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Literarische Korrespondenz:
An den ORF z.H. von Wrabetz, Guggenberger, Dörr
Betrifft:
Fehlinformationen über Atheisten in Österreich!

Sehr geehrter Herr Generaldirektor Dr. Wrabetz,
Sehr geehrter Herr Mag. Guggenberger,
Sehr geehrter Herr Dörr,

Wir haben uns auf die Ankündigung, dass ein Film über Atheisten in Österreich gedreht wird, gefreut. Leider ist das allzu selten der Fall. Wir waren aber vom ausgestrahlten Film ehrlich gesagt sehr enttäuscht.

Der Film hat mit der Realität des Atheismus in Österreich so gut wie nichts zu tun. „Atheisten“ – schon der Name ist falsch -, es gibt auch keine sinnvolle Gruppe der Nicht-Radfahrer – weil er eine Zuschreibung der Theisten ist, Atheisten nennen sich selbst heute weltweit meist (säkulare) Humanisten, das gilt es zu respektieren. Bei Humanisten ist die Würde des Menschen nicht durch Gott begründet, sondern durch das Menschsein an sich – konform mit dem 1. Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR).

Dazu kommen krasse Fehlinformationen, die da passiert sind: entweder das Ergebnis schlechter Recherche oder Absicht, dann sind es Desinformationen, die auf den ORF zurückfallen.

Als Beispiel nenne ich die Zahl von 4% an Atheisten in Österreich. In Wahrheit sind es 54% der Bevölkerung, die von sich sagen, sie seien „keine religiösen Menschen“. 10% bezeichnen sich dezidiert als „Atheisten“. Da man aber in Österreich normalerweise als Katholik aufwächst, bedarf es einer eigenen intellektuellen Anstrengung und eines Reifungsprozesses, um zur Aussage „Ich bin Atheist“ zu gelangen.

Countries with large numbers of atheists

The Least Religious Countries In The World Quelle: Gallup Internatl. Zitiert in Washinton Post.

Die  zitierten Zahlen stammen aus der „Religiosity study“ der weltweit anerkannten Meinungsforschung Gallup International und sind deshalb glaubwürdig, weil sie über die Jahre in sich konsistent sind. Der langfristige Abwärtstrend sagt wohl aus, dass trotz der milliardenschweren Alimentierung der Kirche durch den Staat der Katholizismus ein erfolgloses Finanzierungsprojekt ist. Dem stehen die Humanisten kritisch gegenüber.

Wirklich interessant wäre gewesen, die Frage zu untersuchen, warum die säkularen Humanisten nicht den Bekenntnisgemeinschaften gleichgestellt sind, und was genau an den Religionen unterstützenswert ist, bei Humanisten aber nicht. Wichtig wäre gewesen, zu hinterfragen, ob das Bekenntnisgesetz (BKG) nicht überholungsbedürftig ist – denn religiöse Bekenntnisse haben einen Rechtsstatus nach „öffentlichem Recht“, säkulare nicht.

Als unbedarfter Zuseher dieses Films musste man den Eindruck gewinnen, dass die Atheisten in Österreich
– eine „Religion“ gründen wollen, ( weltweit einzigartig!) um wie andere Religionen an die Subventionstöpfe heranzukommen (ein typischer Auswuchs des Bekenntnisgesetzes),
– eine armselige Truppe mit Leiterwagerl sind, die sich auf der Mariahilfer-Straße mühen, einen Stand aufzustellen,
– einen etwas ländlichen Einschlag haben und weitgehend unintellektuell an die Sache herangehen,
– dass Religion in der Schule deswegen ein gute Idee ist, weil es in Österreich immer so war und man sich daher mit sachlichen Argumenten im Interesse der Kinder nicht auseinandersetzen muss,
– keine eigenen Sprecher haben und deswegen deutsche Fürsprecher brauchen. (Aber Philipp Möller war großartig!)

In Wahrheit gibt es einen Verein von Atheisten/Humanisten seit 134 Jahren mit großer Geschichte, der nunmehrige „Humanistische Verband Österreich HVÖ“, der einen wissenschaftlichen Beirat mit prominenten Wissenschaftlern hat, der Kongresse, Diskussionen und monatlich Vorträge organisiert, der international vernetzt und Teil der weltweiten „Humanists International“ ist.

Dieser Verein versucht, seit vielen Jahren im ORF vorzukommen, um dem Rundfunkgesetz gerecht zu werden, das verspricht, alle Bevölkerungsgruppen abzubilden. Anstatt dem Rechnung zu tragen, sind die „Atheistischen Humanisten“ ein weiteres Mal aller Hoffnungen beraubt worden, jemals im ORF eine adäquate Rolle zu spielen. Als Gegenbeispiel nenne ich die Niederlande, die sogar einen eigenen humanistischen Sender haben.

