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H.W. Valerian
Zwischen Habsburg und Nazis
Notizen

Wie ich sehe, nehmen die adeligen Dokumentationen im ORF kein Ende. An einem zufällig ins Auge gefassten Tag, nämlich Dienstag den 25. Jänner, hatten wir auf ORF III drei Folgen der Reihe Erbe Österreich im Hauptabendprogramm, und alle drei beschäftigten sich entweder mit den Habsburgern, mit der Kaiserin Sissi oder gar – man glaubt’s kaum – mit dem „Glanz des alten Adels“.

Und mit derlei werden wir nun schon seit Monaten geplagt. Zuerst war es eine schier endlose Folge von Sissi-Verfilmungen und Dokus, so als sei sie eben erst verstorben. Und als dieses Material erschöpft war, da kam die Kaiserin Maria Theresia dran. Flankiert von einer langen Parade von Filmen über weniger bedeutende Figuren. Was denken sich die Programmmacher am Küniglberg eigentlich dabei?

Obwohl: Gar so genau hab’ ich das Ganze ja nicht mitverfolgt. Ich hab’s nur wahrgenommen – aus den Augenwinkeln quasi –, wenn ich das Fernsehprogramm überflog, um zu sehen, ob’s was Sehenswertes gab. In Anbetracht der Zahl von Fernsehprogrammen ist solches ja erstaunlich rar. Der Rest ist Mist auf vierundzwanzig Kanälen.

Umso schwerer wiegt der Aristo-Trip unserer heimischen Programmmacher. Was für einen Sinn macht ein Staatsrundfunk, wenn er nicht für uns und zu uns spricht? Wozu ich wahrscheinlich bekennen sollte, dass ich sehr für einen solchen Staatsrundfunk bin. Wir brauchen eine österreichische Plattform, glaube ich; wir brauchen eine Stimme, in der wir uns wiedererkennen und der wir vertrauen. Wenn’s die gibt, wenn die gesichert ist, dann können wir auf gut Österreichisch beruhigt motschgern. Aber erst dann.

Umgelegt auf die Aristo-Manie beim ORF würde das nichts Gutes bedeuten. Sind wir auf dem Weg zurück zu Kaiser, Habsburg, Graf Bobby und Graf Rudi? Unterwegs in eine Ära der unverhohlenen Nostalgie, trotz allem, was wir inzwischen gelernt haben? Und wenn dem so wäre – warum? Wo liegen die Wurzeln dieser Sehnsucht? Hat diese unsere Zweite Republik nicht genug geleistet? Hat sie sich nicht glänzend bewährt?

Ich weiß schon, ich weiß schon: So darf man den Österreichern nicht kommen – einer großen Anzahl von ihnen, ist damit gemeint. So rational. So langweilig. Vielleicht fangen wir schon einmal an, wieder ein bisschen Unterwürfigkeit einzuüben? Respekt und Bewunderung für jeden adeligen Spross, der sich mehr oder weniger gelungen am Bildschirm präsentiert? Selbst wenn sich das, was er da präsentiert, als ausgesprochen öde herausstellt? Macht nix. Hauptsache ist der klingende Name. Habsburg-Lothringen, mein Gott!

Aber schön – es gibt ja noch andere Kanäle. ZDF Info zum Beispiel. Da stand am fraglichen Tag (siehe oben) ZDF-History auf dem Programm, wiederum drei Folgen. Und was bekamen wir zu sehen? „Kaum ein Sportereignis hat die Deutschen so bewegt wie das Wunder von Bern, der WM-Titel 1954. Doch auf dem Erfolg lastet ein dunkles Erbe: der Schatten der NS-Zeit.“

Das ist so originell, so überraschend, dass mir die Füß’ einschlafen. Nur leider ging’s an jenem Abend genau so weiter: Die nächste Sendung beschäftigte sich mit dem Psychologen von Nürnberg; gemeint waren die Nürnberger Prozesse, denen besagter Mann beigewohnt hatte. Danach kam eine Doku über Albert Speer. Noch eine! Nicht bloß nimmt das kein Ende, die Flut scheint vielmehr ständig zu steigen: Fernsehreihen, Zeitungsartikel, Bücher. Ein Schelm, der schlecht, nämlich ökonomisch dabei denkt. Oder karrieremäßig.

Ich kann zu diesem Thema einfach nichts mehr sehen, lesen, hören. Genug der Grausamkeiten, der sinnlosen Tode, genug auch des Krieges. Nicht bloß hab’ ich das alles schon so oft im TV gesehen (von der Lektüre ganz zu schweigen). Ich weiß ausreichend Bescheid, danke schön, wirklich Neues ist schon seit weiß-Gott-wann nicht mehr dazu gekommen.

Das heißt nicht, dass ich mich nicht für Zeitgeschichte interessierte, ganz im Gegenteil. Eben hab’ ich ein kritisches Buch über die berühmt-berüchtigte 68er-Generation gelesen, mit großem Wissensgewinn und mit großer Freude. Oder ein Buch über die Geschichte der deutsch-jüdischen Beziehungen. Die münden zwar auch in Wannsee und Auschwitz, gehen aber viel weiter zurück, tief ins 19. Jahrhundert. Und da hab’ ich eine ganze Menge gelernt. Ausgezeichnet!

Wenn’s nach ORF und ZDF ginge, dann müsste man den Eindruck bekommen, unsere Geschichte bestünde nur aus Habsburg und Nazis. Was für ein Zerrbild!

Wir wiederholen unsere Frage, in diesem Falle allerdings nur an die Herr- und Frauschaften vom ORF: Was denkt ihr euch eigentlich dabei?

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H.W. Valerian

H.W. Valerian (Pseudonym), geboren um 1950, lebt und arbeitet in und um Innsbruck. Studium der Anglistik/Amerikanistik und Germanistik. 35 Jahre Einsatz an der Kreidefront. Freischaffender Schriftsteller und Journalist, unter anderem für "Die Gegenwart". Mehrere Bücher. H.W. Valerian ist im August 2022 verstorben.

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