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Helmuth Schönauer
Ein antriebsfreudiges Volk!
Stichpunkt

„Wir sind eben ein antriebsfreudiges Volk!“ – Oft sagt die Eigeneinschätzung einer Führungselite tatsächlich etwas über den Charakter einer Bevölkerung aus.

Deutschland produziert in letzter Zeit zunehmend verstörende Bilder, was wahrscheinlich mit dem  Wahlkampf zu tun hat. Quasi rund um die Uhr liefern verbale Außenposten den Originalton zu versteppten Ländereien, zu Borkenkäfer-Wäldern und zu Weingegenden, die vom Hochwasser frisch verwüstet wurden.

Wenn genug Elend gezeigt ist, kommt verlässlich die Frage nach dem Zusammenhang mit dem Klimawandel. Und wenn dieser heftig genug bejaht worden ist, getraut sich manchmal jemand zu fragen, ob man eventuell auf deutschen Autobahnen ein Tempolimit einführen könnte, quasi als 130er Piktogramm gegen das Unglück.

Ha, aber dann sprudelt es aus den Machern heraus: Wir sind ein Land, das für das Auto lebt! Wir entwickeln immer wieder neue Antriebe! Wir sind ein antriebsfreudiges Volk!

Nach solchen erfreulichen Nachrichten wird meist ins Sportstudio geschaltet. Und wenn gerade irgendwo olympische Spiele sind, geht es ab ins Olympiastudio. Von dort muss dann berichtet werden, dass die deutsche Antriebskultur manchmal an ihre Grenzen stößt.

Plötzlich geht ein Bild um die Welt, auf dem zu sehen ist, wie eine sogenannte „hässliche Deutsche“ mit grotesk verzerrtem Antlitz auf ihr zugelostes Pferd einschlägt, weil dieses die Reiterin nicht über die Hürde zur Goldmedaille lüpfen will.

Plötzlich versagt der Antrieb. Oder zumindest das Pferd hat keinen. Aus diesem bemerkenswerten Bild lassen sich dutzende Stories herauslesen. Etwa, wie die Pferde üblicherweise zur Fleischkäs-Presse getrieben werden. Ob man mit Impfgegnern so umgehen soll, wie mit einem zugelosten Pferd? Ob man eine gewaltbereite Reiterin ebenso psychologisch betreuen muss wie einen Mann, wenn dieser die Gerte auspackt?

Das Bild wird mit einem anderen Antriebsbild in Verbindung gebracht, wo ebenfalls die deutsche Antriebstechnik versagt hat. Als ein Radfahrer etwas schwächelt, ruft ihm sein Trainer die unvergesslichen Worte zu: „Hol sie dir, die Kameltreiber!“

Das ist Antriebstechnik pur!

Apropos Kameltreiber: auf der ganzen Welt werden inzwischen jene ausgewählten Kamelrennen mit Wonne betrachtet und bewettet, bei denen ein sogenannter Antriebsroboter den Tieren zu Speed verhilft.

Ein kleines Maschinchen in der Größe eines Kochtopfs wird zwischen die Höcker des Rennkamels geschnallt. Aus dem Automaten ragt ein kleines Peitschchen hervor, das per Funk gesteuert werden kann und dem Tier so richtig einheizt. Einpeitschen hat man vor dem Klimawandel dazu gesagt.

Die Kamelmeister sitzen am Rand der Rennbahn und steuern ihre Tiere wie mit einer echten Spielkonsole. Solche „Kameltreiber“ lassen die deutschen Anfeuerer ziemlich alt aussehen.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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