Print Friendly, PDF & Email

Helmuth Schönauer bespricht:
Christian Schacherreiter
Bruckner stirbt nicht.
Roman

Wer von einem Genie erzählen will, braucht selbst einen genialen Einfall. Über das Musikgenie Anton Bruckner zu schwadronieren, braucht folglich eine mitreißende Rahmenhandlung. Christian Schacherreiter löst diese generelle Aufgabenstellung an Künstlerbiographien souverän. 

Er führt in Gestalt eines umtriebigen Musikstudenten einen adorativen Musterbiographen ein, der dem Anton Bruckner zu Lebzeiten und vor allem in der Totenmaske die Noten von den Lippen liest. 

Durch diesen Kunstgriff können drei scheinbar unversöhnliche Strömungen als Ansporn genutzt werden.
a) Der Geniekult nach dem Motto: Bruckner ist tot, aber er stirbt nicht
b) Die Essayistik über die Musiktheorie Bruckners
c) Die Ironie zum Thema Provinz und Pathos

Der Erzähler und Vorantreiber des Romans ist ein gewisser Jakob Weinberger aus Waidhofen, der nach der Uraufführung von Bruckners Achter als Student so ergriffen ist, dass er beschließt, alles fahren zu lassen, um der einzige und wahre Biograph des Meisters zu werden. (Als zeitgenössischer Leser politischer Vorgänge, denkt man bei diesem Lebenslauf des Erzählers sofort an einen politischen Konzertmeister aus Waidhofen, der als Nationalratspräsident ein Goldenes Klavier im Parament aufstellen lässt, um seine provinzielle Herkunft zu vertuschen.)

Im Roman werden in der Folge zwei Stränge gegeneinander erzählt. Einmal kommt vom Tod ausgehend nach hinten in die Kindheit führend das Leben Anton Bruckners zum Vorschein: es ist sauber in vier Sätze gegliedert und hält sich an die Locations Wien, Linz, St. Florian, auf dem Lande. Darin sind die Epochen vom anerkannten Komponisten rückführend über Provinz-Größe, Organist bis hin zum Chorsänger angesprochen.

Zum anderen kommen die Leiden des Biographen zum Vorschein, der aus Waidhofen nicht recht loskommt, aber in Wien nicht heimisch wird. Für seine Dispute steht ihm der Freund Raimund zur Verfügung, ein aufgeklärter Kommilitone, der jene Passagen essayistisch übernehmen darf, die dem erzählenden Bürschlein aus Waidhofen letztlich nicht zugemutet werden können.

Darin geht es um die Stellung der Kirche zwischen Himmel und Erde, um einen permanenten restaurativen Eingriff in die Staatsgeschäfte, um eine unaufgeklärte Haltung gegenüber der Kunst, die höchstens als theologisches Beiwerk zu fungieren hat.

Aus den beiden Erzählsträngen ergeben sich auch zwei Schicksale. Anton Bruckner ringt ständig um Überleben und Anerkennung außerhalb der Provinz, dabei hält er sich politisch stets zurück wie im Falle des Linzer Bischofs, der anlässlich einer Novelle zum Ehegesetz vollends durchdreht und den Gottesstaat ausruft. Die Selbsteinschätzung Bruckners endet mit dem legendären Satz: ‘S ist eh nix g’scheg’n.

Privat zahlt der Komponist offensichtlich einen keuschen Preis, indem er sich wohl ein paar Mal zu Liebesgefühlen aufrafft, ehelos aber seine hormonellen Kräfte in die Notenschrift hineinlegt.

Der Erzähler Jakob Weinberger hingegen verschwendet seine Gefühle zuerst mit dem Anbeten seines Meisters und dem Zusammentragen von allerhand Notizen, er verlässt Waidhofen und lässt eine potentielle Verlobte so lange in der Provinz stehen, bis sie sich einen anderen sucht. Auch ihm zerstört das Musikwesen sozusagen eine bürgerliche Ehe. 

Einen weiteren Niederschlag erleidet er, als er feststellen muss, dass schon ein anderer bei Bruckner um die Biographen-Hand angehalten und alle Dokumente über ihn gesammelt hat.

Die beiden Stränge Musik und Rezeption sind mit Originalzitaten unterlegt, die jeweils einen lakonischen bis sarkastischen Ton hervorheben.

Große Theorien werden dabei durchaus schlicht zur Sprache gebracht, etwa dass Bruckner nur ein Stück geschrieben habe, das er in verschiedene Symphonien zerlegt hat. Oder dass seine Symphonien aufgebaut sind wie das Stift St. Florian, jedem Flügel und Gewölbe wird eine einzigartige Gestaltungsweise zuteil.

Die jeweilige Zeitgeschichte kommt einmal als belanglose Hintergrundgestaltung für Bruckner und ein andermal als hyperventilierende Studentenwelt des Weinberger zum Vorschein.

Christian Schacherreiter bringt genüsslich alle Fallstricke und Intrigen des Rezensionswesens zur Sprache. Als Musikjournalist weiß er gekonnt zwischen den Elementen Genie und Wahn zu spielen. Die wahre Ehrfurcht zeigt sich in der Fallhöhe, die der Betrachter dem angebeteten Subjekt eingesteht. Christian Schacherreiter blickt Anton Bruckner ziemlich direkt ins Gesicht!

Christian Schacherreiter: Bruckner stirbt nicht. Roman.
Salzburg: Otto Müller 2024. 316 Seiten. EUR 28,-. ISBN 978-3-7013-1315-0.
Christian Schacherreiter, geb. 1954 in Linz, lebt in Linz.

Wenn Ihnen schoepfblog gefällt, bitten wir Sie, sich wöchentlich den schoepfblog-newsletter zukommen zu lassen, und Freundinnen und Freunde mit dem Hinweis auf einen Artikel Ihres Interesses zu animieren, es ebenso zu tun.


Weitere Möglichkeiten schoepfblog zu unterstützen finden Sie über diesen Link: schoepfblog unterstützen

Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

Schreibe einen Kommentar