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Helmuth Schönauer
Immaterielle Versicherungen
Stichpunkt

Schnaps-Brennen, Watten oder Ötztalerisch-Reden sind nicht nur immaterielle Güter, die als Weltkulturerbe anerkannt werden, sondern verursachen wahrscheinlich sogar Lebenssinn, wenn es den überhaupt gibt.

Allmählich setzt sich die Idee durch, dass vielleicht alles immateriell ist. Es werden nur Bilder vorgeschoben, woran sich die Ideen festklammern können.

Weltberühmtes Beispiel ist der sogenannte Bierdeckel. Dieser hilft dem skizzierten Gedanken, der als Zeichnung darauf hingekritzelt ist, sodass er als Idee herum gereicht werden kann, ehe dann jemand sein Bier darauf stellt.

Ähnliches spielt sich ab, wenn jemand Wünsche für das neue Jahr formuliert und diese dann auf den Bierdeckel geschrieben werden, damit sie sich von selbst erfüllen.

Eine Volksweisheit lautet: Ein Wunsch kann erst dann in Erfüllung gehen, wenn du eine klassische Versicherung abgeschlossen hast. Wenn ein Wunsch einmal versichert ist, hat er gute Chancen, dass er risikolos in Erfüllung geht.

Wer sich einmal zwecks Schmerzfreiheit seine Hüfte hat ersetzen lassen und seither den Gegenwert eines geländegängigen SUV als künstliches Scharnier mit sich herumträgt, wird der Krankenversicherung ewig dankbar sein.

Ebenso wird jeder sein Haus versichern, solange er noch kann. Bald nämlich wird das ganze Land in der roten Klimazone stehen und die Idee der Versicherung gegen Klimaschäden wird sich zu einem immateriellen Gut entwickeln.

Womit wir wieder beim immateriellen Kulturgut wären.

Versicherungen kommen und gehen. Spezialisten unter den Historikern und Archivaren beobachten als erstes das Versicherungswesen, wenn sie über eine bestimmte Epoche Bescheid wissen wollen.Der Zeitgeist lässt sich an den Versicherungen bestens ablesen. Eine Versicherung gegen Huftritte am Ponyhof war gestern, heute musst du eine Versicherung gegen den Wolf auf Spaziergängen abschließen.

Zu Neujahr kommt noch einmal der gute alte Versicherungsmakler zu Wort und bietet für das neue Jahr interessante Versicherungen an. Jeder kennt so einen, der mit einer Flasche Wein, Kuli und Kalender läutet und neue immaterielle Produkte anbietet.

Für Rentner günstig sind beispielsweise für 2023 folgende Versicherungen:

1. Eine Rentner-Rechtsschutzversicherung, damit ich im Netz posten kann, ohne dass ich durch einen Shitstorm vernichtet werde. (Ein Kärntner Polizist soll mittlerweile davon leben, dass er gegen Verleumdungen seiner Arbeit im Netz gerichtlich vorgeht.)

2. Anti-Krimi-Versicherung:
Sollte sich der Roman entgegen allen Beteuerungen des Buchhändlers als Krimi herausstellen, darf ich ihn zurückgeben und gegen einen neuen austauschen.

3. Anti-Belästigungs-Versicherung:
Sollte ein Kind im Haus während der Tätigkeit als Ministrant von Klerikern belästigt werden, streckt die Versicherung jenen Aufwand für Schmerzensgelder und psychologische Betreuung vor, die von der Kirche bezahlt werden müssten, von dieser aber ins Jenseits verschoben werden und daher im Diesseits nicht ausbezahlt werden.

4. Anti-Verfassung-Versicherung:
Sollte die Regierung gegen die Verfassung verstoßen und in eine Diktatur mutieren, habe ich das Recht, mich auf Kosten der Versicherung in einem Land meiner Wahl in einem entsprechend upgedateten Lebensmilieu niederzulassen.
Meine drei expliziten Exilwünsche auf der Polizze sind:
a) eine Penthouse-Wohnung in der Züricher Bahnhofsstraße,
b) ein Cottage auf einer Schäreninsel vor Helsinki,
c) eine Seniorenresidenz in Portugal.
Die drei Ziele müssen unbeschwert angesteuert werden können, sofern sich nicht auch dort gerade eine Diktatur aufbaut.
Das Codewort für den Eintritt lautet: Asyl!

5. Anti-Anti-Versicherung:
Sollte irgendwo eine Epidemie auf Virenbasis ausbrechen, habe ich das Recht, dass mir der Staat innerhalb eines halben Jahres eine passende Anti-Impfung verabreicht. Um später gegen Impfschäden vorzugehen, bin ich ebenso versichert.

Am wichtigsten wäre freilich eine Glücksversicherung. Danach steht im Sinne der amerikanischen Verfassung jedem Menschen das Recht auf „persuit of happiness“ zu. Wie bei Versicherungen und Neujahrswünschen aber üblich, verblassen beide schon nach ein paar Stunden und verlieren jegliche Wirkung.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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