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Helmuth Schönauer bespricht:
C.H. Huber
Sagtest du Liebe.
Roman

Eine Liebesgeschichte überlebt die ausgelösten Emotionen nur, wenn sie sich rechtzeitig auf die rettende Liebesinsel „Ironie“ rettet. Und einmal dort gelandet, lässt sich neben der Liebe auch gleich der Tod wunderbar leicht erzählen.

C.H. Huber geht die Sache in forscher Innenschau an. „Sagtest du Liebe“ lässt sich schon im Titel als Vorwurf, Enttäuschung oder Häme lesen. Alle diese Leseweisen spielen eine Rolle, wenn die Protagonistin Paula ihren Liebeskrimskrams aufräumt.

Den Großteil des Romans sitzt Paula als Ich-Erzählerin im immer reifer werdenden Körper gefangen und lässt sich beinahe apathisch durch die letzten Jahrzehnte schleudern, während sie vor der Trommel sitzt und der Waschmaschine zuschaut.

Ab und zu quält sich der Körper zu einer Veränderung der Sitzposition durch, er verfällt verlässlich, selbst wenn er geschminkt und ruhig gehalten wird. Alle Körper-Gadgets, die früher für ein dynamisches Liebesleben wichtig gewesen sind, zerbröseln jetzt als ausgetrocknete Lippenfarbe im Drehstift.

Seit unüberschaubar langer Zeit ist Paula mit dem Galeristen Richard liiert, mal hat sie mit ihrem Mann noch eine Ehe abgespult, dann hat wiederum der auf Zeit Geliebte eine andere Partnerin aufgerissen und sich daran ergötzt, die sexuelle Nebentätigkeit als berufliche Weiterbildung zu verkaufen. Immerhin ist ein Galerist Tag und Nacht mit seinem Nagel unterwegs, um ein frisch gepinseltes Bild für eine Ausstellung anzubringen.

In guten Zeiten hat Paula ihn dabei begleitet. Wenn man künstlerisch unterwegs ist, wird sogar das Waldviertel zu einem Gemälde, mit dem der Roman einsetzt. Spätere Reisen führen vor allem nach Griechenland, wo Paula arkadische Fähigkeiten entdeckt, die sie zur Verschriftlichung von lyrischen Gefühlen ermuntern.

Jetzt ist freilich Pause mit Kultur, Liebe und Sex. Es steht zu befürchten, dass alles aus ist, weil die Gedanken gar so heftig ausfallen. Die Ich-Erzählerin spielt mit sich alle Tonarten durch, die souveräne Frau, die mit Körper und Mann spielt, die Gedemütigte, die sich an ihrer Rivalin abarbeitet, die Kluge, die den Sex selbst in die Hand nimmt und nach der Methode Selbstversorger autark wird.

„Heute ist nur Erinnerung, mir liegt meine eigene Liebesgeschichte im Magen, der Geliebte kommt und geht gegen meinen Willen.“ – Es sind atemlos verkürzte Satzellipsen, die jegliche Chronik in der Erinnerungsarbeit sprengen. Die Gedanken setzen ein, wie man sich früher am Einkaufszettel etwas wie Gurken oder Milch notiert hat, hier sind es banale Alltagsgegenstände, die eine Erinnerung auslösen.

In Griechenland riecht einmal das Klopapier selbst nach Notdurft, was wiederum einen Liebesakt stimuliert, in welchem der Partner zum vollendeten Liebhaber wird. Umringt vom Banalen wird das Erhabene gigantisch!

Der Waschgang ist mittlerweile vollendet, aber die Geschichte lässt sich nicht abstellen, während die Wäsche auf der Leine fixiert wird. Die Heldin ist stolz auf ihre Schreie, mit denen sie üblicherweise den Sex untermauert. „Ich bin beim Sex sehr laut!“ ist ähnlich angelegt wie das männliche „Ich fahre eine schwere Maschine!“ Stets geraten die Sätze auf ein falsches semantisches Feld und bedeuten plötzlich etwas anderes. Selten stimmen die Größenverhältnisse, die Perspektive der Erinnerung ist verzerrt und der Blick auf die Emotionen gerät regelmäßig außer Kontrolle.

Im aufbrausenden Gefühlsschwall wird der Körper zu einer wackeligen Konstante, indem er bei jedem Liebes-Stunt älter wird. Der erregte Blutdruck zwingt zu ausgereiftem Sex, die Brüste schielen von Tag zu Tag mehr auf die Seite, das Stechen in der Brust entpuppt sich als Phantomschmerz für ein gebrochenes Herz, aber die Medikamente sind für reale Symptome konzipiert.

