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Helmuth Schönauer
Mobilstandmobil
Stichpunkt

In Tirol dürfte es kaum einen geographischen Punkt geben, von dem aus man nicht mindestens drei Wohnmobile ausmachen kann.

Meist sind diese Ungetüme in Gärten hinter Hecken versteckt, aber ihre Satellitenschüsseln und Solarmodule glänzen auch dann noch, wenn das übrige Land sorgfältig mit einem fetten Überwurf aus Zivilisation abgedeckt ist.

Hinter jedem Wohnmobil stecken verrentnerte Besitzer, die sich mit der Abfertigung zur Pensionierung ein fahrbares Heim gekauft haben, um damit die Welt zu umrunden.

Dieser Traum geht bei den meisten auf die 1970er Jahre zurück, als man mit dem VW-Bus tatsächlich um das Mittelmeer herumgefahren ist.

Und wenn beispielsweise die Küste am Gaza-Streifen blockiert war, ist man halt eine Tankfüllung lang ins Landesinnere ausgewichen und hat dann wieder das Meer erreicht, in das man überall hineinbrunzen und hineinspringen konnte.

Vor dem Ölschock 1973 sind viele von uns über die Türkei nach Teheran hinüber nach Afghanistan gefahren, wo es schon damals das beste Kraut der Welt zu rauchen galt.

Und dann überwucherte die Arbeitswelt die Reiselust der VW-Busfahrenden, während die Träume nach der ganzen Welt immer heftiger wurden.

Ok, manches konnte man mit Fernflügen abdecken, aber Wegfliegen ist nie Wegfahren, wo man quasi immer Schritt für Schritt unterwegs ist, Gangschaltung für Gangschaltung.

Das Ende dieser Träume ist bekannt und steht jetzt in jedem zweiten Garten eines Solar-gekrönten Häuschens. Die Wohnmobile rotten vor sich hin, und fährt einer wirklich einmal an den Fuschlsee, zerfetzt es ihm garantiert die Reifen, weil sie sich längst auf den Stehmodus eingefahren haben.

Jahr für Jahr seit den Siebzigern ist die Wohnmobilwelt kleiner geworden. Wo man im vorigen Jahr noch hinfahren konnte, ist heute alles vermint wie in Bosnien, vertrocknet wie die Eukalyptus-Wälder Portugals oder eine grüne No-go-Aerea wie die Fjorde in Norwegen.

Das Wohnmobil wird hilflos als Reserve-Ständer für die Solaranlage genutzt, die man aufsucht, wenn das Stromnetz ausfällt, was selten passiert. – Aus dem Traummobil wird ein stationärer Kasten für das fiktionale Überleben.

Kurz vor Sommerbeginn blenden sie auch heuer schon wieder in den Medien die neuen Verbotszonen ein, worin man sich in den nächsten Monaten nicht mehr bewegen sollte.

Das Schwarze Meer ist ziemlich weg, die Krim sowieso, in der Türkei sollte man spätestens hinter Ankara den Retourgang einlegen, ein Abstecher nach Transnistrien ist nicht mehr zu empfehlen. (Literaturexperten sagen: wo der Karl-Markus Gauß einmal gewesen ist, kannst du heute nicht mehr hinfahren.)

Die Wohnmobilbesitzer fangen langsam zu grübeln an. Zuerst ist es nur ein psychisches Wummern, das sich über die Träume legt. Je mehr wir die Welt digital erfassen, umso weniger können wir uns analog darin bewegen.

Zum psychischen Unbehagen stellt sich allmählich leichtes Kränkeln und Schwächeln ein. Viele sind froh, dass der Körper Mucken macht, so haben sie wenigstens jemanden, mit dem sie sich beschäftigen können. Wer sich mit sich selbst beschäftigt, wird verlässlich belohnt, niemand ist so treu zu dir, wie du es dir selbst bist!

Spazierengehen in der Wohnanlage tut jeden Tag mehr weh. Überall stehen die eingemotteten Camping-Kisten herum und seufzen die Spaziergänger an, dass es schlimm ist, wenn man zum Stillstand verurteilt ist.

Einer wäscht seinen Traum pünktlich zum ersten Mai und fährt eine Runde ums Haus. Und schon fasst er eine Anzeige aus, weil die Gegend jetzt eine Spielstraße geworden ist und er darin nichts zu suchen hat.

Der Alpenverein hat in manchen seiner Hütten einen wundersamen Satz an die Holzwand genagelt: „Stirb mit deinen Erlebnissen und nicht mit deinen Träumen!“

Manche gehen daraufhin vor die Hütte und werfen sich in die Tiefe.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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