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Helmuth Schönauer bespricht:
Gert Weihsmann
Ischgler Schnee
Kriminalroman

Krimis sind wie Outdoor-Funktionskleidung. Die User werden zu Markenträgern degradiert und im Glauben gelassen, etwas Sinnvolles gekauft zu haben. Dabei geht es nur darum, ein Logo auf der Windjacke durch die Gegend zu tragen, beziehungsweise das Krimi-Cover möglichst breit herumzuzeigen.

Da mittlerweile alle Orte der Welt einen eigenen Krimi haben, ist mit dem Markennamen des jeweiligen Ortes ein umfangreicher Handel entstanden. Nicht nur die Tourismusverbände zahlen für die breite Verwendung ihrer Orte auf möglichst vielen Roman-Seiten, auch die Autoren sichern sich bereits Jahre voraus einen medialen Hotspot als Markennamen für einen Krimi, mit dem sie ins große Geschäft einzusteigen trachten.

Gert Weihsmann hat sich offensichtlich nach dem virologischen Desaster mit dem Ischgler Kitzloch gleich die Rechte für einen Marken-Krimi gesichert. Als erfahrener „On-Trade-Field-Manager“ bei einem internationalen Getränkekonzern kann er einen Blick hinter die Kulissen riskieren, ohne gleich von der Abwehrmauer des Ischgl-Marketings niedergewalzt zu werden.

Der ausführende Verlag bereitet zudem so gut wie alle Tourismusorte der Alpen mit lokalen Mordgeschichten auf, in seinem Prospekt stellt er am Buchende die Serie „Lieblingsplätze“ vor, da kommen noch einmal alle Gegenden in die Auslage, dieses mal freilich ohne Leichen.

Schon der Titel „Ischgler Schnee“ spielt mit dem Gedanken einer großen Verbreitung des Werks, der Ort ist eine Premium-Marke, und die doppelte Bedeutung von „Schnee“ spricht Nasen-Sauger wie Pisten-Schweine gleichermaßen an.

Der Aufbau des Romans ist als Fels-zackiger Dreischritt ausgeführt: Fall, Snow, Death.

Im Prolog räumt wieder einmal ein abgefackter Kommissar in Wien seinen Schreibtisch, um in Pension zu gehen. Aber während ihm alle einen fröhlichen Ruhestand wünschen, bereitet er sich auf eine Amok-Pension vor. In der Ukraine hat er bereits ein heimtückisches Gift bestellt, das er in Tirol zum Einsatz bringen wird.

In Ischgl kommt indes pünktlich nach dem Opening die erste Leiche zum Vorschein. Einen Barmixer aus Ungarn hat es umgehauen, eher aus Langeweile wird eine Obduktion angeordnet.

Die Struktur der einheimischen Hotelbesitzer und zugekauften Fachkräfte wird auf den ersten Seiten skizziert. Die einen sind fleißig und gut, die anderen sind drogenabhängig und schlecht. Die Spannungen im Ex-Dorf erweisen sich als so groß, dass man das Leben nur als eingeschneite Halbsaison aushalten kann. Als Ganzjahresbetrieb wäre dieses übergeschnappte Soziotop aufgeschmissen.

Der Krimi vom „Ischgler Schnee“ lässt sich in der Folge locker-rasant lesen, er ist professionell gestaltet und hält sich an die Erzähl-Regel, wonach man alle zehn Seiten zusammenfassen muss, was bisher geschah, weil er auf das Kurzzeitgedächtnis des Lesers aus ist und damit rechnet, dass beim Umblättern alles Gelesene verlorengeht.

Der Plot spuckt ständig frische Leichen aus, bei der siebenten steigt der neue Kommissar aus Wien ein, er stammt aus Tirol und hat in seiner Jugend in Ischgl gekellnert. Jetzt kommt ihm das Insider-Wissen zugute und er glaubt bald an einen einheimischen Täter, denn dessen Wirken erstreckt sich über die Aufenthaltsdauer eines durchschnittlichen Touristen hinaus.

