.

Die Meldung Reichsein ist teuer (24) ist in eine seltsame Fabel verkleidet, ein böhmischer Graf genießt die Sorgenfreiheit, die mit dem Reichtum verbunden ist. Jahrelang grast eine Ziegenherde um sein Schloss und bewacht seinen Reichtum, aber eines Tages klopft die Ziegenhirtin ans Schlosstor, und jetzt wird es teuer für ihn.

Ein sogenanntes methodisches Thesengedicht schließlich kümmert sich schlicht um die Nase, die in jedem Gesicht/Gedicht sitzt. Anstatt Vorzüge und Schattenseiten eines Gesichts zu beschreiben, stellt das Gedicht nur fest, dass es die Nase ist, die alles teilt. Ihrer Einteilung hat sich alles unterzuordnen.

Die kleinen Geschichten im zweiten Teil sind mit dem Zusatz ein paar Stichworte versehen. Darin geht es um Personen, Plätze, Beobachtungen, Abschweifungen oder Thesen, wie sie einem beobachtenden Ich im Standby-Modus über den Weg laufen. Stets ist der Filter der Er-Position vorgeschaltet, ohne deshalb den intimen Zugang zum Thema zu verraten.

Geht mir nicht mehr aus dem Ohr (55) heißt es verkürzt, um das verräterische Ich zu verdecken. Aber die Erzähl-Methode vom ausgesperrten Ich führt im Nachgang zu einer besonders innigen Art der Dokumentation.

Am sachlich berührendsten unterwegs ist dabei der Text von einem Friedhofsbesuch am Innsbrucker Südwestfriedhof. (90) Mit den kalten Augen eines Erinnerungs-Investors werden Gräber, Lage und Inschriften in Augenschein genommen.

Beim Grab der Familie Kaiser bleibt die Inventur stehen. Die Vornamen und die Geburts- und Sterbedaten als Jahresangabe! – Mehr nicht.

Beim Friedhofsbesuch 1999 fehlt Maria noch, die aufzeichnende Person schwindelt sich in den damaligen Besuch in Echtzeit und fügt das Sterbejahr hinzu. Dabei wäre so viel zu sagen über Maria Kaiser, eine politisch engagierte Frau, die als Abgeordnete des Innsbrucker Gemeinderats der Stadt einen Funken von Weiblichkeit gegeben hat.

Die Logbücher von Konstantin Kaiser sollten nicht unbemerkt in irgendein Archiv rutschen, ohne dass die Zeitzeugen davon erfahren. Schon allein damit das Werk von Theodor Kramer mit der Nachwelt in Verbindung bleibt, wäre es notwendig, die Schriften des Konstantin Kaiser zu publizieren, der ja in seiner Denkweise selbst eine Art Theodor Kramer ist.

Konstantin Kaiser: Die Entfremdung ist ein Untermieter der Hoffnung. Lügengedichte und kleine Geschichten.
Wien: Theodor Kramer Gesellschaft 2022. 94 Seiten. EUR 18,-. ISBN 978-3-903522-07-7.
Konstantin Kaiser,
geb. 1947 in Innsbruck, öst. Schriftsteller und Literaturwissenschaftler, Sohn der sozialdemokratischen Innsbrucker Gemeinderätin Maria Kaiser, 1977 in Wien Mitbegründer des interdisziplinären Arbeitskreises Antifaschistische Literatur, Begegnung mit dem Werk des Lyrikers Theodor Kramer, 1983 Ausstellung Theodor Kramer 1897 – 1958 – Dichter im Exil (Dokumentationsarchiv des öst. Widerstandes), 2000 Lexikon der öst. Exilliteratur, lebt in Wien.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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