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Alois Schöpf
Experten in der Kultur? Ein Horrorszenario!
Essay

In der Serie „Zukunft der Kultur“ ging Redakteur Stefan Weiss in der Onlineausgabe des „Der Standard“ vom 14. März 2021 der Frage nach, inwieweit sich die Kulturförderung nach Abklingen der Corona-Pandemie ändern werde bzw. ändern müsse. Dabei zitierte er einen gewissen Thomas Diesenreiter, Interessensvertreter der freien Kulturinitiativen in Oberösterreich, mit der Forderung, die Politik möge die Höhe der Budgets und die Spielregeln festlegen, die konkrete Vergabe von Mitteln möge jedoch unabhängigen „Experten*innen“ überlassen werden.

Da ich dem brav gendernden 34-jährigen Herrn Diesenreiter gegenüber den Vorteil bzw. Nachteil habe, um 36 Jahre älter zu sein und damit einen 36 Jahre länger währenden Überblick über die österreichische Kulturszene zu haben, kann ich seinen Vorschlag nur als reichlich naiv bezeichnen und prognostizieren, dass, wenn er jemals Realität würde, hiermit das endgültige Ende einer Kulturpolitik, die diesen Namen noch verdient, eingeläutet würde.

Folgende Überlegungen führen zu dieser meiner Einschätzung:

1. Schon bisher war es leider üblich, in kulturpolitische Positionen Damen und Herren zu berufen, die von Kultur, von allfälligen Opern- Theater- oder Konzertbesuchen abgesehen, meist keine Ahnung hatten und, oft vollgepackt mit anderen Aufgaben wie „Öffentlicher Wohnbau“ oder „Verkehr“, auch gar nicht die Zeit erübrigen konnten, sich mit einem Thema zu beschäftigen, das im Gegensatz zu vielen anderen, in denen Sachzwänge die Entscheidungen dominieren, für politische Gestaltung relativ viele Möglichkeiten freilässt. Wenn diesen Politikern nun großzügig die Detailkenntnis im Hinblick auf ihre Entscheidungen abgenommen würde, weil selbige an Experten übergingen, würde ein bis dato in vielen Fällen schon unerträgliches Banausentum zum geheiligten Standard erhoben. Undenkbar, dass Ähnliches etwa von den Bauern bei einem für die Landwirtschaft zuständigen Minister oder Landesrat akzeptiert würde, wenn er, um ein Schaf von einer Ziege zu unterscheiden, einen Tierarzt zu Rate ziehen müsste.

2. Im Gegensatz zu Experten, die sich im Bereich der Naturwissenschaften immerhin auf die wissenschaftliche Methode des Messens, Zählens und Wägens berufen können und im Hinblick auf die Anwendung dieser Erkenntnisse auf den Menschen die Ergebnisse von Doppelblindversuchen abzuwarten haben, gibt es im Bereich der Kunst keine Erkenntnisse im Sinne der exakten Naturwissenschaften, sondern bestenfalls im Sinne des gerade herrschenden Zeitgeists. So ist die gesamte Kunstgeschichte der Neuzeit auch als eine unendliche Abfolge von Fehlurteilen der Experten jenen Strömungen gegenüber zu beschreiben, die sich in der weiteren Entwicklung als innovativ erwiesen. Es sei an dieser Stelle nur an die Geschichte des „Salon de Paris“ erinnert, dessen Jurymitglieder mit wenigen Ausnahmen der Entwicklung der Romantik, des Naturalismus und vor allem des Impressionismus ablehnend gegenüber standen und somit die relevanten Strömungen ihrer Zeit großflächig verschliefen. Solchen zweifelsfrei aus gebildeten und durchaus um die Sache bemühten Mitgliedern bestehenden Jurys die Vergabe von Subventionen zu überlassen, wäre nichts anderes als die durch mangelnde kunstgeschichtliche Bildung bedingte Neuauflage eines historischen Großirrtums.

3. Als ein seit Jahrzehnten tätiger Schriftsteller und Journalist hatte ich schon mehrfach das Vergnügen, sogenannte Expertinnen und Experten, die in den Vergabegremien für Literaturstipendien saßen und sitzen, kennenzulernen. Wenn ich dabei an deren mittelmäßige und oft sogar miserable und langweilige Machwerke denke, mit denen sie sich aus Sicht der sie beauftragenden Ministerien und Kulturabteilungen ihren Expertenrang erschrieben haben, kann einen nur noch Verzweiflung überkommen, wenn man daran denkt, dass dieses Mittelmaß, abgesegnet von Politikerbanausen, nun, wenn es nach Diesenreiter ginge, eine undurchdringliche Diktatur des gerade gängigen guten, in Wahrheit jedoch schlechten Geschmacks errichten dürfte.

