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Helmuth Schönauer bespricht:
Antonio Fian
Wurstfragen
Dramolette VII

„Griassinnen!“ – Im Wiener Kaffeehaus wird schon seit Jahrhunderten gegendert, wenn eine Bestellung aufgenommen und die sitzende Hofratschaft begrüßt werden muss.

Antonio Fians „Wurstfragen“ handeln von diesen kleinen Verunreinigungen, die im Gebrauch der Alltagssprache auftreten, wenn man nicht genau hinhört oder eine Fügung ohne zu denken verwendet. Die Wurstfragen sind vor allem solche, die Wurst im Sinne von egal sind, also letztlich niemanden interessieren.

Andererseits tastet sich an diesem Haupt-Hauptwort „Wurst“ die gesamte Kultur entlang, gibt es doch von der Polnischen bis zur Wiener allerhand Wurstformen, die erst dann ihre Reife entwickeln, wenn niemand weiß, was drin ist. Und von jener Wurst, die allenthalben hinten herauskommt, braucht man als Kulturphilosoph gar nicht zu reden, sie liegt nämlich vom Hund gemacht auf diversen Gehsteigen oder plagt die Kundschaft auf dem Weg zur Apotheke.

„Wurstfragen“ ist ein idealer Titel für den siebenten Band der aus der österreichischen Seele heraus entwickelten Dramolette. Dieses Genre gestattet es, mit großem Gestus einen Schas zu dokumentieren und bereits vorhandene große Gesten zu verzwergen. Somit kann alles Stoff für ein Dramolett sein, das in regelmäßigen Abständen in der „rosaroten“ Zeitung abgedruckt wird.

Ein Stück freilich wurde als zu derb abgelehnt, weshalb man es als erstes lesen sollte, um die Tonlage besser einschätzen zu können. Das inkriminierte Dramulett heißt „Fasten“, darin wird ein Fleischkäs-Essender gefragt, wie er denn faste. Und er gibt seinen strengen Fasten-Tipp preis: Vierzig Tage lang nicht wixen! (184)

In den Abschnitten poppen halbwegs chronologisch die Ereignisse der letzten Jahre auf und verdichten sich zwischendurch zu Mega-Orgien an Ereignissen.
Große zyklische Auswürfe sind die Muttertags-Elegie „Münterlein“, worin ein Kind das Wort Mütterlein nicht aussprechen kann und bis zu seinem Tod im hohen Alter an diesem Sprachfehler und somit einer kaputten Mutterliebe leidet.

Nicht minder dramatisch werfen sich zwei abgefackte Security-Kärntner, die vom letzten Beach-Volleyball-Tournier übrig geblieben sind, ihre melancholischen Bälle zu, wenn sie am Steg im Nebel sitzen und über ungeplante Schwangerschaften, vergangene Liebe und verunglückte Kosenamen sinnieren. „Verlossn!“ zischelt der große Seufzer, der über dem See liegt.

Das Traumpaar der österreichischen Innenpolitik hat es auch in den Dramuletten zu großen Auftritten gebracht, freilich ist beim Casting etwas schiefgegangen, weshalb die Namen eine Schräglage aufweisen, Sturz und Krache! Als ausgesprochene Politkomödianten hantieren sie mit hohlen Phrasen und entleerten Jonglier-Hülsen.

Aber auch anerkannte Stars der journalistischen Manege müssen einen scharfen Scan über sich ergehen lassen, wenn sich ihr Tun zu einem Dramulett verdichtet. Der Alleswisser Peter Filzmeier analysiert selbst zu Hause alles, indem er beim Frühstück über die Nahrungsmittellage, im Kontakt mit den Liebsten die Aufgabe eines Schulmanagements und auf dem Weg zur Toilette das Wirken moderner Verdauung analysiert. Nach einem Frühstück bei „Filzi“ weiß man wirklich mehr, als in der Verfassung steht.

Das literarische Pendant zur Alleswisserei ist vielleicht Arno Geiger, der im Dialog mit der unverwüstlichen Rezensentin Daniela Strigl gesteht, dass er demnächst das Rad neu erfinden wird, wenn der Erkenntnisschub weiterhin so dynamisch bleibt.

Dem will der Universalkünstler André Heller um nichts nachstehen und plant, da er ja den Urania-Kasperl samt Bühne gekauft hat, Vorlesungen über das Poetische, indem er wahlweise Kasperl und dem Krokodil kühne Thesen in den Rachen und unter die Mütze legt. Die simple Frage, ob wohl alle da seien, will er durch Martin Heideggers Denkmethode über das Dasein klären lassen.

„Romane, die uns erwarten“ (109) lassen die Leser beten, dass diese vielleicht irgendwo in der Druckerei hängenbleiben. Zeitgenössische Autoren legen in diesem Stück ihre Pläne vor, wie sie entweder zum Bachmannpreis vorstoßen oder gar in ein Literaturhaus eindringen werden. „Meine Reise zu mir“ liege perfekt im Trend und soll im Herbst der Hammer werden, sagt einer dieser Hoffnungsträger.

Antonio Fian justiert sein Sensorium für die Risse in der österreichischen Wurst wöchentlich nach, so dass er auch Fragen zulässt, die andere als Ganzes hinunterwürgen und womöglich nie mehr aus dem Magen kriegen. – Seine Wurstfragen hingegen sind aus- und entscheidend!

Antonio Fian: Wurstfragen. Dramolette VII.
Graz: Droschl 2022. 192 Seiten. EUR 21,-. ISBN 978-3-99059-107-9.
Antonio Fian, geb. 1956 in Klagenfurt, lebt in Wien.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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