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Helmuth Schönauer
Schreien und Zittern
Stichpunkt


Vergleiche mit dem Dritten Reich sind immer problematisch, denn sie verhöhnen entweder die Opfer, wie es jetzt bei Impf-Demos mit dem Tragen von Judensternen passiert, oder sie geben Anlass zur Wiederbetätigung, wenn man sagt, dass man unter Hitler auf der Autobahn schneller vorangekommen ist als heute.

Und auch überdimensionierte Bilder schürfen oft knapp am Erträglichen entlang. Etwa wenn wir damals bei der Diskussion um eine Mitgliedschaft bei der EU den Satz hörten: „Das Dritte Reich ist in Gestalt der EU Fleisch geworden!“

Dennoch gibt es manchmal Erlebnisse, die man nicht loswird, weil sie an der Grenze zum Unterbewusstsein auftauchen.

Jedes mal wenn ich aus Versehen im Radio auf den ORF stoße, höre ich einen Sportreporter schreien, als ob er sich gerade schwer verletzt hätte. Vor allem aus der Entfernung, wenn man im Nebenzimmer den ORF nur als Lautstärke ohne Inhalt wahrnimmt, durchpflügen einen immer Aufruhr, Machtlosigkeit und Wut über das dumpfe Gebrüll, das über die Wohnung hereinbricht.

Da muss ich an die Oma eines Kollegen denken, die den Holocaust überlebt hat und manchmal aus Israel zu Besuch war. Während ihres Aufenthalts in der alten Un-Heimat durfte man kein Radio anschalten, denn allein schon die deutschen Satzfetzen aus dem Lautsprecher machten sie anfangs immer zittern.

Als sie einmal unversehens in eine ORF-Sportübertragung geriet, kriegte sie sich den ganzen Tag nicht mehr ein. „Hört euch doch dieses Geschrei an, das ist wie Hitler und Goebbels bei Paraden.“

Diese Parallele darf jemand ziehen, der beides gehört hat und darauf mit Zittern am ganzen Leib reagiert. Für uns Nachfahren freilich, die wir nur die Sportschreier hören, ergibt sich schon die Frage:

Warum muss im Winter bei jeder Nachrichtensendung jemand vor dem Wetter zu schreien beginnen, egal ob es sich um eine Hocke, einen Sturz oder eine Rennabsage handelt?

Warum werden diese Reportagen in Zeiten der Pandemie nicht heruntergefahren, wenn sonst alle Äußerungen durch Mundschutz gefiltert und keine Versammlungen mehr erlaubt sind? Was macht es für einen Sinn, in einer leeren Schneearena zu stehen und zu schreien, wenn jemand in seiner Rennblase an der Übertragungskabine vorbeifährt?

Steckt vielleicht doch ein staatstragendes Erregungsmoment dahinter? Also Hitler und Goebbels haben vor allem geschrien, weil sie ihre Macht und Singularität zeigen wollten. Neben den Wortführern sollte es keinen anderen Satz und kein anderes Geräusch mehr geben.

In den ersten Jahrzehnten der Zweiten Republik wurde vor allem geschrien, weil der Staat keine eigene Identität hatte und man sich über das Schigeschrei ein Nationalgefühl einverleiben wollte. Mittlerweile, wo nur mehr sechzig Prozent der Bewohner auch wahlberechtigte Staatsbürger sind, soll das Geschrei wohl dazu dienen, die Nicht-Wahlberechtigten niederzuschreien.

Die häufigste Frage, die Asylwerber während der Integrationskurse stellen, lautet: Warum muss man schreien, wenn man vom Schifahren spricht? Warum muss man Schifahren, wenn man die Staatsbürgerschaft erlangen will?

Schreien macht immer jene zittern, die nicht der Schrei-Ideologie angehören. Vielleicht sollte der ORF statt zu gendern weniger Sport übertragen. Das wäre ein erster Schritt zur Integration jener, die keinen Schi am Hut haben.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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