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Helmuth Schönauer
LH = Die Leiden des Herrn
Stichpunkt

Ein halbes Jahr neuer Landeshauptmann – das schreit allemal nach einem Porträt in der patriotischen Abendbrot-Sendung Tirol heute. Die wird in der Hauptsache während der Abfütterung in diversen Heimen als tonlose Untermalung zu den Geräuschen im Speisesaal auf den Wandmonitor gespielt.

Viele der Tirol heute-Sehenden werden allerdings dieser Tage in einen Flash verwickelt und lassen prompt Altersbrei und Löffel fallen. Sieht man doch glatt den Landeshauptmann, wie er um fünf aufsteht, zu Hause in Galtür die Tiere füttert, und dann zur Limousine watet, in der schon der Chauffeur wartet.

Der Landeselektromeister ahnt, dass er auf den Verbrenner angesprochen werden wird und sagt abwehrend: Die Reichweite, elektrisch zu fahren, reicht noch nicht. Immerhin ist eine Strecke 110 Kilometer lang. Aus diesem Grund verzehrt der Landeshauptmann auch zwei Chauffeure, die sich abwechseln. Offensichtlich übernachtet der Chauffeur immer in Galtür, wenn er den Chef kurz vor Mitternacht im Paznaun abgeliefert hat. Nach einer vorgeschriebenen Ruhepause fährt er die Morgentour, liefert den Chef im Landhaus in Innsbruck ab und übergibt die Karosse dem nächsten Chauffeur.

Das ist neu, erinnern sich die Mümmelnden beim Anblick des Porträts, das sie schon vor fünfzig Jahren gesehen haben. Damals stand der Landeshauptmann Edi ebenfalls um fünf für die Kamera auf und begab sich in den Stall. Dann setzte er sich ins Dienstauto, das ebenfalls schwarz und ein Verbrenner war und ließ sich so lange in das Landhaus fahren, bis der Platz davor seinen Namen annahm.

Aber das ist der Unterschied: Der Edi hatte zwei Dienstautos und einen Chauffeur (ein Dienstauto war immer in der Innenreinigung vom Vortag), und der Mattle jetzt hat zwei Chauffeure, aber nur ein Dienstauto.

Die Zuseher des Porträts sind seit fünfzig Jahren dieselben, sodass man nur kleine Veränderungen in der Dramaturgie machen darf. Die optischen Geräte sind besser geworden, der aktuelle Landeshauptmann kommt klar ins HD-Bild, vielleicht weil der Hauptdarsteller sehr viel von Elektrik, Übertragungstechnik und Sendenetz versteht. Der alte LH von damals ging immer gebückt auf und ab und stieß ununterbrochen Pfeifenrauch aus, damit man sein Gesicht nicht deuten konnte.

Der Ablauf für das Tagesporträt ist hingegen gleich geblieben. Landhaus innen, Landhaus außen, Händeschütteln, Telefonieren (jetzt ohne Schnur und mit der hohlen Hand), Wahlvolk pflegen, müde werden, sich heimfahren lassen.

Das Schlussbild ist jeweils seit fünfzig Jahren erschütternd: Der Herr leidet für uns und sinkt erst um 23:30 ins Bett, wenn er es findet. Der Chauffeur darf nämlich erst abgehen, wenn der Herr im Bett liegt.

Das ganze ähnelt eher einem Passionsspiel als einem Landeshauptmann-Porträt über einen, der schon hundert Tage im Amt ist.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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