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Helmuth Schönauer bespricht:
Bernhard Strobel
Der gute Mann Leidegger
Roman

Für einen selbstverschuldet leidenden Mann bleibt nur mehr die Groteske, um das alles auszuhalten, was einst Henrik Ibsen auf den Punkt gebracht hat: Es traf sich so; da liegt der Hund begraben.

Bernhard Strobel setzt seinen Helden Leidegger allerhand Leiden aus, die meist auf eine jähzornige Hormonlage zurückzuführen sind, wie man in der heutigen Beziehungsforschung sagen würde. Dem guten Mann ist ein Verhältnis Marke Seitensprung passiert, und jetzt muss er vor allem für sich selbst die Welt neu erklären. Dabei wird die Beschreibung gut in gleicher Weise für moralisch erträglich, als auch bemitleidend aussichtslos verwendet.

Der Roman beginnt mit einer Krise im Seitensprungdreieck Geliebte – Held – Frau. Die Jugendliebe Kamilla betritt unangemeldet die Fotowerkstatt und bringt Leidegger aus dem verstohlenen Gleichgewicht, das er sich aufgebaut hat. Was wäre, wenn sie jemand sehen würde, die Tochter zum Beispiel, deren Schulweg  am Fotoladen vorbeiführt?

Der Roman wird macho-mäßig aus der Perspektive des leidenden Mannes gezeigt, aber das ist auch schon das einzig Toxische an ihm: dass er alles auf sich und seine versteckt gehaltene Welt von Beziehung, Ehe, planmäßigem Sex und Unauffälligkeit bezieht.

Diese unerwartete Begegnung an der Arbeitsstelle verwirrt den Planungsmeister der Beziehung dermaßen, dass er seine Werkstatthose auszuziehen vergisst und mit ihr nach Hause fährt, wo ihn Frau und Tochter in seltsamer Hose und völliger Verstörung erleben.

Die Ehe wird von allen unauffällig abgewickelt, nur nirgends anstreifen, heißt die Devise. Nach dem Bau des Hauses wäre eigentlich die Scheidung logisch gewesen, aber dann hätte der Hausbau keinen Sinn ergeben. So arbeiten alle ihr Programm herunter, Tochter und Frau spielen die Unwissenden und lassen den Vater und Ehemann in seinem Versteckspiel totlaufen.

Aus der Beschaulichkeit der Verhältnisse entwickelt sich ein Art Verfolgungswahn, indem der Held immer mehr von grüblerischen Gedanken zugeschüttet wird und allmählich eine schwere Last auf seinem Leben aufzuschütten beginnt.

Der Rasen wird regelmäßig betreten, um zwischen den Zehen den Hauch von Kindheit und Gras zu fühlen und festzustellen, dass er noch nicht reif ist für den nächsten Schnitt. Die Abende werden so routiniert angegangen, dass möglichst kein Sex zu Hause entsteht. Immerhin hat er sich lange eingeredet, dass Sex daheim nur zur Gefühlsverarmung führt.

Aber auch der Seitensprung-Sex hält schon seit längerer Zeit nicht mehr das, was er sich versprochen hat. Am liebsten ist es ihm mittlerweile, die eigenen Genitalien zu beobachten, wie sie allerhand Stellungen annehmen, die ins Leere gehen. 

In einem voyeuristischen Exzess bricht der frustrierte Fotograf in ihm durch, der jedes Wochenende Hochzeiten und ihre verlogenen Rituale knipsen muss, jetzt endlich fällt er mit dem Handy über Kamilla her und macht Nacktfotos ohne Ende.

Beziehungen sind heutzutage alle dem Handy ausgeliefert, sei es dass man klandestine Termine ausmacht, sie versteckt, oder gefährliche Fotos herum trägt. Jedenfalls lässt Leidegger sein Handy bei der Geliebten liegen, und Tochter und Mutter rufen mit Häme an, um den wahren Sachverhalt herauszukriegen.

Allmählich dämmert es dem Helden, dass er rundum durchschaut ist, er probiert es mit Leid und Selbstmitleid, die aber beide an ihm abprallen. Das Böse existiert nämlich in Gestalt von ihm selbst! (138)

Längst ist aus dem Abenteuer eine Last geworden, die er nicht abwerfen kann, weil er sich zu lange Gutes davon versprochen hat. Geschlechtsorgane, Geliebte, Gesichter, Gelächter – alles wirkt ermüdet und routiniert. Du hast Angst vor Klischees und bist selber eines. (185)

Am Schluss verliert der Held die Nerven und überschreitet die ausgemachte Regelung, indem er spontan bei Kamilla auftaucht. Diese hat offensichtlich einen Grund, ihn nicht zu empfangen und beendet vor der Tür Beziehung und etwaige Erwartungen, sie hat immer schon die Beziehung als Spiel gesehen.

Leidegger beginnt zu weinen, wie er es in der Literatur über sanfte Männer gelesen hat. Als er keinen Grund mehr hat, weint er noch ein Stückchen weiter, um der Tränen willen.

Bernhard Strobel zeigt einen Helden, dessen Souveränität in seinen eigenen Händen zerbricht. Schicksal, Hormone, Umstände, alles kann Ausrede für ein Beziehungsdesaster sein, dabei ist es die simple Männlichkeit, die den Anforderungen an ein authentisches Leben im Weg steht. 

Die Frauen sind in diesem Thema dem Mann weit voraus, sie sind klug, indem sie mitspielen und die Sache rechtzeitig zu Ende bringen.

Ein Haus bauen, Hochzeit machen, Frau, Kind und Geliebte haben, das alles ist nur etwas für die Fotoalben, in die die Bilder eines frustrierten Fotografen geklebt werden.

Schon lange nicht mehr hat jemand mit dem Sinn des Lebens so ent-kitscht aufgeräumt.

Bernhard Strobel: Der gute Mann Leidegger. Roman.
Graz: Droschl 2023. 192 Seiten. EUR 24,-. ISBN 978-3-99059-140-6.
Bernhard Strobel, geb. 1982 in Wien, lebt in Neusiedl am See.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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