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Helmuth Schönauer bespricht:
Florian Klenk
Bauer und Bobo
Wie aus Wut Freundschaft wurde.

Jeder Journalist hat im Innersten ein Märchen abgespeichert, das die Welt verändert und alles gut macht, wenn es erzählt wird. Von Zeit zu Zeit werden diese Geschichten vom Happy-End durch Erzählen aufgefrischt und mit Datenmaterial aus der Peripherie oder dem Prekariat aufgeladen.

Florian Klenk, Jurist und Investigativ-Journalist, verbringt mittlerweile gefühlte zehn Tage in der Woche in einer Talkshow. Wo immer man hinzappt: er ist schon dort. Bei einer solchen Talkshow, sinnigerweise im Privatsender eines Dosenfabrikanten am Salzburger Flughafen abgehalten, prallen eines Tages zwei Blasenvertreter aufeinander und werden Freunde, indem sie einander in der jeweils anderen Blase besuchen.

Das Märchen vom Bauern und Bobo hat seinen Ursprung wie alles, was von Relevanz ist, in Tirol. Auf einer Tiroler Alm wird eine deutsche Urlauberin von einer Kuh zu Tode getreten. Es ergeht das sogenannte „Kuhurteil“, das die heimischen Bauern auf die Barrikaden treibt, weil es eine Mitschuld des Bauern feststellt.

Die Aufgabe des Erzählers besteht nun darin, in der Dosen-Talkshow das Urteil für ein breites Publikum zu erklären. In der Folge wird der Erzähler alle paar Seiten im Buch darlegen, dass er Jurist und das die einzige Möglichkeit ist, die Wahrheit zu erkennen. Als solcher wird der Erzähler heftig im Netz beschimpft. Man wirft ihm vor, in einer Wiener Blase zu sitzen und nichts von den Bauern zu verstehen. Besonders tut sich ein gewisser Bachler hervor, der ebenfalls in einer Blase sitzt. In der Folge wird er „der Wutbauer“ genannt, damit das Märchen einen zusätzlichen Helden hat.

Journalist und Wutbauer treten in Kontakt, der Talk-Profi besteigt Railjet und Murtalbahn, um den analog schweigsamen, aber netzaffinen Kombattanten zu treffen. Allmählich zeigt sich, dass der Wutbauer von der Genossenschaftskasse drangsaliert wird und eine Zwangsversteigerung ins Haus steht. In einem tollkühnen Coup gelingt es den beiden mit Hilfe eines Schwagers und Tirolers, eine Webseite hochzuziehen, die im Crowdfunding die benötigte Summe aufstellt.

Jetzt ist alles wie im Märchen: Der Wutbauer wird gerettet und nach einer Auszeit wieder gesund. Der Journalist hingegen ist stolz auf sein Jusstudium und sitzt, wenn er nicht gestorben ist, wieder in einer Talkshow und erzählt das Märchen vom Bauern und Bobo, das es auch als Buch gibt, indem man es in die Kamera hält.

Hinter diesem schmalzigen Journalismus, der sich zur Abwechslung ins Sozialdrama eingenistet hat, stecken natürlich eine Menge Robin Hood und der Glaube, mit den Medien die Welt verbessern zu können durch Infantilisierung von Problemen. Der Erzähler redet nämlich nicht nur mit sich selbst ständig in juristischer Ich-Form, sondern lässt sich auch vom Vater erzählen, wie das früher in Niederösterreich mit dem Schlachten, Essen und Dorfleben gewesen ist.

Zusätzlich nimmt er seinen Buben mit auf den Bauernhof, damit er mit dem Hund bis übers Buch hinaus Freundschaft schließen kann. In diese Freundschaftstour sind journalistische Kleinarbeiten über die Massentierhaltung, das Verschwinden der bäuerlichen Welt und die unaufhaltsame Kapitalisierung der Landschaft eingestreut. Kleine Bildchen im Stile von Emoticons zeigen Kuh, Yak oder Hund für User einer fremden Blase.

Vieles wird im Duktus einer Talkshow vorgetragen. Das Buch scheint eher ein Begleitprogramm zur Tour durch die Kanäle zu sein, als dass jemand ernsthaft glaubte, dass ab und zu auch heute noch Menschen selbst lesen können. In dieser Aufmachung erinnert Bauer und Bobo an eine Eigenpromotion, wie wir sie von vielen selfiegepushten Journalisten kennen. Wer erinnert sich nicht an die sagenhaft lauten Ich-Bücher von Ö3-Moderatorinnen oder an Heinz Prüller, der selbst mit den eigenen Taschentüchern noch schmalzige Interviews geführt hat?

Ein zweites Genre, das gestreift wird, ist der sogenannte Ombudsmann-Journalismus. Dabei schaut man, ob das behandelte Schicksal genug Druck auf die Lesedrüse erzeugt, sodass man es behandeln kann. Wichtig ist auch, dass bei der Lösung des Problems niemandem auf die Zehen gestiegen wird. Eine Crowdfunding-Misson ist daher ideal für schmerzfreie Ombudschaft. Jedem Leser werden dutzende Fälle einfallen, an denen die Bobo-Methode abprallt, weil sie zu wenig trendy sind.

Und die dritte Komponente ist jene der intergenerativen Integration eines Problems. Schon bei Adalbert Stifter wurden die Sorgen des Alltags dadurch gemildert, dass sie der Enkel dem Großvater erzählte, während er von diesem über einen Zaun gelüpft wurde.

Ein Märchen hat den Vorteil, dass ihm letztlich niemand vorwirft, dass es erzählt wird. Außerhalb der Bobo-Szene gibt es den schönen Spruch: Ein Jurist, der sein Sprachkorsett verlässt, wird zu einem unerträglichen Moralisten.

Florian Klenk: Bauer und Bobo. Wie aus Wut Freundschaft wurde.
Wien: Zsolnay 2021. 155 Seiten. EUR 20,60. ISBN 978-3-552-07259-6.
Florian Klenk, geb. 1973 in Wien, lebt in Wien.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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