Allmählich ist nicht nur der Waschvorgang vollendet, es sind auch die Gedanken sauber weichgespült, wenn sie kreuz und quer in der ausrotierten Liebestrommel liegen. Alles lässt sich in diesem Zustand erklären, alles gutheißen und auf vernünftig machen, um im nächsten Schritt als Konstrukt auseinanderzufallen in elegante Worthülsen.

In einem straffen zweiten Kapitel schreibt die Ich-Erzählerin alles auf, wie sie es als Schriftstellerin gelernt hat. Mit Handschrift, wie sie bei hartnäckigen Fällen als Erinnerungstherapie eingesetzt wird, kritzelt sie über sieben Tage an einen Brief an den Verflossenen herum. Das in der Gedankentrommel geschrottete Material erfährt einen Plot, es entsteht eine Geschichte zwischen Protagonisten, die sich fallweise nahe kommen und wieder abstoßen. Pragmatische Partikel, wie das sinnvolle Altwerden mit einem Ehepartner, stehen geträumten Bildern gegenüber, wonach man aus der Schwerkraft aussteigen könne, wenn man nur genug Hormone in die Blutbahn jagt.

Vieles, was als Liebe daherkommt, ist ein Alkoholproblem. Der Sex wird an manchen Tagen ziemlich überschätzt. Die Erzählerin wirkt erstaunlich abgebrüht, ohne ins Zynische abzudriften.

Ein dritter Teil ist als Pseudo-Epilog dem Literaturbetrieb geschuldet. Eine echte Liebesgeschichte muss zumindest in der Schreibtheorie etwas Tragisches aufweisen. Also kommt es zu einem emotionalen Showdown zwischen Paula und Richard. Dieser hat sie nach Venedig eingeladen, wo er gerade während des Kunsthandels eine neue Partnerin „betreibt“. In ihrer Aufregung vergisst Paula im Zug ihren Identitätsbeutel, wie sie den Rucksack mit Papieren und Schlüsseln nennt. Anstatt die Beziehung mit dem Allroundgeliebten venezianisch romantisch an ein kluges Ende zu bringen, ist sie mit der Polizei beschäftigt, die ihr die Identität wiederbeschaffen soll.

Als dann alles für einen romantischen Abend geregelt ist, erfährt Paula auf offenem Venedig-Kanal einen seltsamen Rempler eines Passanten, sie spürt etwas an der Brust und stirbt. Dabei schaut sie sich selber zu, wie sie entsorgt und verschriftlicht wird. Jetzt ist alles ein Roman.

C. H. Huber erzählt reif und abgeklärt von der Liebe, die letztlich ein unerklärbar dynamischer Streich des Bewusstseins ist, und somit der Literatur ähnelt, wo ja auch nichts gesichert ist und man umso eher dran hängen bleibt, als alles aussichtslos ist.

C. H. Huber: Sagtest du Liebe. Roman.
Innsbruck: Tiroler Autorinnen und Autoren Kooperative TAK 2022. 227 Seiten. EUR 15,60. ISBN 978-3-900888-80-0.
C. H. Huber, geb. 1945 in Innsbruck, lebt in Innsbruck.



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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. c. h. huber

    treffend und klug, der kommentar margit jordans – danke!
    und hier noch meine kleine anmerkung zur rezension helmuth schönauers, die mich wirklich positiv überrascht hat: das mit dem tod in venedig ist nicht 100% fix. wer weiß, hat die protagonistin doch überlebt?

  2. Margit Jordan

    Margit Jordan
    Die Rezension von Helmuth Schönauer zum Roman von C. H. Huber „Sagtest Du Liebe“ ist eine leichtfüßig amüsante Besprechung, in der mit Ironie das auch mit Ironie vollgepackte Buch eingehend „zerklaubt“ wird: ein Roman über das Altern, seine Frustrationen und Einsichten,
    die nur mit Humor und Sarkasmus erträglich sind. Ein Rückblick mit Endzeitstimmung – von der Autorin ohne Beschönigung des Scheiterns von Liebesbeziehungen aufgezeigt! Die „Vermessung der Welt der Gefühle“, die von männlicher Seite eher verdrängt ist und bei Frauen oft in eine Opferrolle oder auch in eine unerfüllbare Erwartungshaltung mündet, wird in unserer Gesellschaft
    meist ignoriert und bagatellisiert – bestenfalls in Stammtisch-Manier „abgehandelt“.

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