Print Friendly, PDF & Email

Helmuth Schönauer
Verteidigungsmaterial
Stichpunkt

„Unsere Demokratie wird in der Ukraine verteidigt.“ – Die grüne Außenministerin Deutschlands knüpft dort an, wo vor zwanzig Jahren ein roter Verteidigungsminister davon geredet hat, dass die Sicherheit Deutschlands am Hindukusch verteidigt werde.

Je erbarmungsloser die Wirklichkeit auf unsere politischen Illusionen einschlägt, umso schwammiger müssen unsere Sätze werden, um dieser Illusion irgendwie Luft zu verschaffen.

Während die bedrückenden Themen unserer Gesellschaft allmählich wieder über das Sommerloch entweichen, indem wir alle von Stau, Hitze und Ventilatoren reden, liegt der Satz aus kühleren Tagen noch vage in der Luft, wonach die Demokratie im Donbas verteidigt wird.

So können wir dann die Verlustzahlen abnicken, wenn Tote, Vertriebene und Verstümmelte aufgezählt werden: Ja, das ist eben der Preis, wenn andere unsere Demokratie verteidigen!

Um das Hohle der Verteidigungsfloskel ein wenig auszuleuchten, lohnt es sich, einmal in der Woche untereinanderzuschreiben, was in den letzten Tagen gerade wieder in der Ukraine verteidigt worden ist.

Unsere Pressefreiheit, die hauptsächlich aus Zwangsgebühren für den ORF und Straßensackerln für die Sonntagszeitungen besteht, liefert uns an einem x-konkreten Juni-Sonntag jede Menge Material, was da alles verteidigt wird.

Wir schicken quasi statt Waffen Themen in die Ukraine, damit sie dort genug Demokratiegründe zum Verteidigen haben.

Verteidigungsmaterial:

– Ein schwarzer Landeshauptmann tritt zurück und installiert einen anderen Schwarzen zum Landeshauptmann-Kandidaten, mit der Bitte um eine kurze Wahlbetätigung.

– Der empfohlene Kandidat wird zur Sicherheit in den Aufsichtsrat der heimischen Stromgesellschaft transferiert, damit man immer genug Strom hat, wenn das mit der Verteidigung am Donbas nicht klappt.

– Ein Grüner Vizekanzler empfiehlt die Erhöhung des Mietkostenzuschusses: „Damit das Geld dort ankommt, wo es hingehört.“ Er übersieht, dass Mietkostenzuschüsse Durchlaufposten der Mieter an die Vermieter sind. Aber beim Durchreichen des Geldes dorthin, wo es hingehört, bleiben vielleicht ein paar Mieter-Stimmen hängen.

– Ganze Dörfer entlang sogenannter Transitrouten werden Woche für Woche in den Hausarrest geschickt. Die Zwangsinsassen können weder vor die Haustüre gehen noch ein Fenster aufmachen, weil die Benützer des Grundrechts Mobilität den Kontinent in eine Staufläche verwandelt haben.

– An den Flughäfen Salzburg und Innsbruck werden Sommerflüge abgesagt, weil es zu wenig Personal beim Einchecken gibt. Unter den sogenannten Gestrandeten sind viele Kinder, die ihr Recht auf Fliegen noch bei der alten Generation einklagen wollen und Schadenersatz für entgangenes Flugglück verlangen.

– Hinter der Uni Innsbruck tummeln sich am Sonnendeck tausende Studenten, während die Lehrveranstaltungen im Gebäudeinneren leer bleiben.

– Ein Osttiroler Genie erfindet ein Beiss-Halsband gegen den Wolf, das den Schafen auf der Alm angelegt wird. Beißt der Wolf ins Band, kriegt er einen Stromschlag und empfindet einen schalen Abgang im Mund. Das Osttiroler Kampfband ist nach dem Prinzip Keuschheitsgürtel der Kreuzfahrer konzipiert, nur dass hier nicht der Mann, sondern der Wolf auf Granit beißt.

– Ein Schiverband demonstriert gegen den frisch wiedergewählten Präsidenten, weil keine Wahl-Alternative zur Verfügung gestanden habe. Hier schließt sich der Kreis der Vorschläge, denn auch unter den Schwarzen demonstrieren einige, weil es beim Landeshauptmann-Kandidaten innerhalb der Partei keine Alternative gegeben hat.

– Angeblich gründet sich bald eine Wahlinitiative, die verlangt, dass keine Partei länger als siebzig Jahre regieren darf.

Ok, dieses Verteidigungsmaterial wird wöchentlich an die Ukraine geschickt mit der Bitte, tapfer zu sein und trotz hoher Verluste durchzuhalten.
Schließlich wird ja in der Ukraine … blabla.

Unter der Hand ist schon die Parole des Sommers ausgegeben: Solange die Demokratie nicht bei uns verteidigt werden muss, können wir sie ja noch eine Weile beibehalten.

Wenn Ihnen schoepfblog gefällt, bitten wir Sie, sich wöchentlich den schoepfblog-newsletter zukommen zu lassen, und Freundinnen und Freunde mit dem Hinweis auf einen Artikel Ihres Interesses zu animieren, es ebenso zu tun.


Weitere Möglichkeiten schoepfblog zu unterstützen finden Sie über diesen Link: schoepfblog unterstützen

Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Hans Pöham

    Lieber Herr Schönauer!

    Wieder einmal eine wunderbare Verpackung für den Stichpunkt. Ich hab sie behutsam vom Stein gelöst, glatt gestrichen auf den Stapel zu den anderen gelegt.

Schreibe einen Kommentar