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Helmuth Schönauer
Krampfpause
Über eine kulturpolitische Diskussion
Stichpunkt

Die „Battlegroup For Art“ lud am 5. 9. die Kultursprechenden der Landtagsparteien auf das Podium der Stadtbibliothek, aber die wollten alle nicht wahlkämpfen. – Ein paar Notizen.

Der heute abschreckende Ausdruck „Battlegroup For Art“ geht auf eine Zeit lange vor dem Überfall auf die Ukraine zurück. 2005 konnte man in Innsbruck einfach alles ungeniert ins Englische übersetzen und schon hatte man eine eigene Kultur. Aus dieser Zeit stammt auch die Fleischkäs-Epoche unter Hilde Zach, die Innsbruck für Bauten, Events und Kongresse international ins Gespräch brachte.

Heute wirken diese regionalen Bilderreger und Selfie-Motive durchaus peinlich. Die ins Englische übersetzten „Standschützen“ als Battlegroup sind heute eine Standbild-Ikone eingefrorener Kultur. Dabei ist die Kulturszene in Tirol sowohl bei Künstlern, Vermittlern und Publikum so tot wie der Papagei von Monty Python.

Wenn man die Programme der wahlwerbenden Parteien durchscrollt, spielt die Kultur überhaupt keine Rolle.

Erste Frage also an diesem Abend: Finden die überhaupt Personen fürs Podium?

Alle Parteien haben zumindest physische Personen aufgetrieben, die den Begriff Kultur in den Mund nehmen konnten. Niemand von ihnen ist jedoch wegen der Kultur in die Politik gegangen, alle sind nur Vertretungen für etwas anderes, was bessere Schlagwörter liefern würde.

Dieses Abschasseln eines Themas in die Beliebigkeit lässt darauf schließen, dass sich niemand in der Landtagsblase Gedanken über die Zukunft der Kultur macht, die neue Landesrätin für diesen Sektor wird das wieder nebenher zum Gendern oder Wohnbau machen, was mittlerweile gleich wichtig ist.

Umgewandelt auf eine Buchvorstellung in einer Buchhandlung hieße das, dass statt Autor, Verleger oder Lektor der Hauselektriker, der Steuerprüfer und der IT-Administrator am Podium hocken, jeder ein Sternchen hinter seinem Beruf, und alle würden sagen: Das Buch ist wichtig, aber ich habe keine Zeit dafür.

Zweite Frage: Kann man als Kunstschaffender eine Vertrauensperson ausmachen, die einem zumindest zuhört, wenn auch ohne Portefeuille?

Nein! Die Schleuse für die Aufnahme in ein politisches Gremium ist verlässlich. Wer etwas formuliert, was keine Beliebigkeit hat, wird selbst von der originellsten Opposition aus der Operation Landesregierung ausgeschlossen.

Dritte Frage: Haben wenigstens die Kunstschaffenden eine Idee, was sie von den Podiumsitzern wollen?

Nein! Für die Künstler regionaler Qualität ist der Horizont erstaunlich eng gezogen. Selbst wenn das Wort multi verwendet wird, reicht es kaum aus, die Kunst des Nachbarn zu erahnen. Das Einfamilienhaus ist in der Kulturszene geistiger Standard geworden. Man grüßt ein bisschen den Nachbarn am Gemeindeamt, hält sich aber durchaus einen scharfen Hund, damit niemand die eigene Kunst betritt.

Sinnigerweise war an diesem Abend die Diskussion um den Landhausplatz der größte gemeinsame Nenner. Hier konnten wenigstens die Begriffe Beton, Nazi, Freiheit, Tiwag, Casino, Skaten und Tiefgarage zu einem Konglomerat geflochten werden, um das sich die neue Regierung selbstverständlich kümmern wird.

Letzte Frage: Woran liegt es?

Wahrscheinlich an der Kultur der Kulturberichterstattung. Solange diese mit den Stilmitteln eines Events, Schirennens oder Autocorsos geschieht, hat niemand Lust, sich näher mit Kultur zu beschäftigen.

Durch die Pandemie ist die digitalisierte Ghettoisierung im Solokosmos verstärkt worden.

Für Vieles in der Kunst ist zudem Publikum gar nicht erwünscht, da die Kunst im Zeitalter von Longcovid vor allem eigen-therapeutische Aufgaben zu erledigen hat.
Manche huldigen dem Motto: Für die Psychologin habe ich kein Geld, also muss mich die eigene Kunst heilen.

So haben wir zwar sehr viele Künstler, aber letztlich keine Kunst. (Zumindest unter denen, die eine Kunstdiskussion mit Kunstpolitikern anzetteln wollen.)

Der öffentliche Tenor lautet: Denen geht es ja nur ums Geld für das nächste Projekt. Und solange du als Künstler Inserate schalten musst, damit die Medien deine Kunst wahrnehmen, wird es nie zu einem Diskurs über Kultur kommen.
In Tirol gibt es oft nur die Extrem-Genres „Kohle machen“ oder „putziges Ehrenamt rund ums Aquarell“.

Der letzte herzergreifende Aufruf eines Tiroler Künstlers an die Künstler stammt übrigens von Tobias Moretti. Als der Landeshauptmann des Sonnenscheins vom Virus in die Enge getrieben war, verkündet der Ex-Jedermann: Haltet die Goschn! Jetzt heißt es Z´sammenhalten!

Bei der letzten Landtagswahl standen Künstler seines Schlages übrigens alle am Wahlplakat des Landeshauptmanns. Er wird diesen Künstlern fehlen.

Im Smalltalk außerhalb des Podiums wurde am späteren Abend ähnlich verschwenderisch mit Floskeln herumgeworfen wie eine Stunde zuvor noch auf der Mikrophon-Empore.

Resümee:
Dem Podium angepasst lässt sich etwas abgehoben formulieren: Jeder noch so dünne Essay hat mehr Substrat als dieser Abend, auch wenn man ihn noch so oft durch die Destillieranlage schickt.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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