4. Wenn den Juroren des „Salon de Paris“ freundlicherweise immerhin noch Bildung und Engagement zugestanden werden darf, so sollte zugleich nicht ausgeblendet werden, dass, wie ich in meinem im Verlag Limbus erschienenen Essay „Wenn Dichter nehmen“ ausführlich dargelegt habe, nicht nur bei der Vergabe von Literaturstipendien längst im Rahmen so genannter objektiver Jurys die Korruption Einzug gehalten hat, indem jeweils genau jene Damen und Herren ein Staatsstipendium zugesprochen bekommen, die, aus purem Zufall natürlich, mit besonders durchsetzungsstarken Juroren befreundet sind. In noch viel ärgerem Ausmaß dominiert Korruption, wenn es darum geht, dass Mediokritäten wie Handke, Turrini, Mitterer oder Zoderer aufgrund von Gutachten, die keinem Gutachtergesetz unterliegen, zwischen 250.000 bis 750.000€ für ihren sogenannten Vorlass kassieren durften. Nur jemand, der die Kultur in diesem Lande endgültig zu ruinieren gedenkt, kann daher auf die wahnwitzige Idee verfallen, sogenannten Experten und ihrem „Gutachten“ die Vergabe von öffentlichen Geldern zu überlassen.

Wenn zu unserem Leben, gerade in Österreich als einer selbsternannten Kulturnation, unabdingbar auch Kunst und Kultur gehören, ob es nun die Bewahrung des öffentlichen Erbes und seiner Verlebendigung in Museen, Theatern und Opernhäusern ist, oder ob es die Darstellung und Vorwegnahme unseres zukünftigen Lebens durch künstlerisch tätige Menschen ist: Die umfassende Kenntnis all dieser Entwicklungen und ihre Ausgestaltung durch Unterstützung oder die Verweigerung derselben im Sinne des Gemeinwohls bleibt ureigenes Betätigungsfeld der Politik und kann niemals, an wen auch immer, ausgelagert werden.

Wo Politikerinnen und Politiker sich dennoch von kulturpolitischen Fragestellungen überfordert fühlen oder ganz offensichtlich überfordert sind, sollten sie besser heute als morgen zurücktreten. Es gibt genug kulturpolitisch Kundige, die sich auskennen und an ihre Stelle treten können; auch wenn sie nicht Mitglied einer intellektuell schlaftrunkenen Partei sind. Aber dies ist wahrlich nicht das Problem von uns Bürgern oder der Kulturschaffenden, die immerhin Politiker abwählen können, sogenannte Expert*innen jedoch nicht.

Alois Schöpf

Alois Schöpf, Autor und Journalist, lebt bei Innsbruck. Alois Schöpf schreibt seit 37 Jahren in Zeitungen und Zeitschriften, zuletzt seit 28 Jahren in der Tiroler Tageszeitung, pointierte und viel gelesene Kolumnen. Er ist einer der dienstältesten Kolumnisten Österreichs. Zahlreiche Veröffentlichungen, bei Limbus: Vom Sinn des Mittelmaßes (2006), Heimatzauber (2007), Die Sennenpuppe (2008), Platzkonzert (2009), Die Hochzeit (2010), Glücklich durch Gehen (2012), Wenn Dichter nehmen (2014), Kultiviert sterben (2015) und Tirol für Fortgeschrittene (2017). Zuletzt erschien in der Edition Raetia Bozen gemeinsam mit dem Fotografen und Regisseur Erich Hörtnagl "Sehnsucht Meer, Vom Glück in Jesolo", die italienische Übersetzung wurde zeitgleich präsentiert. Und es erschien, wieder bei Limbus, "Der Traum vom Glück, Ausgewählte Alpensagen". Schöpf ist auch Gründer der Innsbrucker Promenadenkonzerte und leitete das erfolgreiche Bläserfestival fünfundzwanzig Jahre lang bis 2019.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Lieber Alois,
    danke für dieses Essay. Ich, als Filmmensch, der auch von Förderungen abhängig ist (der österreichische bzw. deutsche Sprachraum ist zu klein, um die Kosten eines Films einspielen zu können, trotzdem ist die Wertschöpfung so, dass sich immer ein Plus für den Staat ergibt), stelle fest, dass Juroren, im Falle dass sie das dem momentanen Zeitgeist Entsprechende gut genug kennen, nur Projekte fördern, die ähnlich sind dem, was sie kennen. Innovatives oder von Bekanntem Abweichendes bekommt nur Geld – nicht weil man es als solches erkennt – sondern höchstens durch Zufall oder wenn der/die Einreicher/in der Jury den/die Einreicher/in auf irgendeine Weise „besonders“ mag oder mögen muss.
    Also wurschteln wir irgendwie weiter.
    Alle Liebe
    Reinhard

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