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Helmuth Schönauer bespricht:
Lydia Davis
Es ist, wie‘s ist
Stories


Eine einzige gelungene Short Story ist schon aufregend wie das Gesamtwerk einer Künstlerin, zeigt sie doch auf engstem Raum jeweils eine zentrale Thematik, eine solitäre Erzähltechnik und eine konnotierte Lebenserfahrung.

Lydia Davis erfüllt diese Kriterien in beinahe jeder ihrer Geschichten, und manchmal setzt sie dazu neue Maßstäbe, wie in der ersten Geschichte des Bandes „Es ist, wie’s ist“.

Unter dem mageren, weil vielsagenden Titel „Story“ setzt die Sammlung mit einem prägnanten Ereignis ein, das aus heiterem Himmel zu Unruhe und psychischer Entgleisung führt. Eine Erzählerin hat ein recht ungeklärtes Verhältnis zu ihrem Freund, manchmal springt sie eine Panikattacke an, wenn sie nicht genau weiß, was er gerade macht. Jetzt am Abend hat er nicht angerufen, er wird vielleicht mit einer Freundin zusammen sein. Er reagiert nicht auf Anrufe, die Erzählerin beginnt ihre Unruhe abzuarbeiten und aufzuschreiben. „Ich wechsele in die dritte Person und ins Präteritum!“ (5)

Aber auch der Trick mit der Versachlichung gelingt nicht. Wo die Niederschrift nicht hilft, muss ein Lokalaugenschein herhalten. Tatsächlich steht jetzt der Wagen der Freundin vor seinem Haus, als sie zur Inspektionsrunde aufbricht. Sie schaut durch angelaufene Fensterscheiben, alles ist anders als vor Stunden, als sie noch selbst als Geliebte drin gewesen ist.

Er kommt heraus und erklärt, dass alles anders ist, als es ausschaut. Das ist seine große Stärke, er kann fremdgehen und zur gleichen Zeit darüber reden. Die Erzählerin bricht ab.

„Story“ erweist sich als tragfähiges Konzept, mit dem sich der Wechsel von Schreiben und Nachschau-Halten, Einzigartigkeit und Duplizität, Einbildung und Fakt in einer Szene darstellen lässt.

Nicht minder erzählpragmatisch geht es in der Titelgeschichte zu. „Es ist, wie’s ist“ (22) zeigt sich als Seufzer oder Nullformeln, die einem auskommen, wenn eine Sache gelaufen ist. Diese Floskel ermöglicht es, Emotion loszuwerden, ohne kausal etwas erklären zu müssen. Mit der Redewendung werden Optimismus und Pessimismus gleichzeitig bedient, es könnte ja so oder so ausgelegt werden.

Im Kern trägt die Erzählung ein Tabu-Thema mit sich herum, sie stellt nämlich die simple Frage, wie teuer so ein Geschlechtsverkehr eigentlich ist, wenn er in eine Partnerschaft eingebunden werden soll. Ein Mann macht Kassasturz, zählt einen Urlaub mit der Partnerin zusammen und entdeckt, dass einmal „Abspritzen“ (er verwendet diesen Fachausdruck der Subkultur) ihn hundert Dollar kostet.

Während er herumrechnet, was man einsparen könnte, wird immer deutlicher, dass so ein Zusammenleben in Nähe sinnlos ist, weil ständig etwas gespielt werden muss, um die Langeweile zu überdecken. Selbst das zufriedene Zusammensitzen könnte von einem Hologramm besser aufgeführt werden.

Es läuft wie bei jedem Zusammentreffen von Mann und Frau auf den berühmten Schmerz-Punkt hinaus. Ihm muss man in die Augen schauen und sich dann trennen. „Dieser Schmerz ist hart und kalt, wie ein Stück Metall. Du siehst ihn dir bloß an und sagst: Also gut, ich nehm’ ihn. Gekauft. Es ist, wie’s ist. Weil – du weißt alles darüber, noch bevor du dich überhaupt auf sie einlässt.“ (31)

Dieses Aufeinandertreffen oberflächlich erotisierter Individuen zieht sich wie eine kalte Metallstange durch die Geschichten.

„Ein paar Dinge, die bei mir nicht in Ordnung sind“, „Therapie“, „Fünf Anzeichen von Verstörung“ lassen schon im Titel erwarten, dass sich das Wellness-Paket mit Sex und Liebe nicht ausgehen wird.

„Liebe ohne Risiko“ berichtet als Notiz, wie sich eine Frau in den Kinderarzt verliebt, weil während des Gefühlsaufschlags ein Untersuchungstisch mit dem Kind drauf dazwischensteht, sodass zwischen den beiden nichts passieren kann.

Neben der Versachlichung der Liebesströme ist das Protokollieren scheinbar aufregender Ereignisse das zweite Thema, das die Sammlung durchzieht.

Ein Amerikaner fährt für Sprachstudien nach Europa und erlebt einen Leitfaden für emotionslose Ereignisse. Alles, was ihm begegnet, ist versachlicht und oder ein Rollenspiel aus dem Tourismus. Der Held arbeitet seine Emotionen ab wie eine Sprechübung. Am Schluss wird der Leitfaden noch einmal zusammengefasst in ereignislose Sätze, ehe man den Helden wieder nach Amerika zurückschickt.

Ein paar der eingedampften Storys gehen schließlich völlig unverblümt in eine Fabel über. In der Begebenheit mit der Maus schafft es ein Ehepaar wieder einmal nicht, miteinander zurechtzukommen, da kommt ein Kätzchen ins Spiel, das alles retten soll. Aber die Katze ist ein pures Streichel-Fake und frisst keine Mäuse. Selbst als man welche fängt und ihr vorlegt, bleibt die Schmusekatze angewidert zwischen den Streicheleinheiten sitzen. Das Ehepaar verkauft das Haus und geht getrennte Wege. Die Hausmaus hat gesiegt, sie vermehrt sich ungeniert und führt alle Kuscheleien mit dem Kätzchen ad absurdum.

Die Verzwergung von Helden kann auch dazu führen, dass ein Schwager so klein wird, dass man ihn nicht sieht, wenn er das Haus betritt. Eine winzige Beziehung braucht auch einen winzigen Schwager, heißt es süffisant.

Lydia Davis lässt niemanden kalt, weil sie alle Beziehungslügen bloßstellt und die Restwärme von Illusionen aus den Helden treibt. Wenn einmal die Unbeholfenheit des wahrlich nackten Daseins ausgesprochen ist, lässt sich auch keine Story mehr daraufsetzen. Die Storys haben schließlich den Sinn, jegliche Ablenkung aus den Beziehungen zu entfernen, bis die Helden wortlos aneinander vorbeisitzen. Es ist nämlich wie es ist.

Lydia Davis: Es ist, wie‘s ist. Stories. A. d. Amerikan. von Klaus Hoffer. [Orig.: Break it down, NYC 1986.]
Graz: Droschl 2020. 176 Seiten. EUR 22,-. ISBN 978-3-99059-057-4.
Lydia Davis, geb. 1947 in Massachusetts, lebt in der Nähe von New York. Als Kind war sie ein Jahr lang bei den Ursulinen in Graz im Unterricht.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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