Hannes Hofinger
Der Literaturnobelpreis als Freibrief für Quatsch?
Oder: Dürfen bekannte Autoren alles unters dumme Volk kotzen?
Ich habe es dreimal versucht. Dreimal habe ich mich durch Handkes Buch gequält, dann habe ich nachgeschaut, was der Verlag auf seiner Homepage zum Inhalt des Buches sagt:
»Eine weitläufige Szene«, ein öffentlicher Ort, »freilich kein freier Platz«; möglicherweise in der spanischen Provinz Avila oder in Humpolec in Böhmen, jetzt oder zu einer anderen Zeit. Ein Erzähler, der einer von »uns« ist, umschreibt Ort und Zeit für das folgende Spiel. Die Spieler, das sind Übriggebliebene einer ursprünglich dicht bevölkerten Szenerie, Einheimische, Zugereiste, Inländer, Ausländer, Junge, Ältere, vielleicht die letzten Gäste eines Festes. Das Drama, das sie in einem abendlichen, dann nächtlichen Gespräch vergegenwärtigen, hat bereits stattgefunden: Im März 2003 verbrannte sich der 18jährige Zdenek Adamec aus Protest gegen den Zustand der Welt vor den Augen der Öffentlichkeit auf dem Wenzelsplatz in Prag.
Eine wahre Begebenheit? »Mit wahren Begebenheiten könnt ihr mich jagen. Und lang genug nun im Leben war ich ein Gefangener all der Aktualitäten«, sagt einer. Ein anderer hat recherchiert und liefert Fakten. (»Recherchen, du? Ganz was Neues!«) Wie erzählen von Adamecs Leben und Sterben angesichts einer über oder falsch informierten Welt, die Zdenek Adamec dennoch vergessen hat? Wie überhaupt leben, wenn der Blick in die Welt Empörung erzeugt, Scham oder den Wunsch, auszusteigen.
Handkes Figuren sind Profis im Über- und Umspielen, ihr letztes Gespräch ist ein leichtes, temporeiches einander ins Wort Fallen, Korrigieren, Kalauern, ein Spiel vom Fragen. Nebenschauplätze dieses Welttheaters beschreiben sie, Träume, Anekdoten: Wie Adamec seinem Vater, dem Steinmetz, zur Hand ging, die Werkzeuge aber nie an ihren Ort zurückstellte, ganz so als ließe sich so eine neue, weltverändernde Ordnung herstellen. »Alleinspieler« wird Adamec von ihnen genannt oder auch »mutterseelenallein«.
In ihrer Zugewandtheit gegenüber Zdenek Adamec sind diese Spieler mitreißend. Auch darin, wie sie diesen jungen Menschen mit all ihren erzählerischen Mitteln, ins Leben zurückzurufen. Wie Trainer einer Jugendmannschaft am Spielfeldrand, begleiten sie Zdeněks letzten Weg mit einem »Schrei, Zdeněk!« und »Augen auf, Zdeněk!«. Fast möchte man glauben, dieses Spiel auf Erden sei noch nicht verloren.
Ich verstehe es immer noch nicht. Handke hat das Werk für die Salzburger Festspiele 2020 geschrieben, also habe ich einen guten Freund, der die Uraufführung gesehen hat, befragt.
Er mailte mir Folgendes:
Der Handke ist irgendwie merkwürdig. Ohne das Programmheft, in dem die 2003 niedergeschriebene Lebensgeschichte des Zdenek Adamek beschrieben ist, kommt man mit der faden, ewig langen und banalen Schilderung der Vorgeschichte nicht zurecht und ist dann von der Dramatik des Geschehens überrascht. Vor allem die Hintergründe des Darkers und der Bombenbastelei gehen völlig unter, wenn man`s nicht weiß. Gerade der Vater machte die Polizei mit der Drohung einer zweijährigen Haftstrafe für den psychischen Ausflipper des Sohnes verantwortlich. Die wenigen „wertvollen“ Textstellen leiden unter der schlechten Verständlichkeit einiger SchauspielerInnen, wobei, die zwar echt näselnde Sophie Semin, immerhin derzeit Konkubine des Nobelpreislings, auch nicht gerade überragend, wenn auch glaubhaft bourgoise spielt.
Ich bin beruhigt. Ich bin nicht der einzige Dummkopf. Und ich wage zu behaupten, dass ein unbekannter Autor, der so etwas zusammengestoppelt hat, bei den Lektoren eines hochgeschätzten Verlages niemals in die engere Wahl gekommen wäre.
Dürfen bekannte Autoren alles unters dumme Volk kotzen?
Und noch ein kleines Beispiel: Ein in Österreich weltberühmter Krimiautor gibt einen Kommentar über seine Wahlheimat in einem Regionalblatt ab. In einem einzigen Absatz zehn Rechtschreibfehler! Ich frage den Verleger, ob sie denn in der Redaktion keine Lektoren hätten? Ja, natürlich haben wir dafür eine Expertin, aber bei schriftlichen Einsendungen wagen wir es bei so prominenten Autoren nicht, zu korrigieren.
Peter Handke, „Zdeněk Adamec“,
Suhrkamp Verlag, 71 Seiten, € 20,60
Nähere Informationen zum Autor: www.hannes-hofinger.at