Gruseliger Höhepunkt ist das Präsent, das der Ermittler in seinem Zimmer findet, in einer Hutschachtel sind Körperteile eines Kindes, das einem Millionärsehepaar gehört. Diese Herausforderung an den letzten Funken Ethos beschleunigt die Handlung fulminant, am Schluss kommt es zu einem Showdown mit Helikopter. Die genaue Auflösung des Falles wird hier nicht verraten, um potentielle Spannung nicht zu unterbrechen.

Für Nicht-Krimi-Leser lohnt es sich, den Roman unter den Aspekten einer Gesellschaftsstudie zu lesen. Der Autor hat alle Figuren mit einer Ich-Erzählposition ausgestattet. Das Ich kann also ein Ermittler, Hüttenwirt, Gastronom, Nutte, Gast, Millionär oder Escort-Dame sein. Dieses Identitäts-Modell zeigt die Aufsplitterung der Gesellschaft in lauter hochgezüchtete, wehleidige Ichs, die nur durch hemmungslosen Konsum und kollektiven Rausch zusammengehalten werden.

Wie in einem Katastrophenfilm erfährt man etwas vom Schicksal hoch-gepushter Mode-Jungs, ehe diese mit Privatjet einfliegen, um ein paar Tage mit Modeln und Koksen zu verbringen. Jemand anderes hat gerade eine finale Krebsdiagnose erhalten, und will sich in Ischgl noch einmal den ultimativen Kick geben. Oligarchen geben den Ort mit großem Gestus in der Investment-Map ein, um darauf einen Goldbarren abzulegen. Die Gäste sind jedenfalls die Schaumkrone einer Gesellschaft, die von Champagner lebt und jegliche Erdung verloren hat.

Diesen verwahrlosten Erlebnisprofis steht eine einheimische Bevölkerung gegenüber, die man ironisch als „Winterbauern“ bezeichnet: sie bauen Schnee an und ernten Gold. Auch sie haben längst jeden Zusammenhang zu ihrer Herkunft verloren und unterscheiden sich durch nichts von „Öligarchen“, die durch Gas reich geworden sind.

Über allem schwebt das gnadenlose Motto: „Relax, if you can!“ Die Preise sind unverschämt, es wird rund um die Uhr geneppt (92) und die auftretenden Personen gleichen Fußballern, die in einer guten Saison ihr Leben hereinspielen müssen, weil sie bald, zum Krüppel gefault, ihre Karriere beenden.

Der Ermittler als Ober-Ich kann nicht kalt bleiben bei diesem Treiben. Am meisten erschüttert ihn, dass er selbst innerhalb von dreißig Jahren alles hat kommen sehen. Während seiner Zeit als Jugendlicher hinter der Bar hat er schon den Wahnsinn gespürt, der nun Fleisch geworden ist. Die Mordserie erscheint umso logischer, als sie vermutlich selbst bloß eine entgleistes Unterhaltungsprogramm ist.

Gert Weihsmann hat einen klugen Krimi abgeliefert, der ohne zu moralisieren zeigt, wie eine apokalyptische Unterhaltungsindustrie in einem Alpendorf aussehen kann. Manchmal schimmert etwas wie Mitleid durch, denn diesen Hotspot an Pseudoglück kann niemand im Zaum halten. Wie bei Krebsgeschwüren hilft ab einem gewissen Stadium keine Operation mehr, Ischgl ist ein Fall für das Hospiz.

Im Epilog blickt eine sterbenskranke Person auf den Atlantik hinaus, um sich schon einmal an den weiten Blick nach dem Tod zu gewöhnen. Jetzt nützt keine Après-Ski-Erfahrung mehr, um das mit dem Leben zu klären.

Gert Weihsmann: Ischgler Schnee. Kriminalroman.
Meßkirch: Gmeiner 2021. 344 Seiten.

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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