Immerhin gibt es ja immer wieder andere Medien, die uns nicht totschweigen, dazu gehören fast alle namhaften Zeitungen. Zuletzt erschien ein Gastkommentar im „Kurier“ über unsere Mitarbeit am Dialogforum des Justizministeriums zur Sterbehilfe (https://kurier.at/meinung/gastkommentar/fuer-die-saekularisierung-der-debatte/401388000). Wir haben dort gegen eine Phalanx von Religionsvertretern und religionsnahen Fachleuten eine für die moderne Zeit befriedigende Lösung des Problems vertreten und weitgehend durchgebracht. Seit Jahren kämpfen wir für die Einführung des Ethikunterrichtes für alle (www.ethics4all.at). Von dieser in den letzten Jahren erarbeiteten wichtigen politischen Arbeit und ihrer Bedeutung war in ihrem Bericht nichts zu hören.

Man könnte wenigstens einen der ohnehin schon sehr alten atheistischen Gedanken erwarten: Russells „teapot“, Occams „Rasiermesser“, Dawkins „Kulturgott“-Hypothese ( 10.000 Götter gab es, alle können nicht wahr sein!). Seit der Aufklärung, also rund 250 Jahre lang, haben die Tabubrecher, die Blasphemiker, die faktenbasierten Naturwissenschaftler, vor allem Evolutionsbiologen, die Religionszähmer, die Menschen mit Problemlösungsbegabung, die Analytiker, die Aufklärer, die Menschenrechtsaktivisten, sie alle haben gegen den erbitterten Widerstand der Kirche die Geistesgeschichte bestimmt.

Aber nicht die Gegnerschaft zur Kirche ist die enorme Leistung der Atheisten, sondern ihre Nähe zu Menschenrechten (Thomas Paine), ihre Liebe zu Gedankenfreiheit (Voltaire), ihre Suche nach Wegen zur Wahrheitsfindung (von Giordano Bruno bis Popper), ihre Entlarvung von religiös-patriarchalen Machtstrukturen (Sigmund Freud), die Aufdeckung der kriminellen Kirchengeschichte (Karlheinz Deschner) und vor allem die aufklärerische Großtat der Entwicklung von Kritik und Ethik (Kant).

Religionen haben sich an diesen Entwicklungen nur als Bremser beteiligt (siehe „Syllabus Errorum“). Der Anti-Modernisten-Papst Pius X und davor Leo XIII mit seinem Unfehlbarkeitsdogma haben sich besonders hervorgetan in der Bekämpfung der Ideen, auf denen die Gerechtigkeit und der Fortschritt der Menschheit fußt.

Zusammenfassend kann man sagen, dass man sich offensichtlich mit einer schwierigen Materie nicht befassen wollte oder hoffnungslos überfordert war. Es gab keine einzige Aussage über die geschichtlichen Hintergründe, über die europäischen Entwicklungen, über die säkulare Szene in Wien („HVÖ“, „Atheisten Österreich“, „Initiative Religion ist Privatsache“), über die Problematik der kirchlichen Einflussnahme in der Politik und was der sog. „kooperative Stil“ zwischen Kirche und Staat bedeutet, nämlich eine Prolongation der mangelnden Trennung von Kirche und Staat, ein sicheres Rezept für undemokratische Verhältnisse, wie weltweit gut ersichtlich.

Wie wichtig eine starke Humanistische Szene wäre, sieht man in Polen und Ungarn, wo die religiös motivierte Immunisierung gegen Kritik politisch ausgenützt wird und der religiös getränkte Boden autoritäre Strukturen wie Eiterbeulen aufplatzen lässt.

Statt dessen Wiesen und Schafe.

Vielleicht könnte man das Versäumte einmal in einer eigenen, ernsten und wohlmeinenden Sendung im Interesse der 4,5 Millionen areligiösen Bürger Österreichs nachholen. Wir würden Ihnen dabei jede Hilfe angedeihen lassen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Gerhard Engelmayer, Dr. Ronald Bilik, Wilhelmine Pfeiffer, Mag. Dragan Petrovic, Thomas Mayr, Dr. Andreas Gradert (alle Vorstand Humanistischer Verband Österreich) für die Mitglieder des Humanistischen Verbandes Österreich
Alois Schöpf, Autor, Philippe Lorré, freiberuflicher Übersetzer
Dr. Gerfried Pongratz, Biologe, Anneliese Pongratz

Kontakt:
Dr. Gerhard Engelmayer
Präsident Humanistischer Verband Österreich
mobil: +43 699 122 44 242
1.engelmayer@gmail.com
www.humanisten.at
engelmayer.wordpress.com
facebook.com/Humanistischer Verband Österreich

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Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Susanne Preglau

    Danke für diesen überaus interessanten Artikel.
    Zur Zuschreibung des Begriffs „Atheisten“ durch „Theisten“:
    Auch der Begriff „Protestanten“ für nicht katholische Christen birgt dasselbe Problem und hat sich über Jahrhunderte dominant gezeigt. Die (inzwischen nur mehr vermeintliche) Mehrheit prägt die Begriffe!

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