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Gerda Walton
Speisen wie Gott in Frankreich
In fremde Töpfe geschaut

Trinke nicht aus dem Krug, wenn Du aus der Quelle trinken kannst.
Leonardo da Vin
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Anderswo ist es anders. Wenn dem nicht so wäre und man Fleischkäse, der in Deutschland Leberkäse heißt, obwohl der Geschmack praktisch ident ist, oder das viel geliebte Wiener Schnitzel weltweit auf der Speisekarte antreffen könnte, wäre das langweilig. Man müsste dann überhaupt nicht wegfahren.

Trotzdem nehmen es nicht wenige, sonst eigentlich Wagemutige, im Verlauf einer Chinareise den Chinesen ziemlich übel, dass sie immer nur klebrigen Reis mit seltsamem Zubehör essen, von dem ich hier gar nichts aufzählen möchte, weil angeblich die eine oder andere Zutat kurz zuvor noch mit dem Schwanz gewedelt oder sich auf kriechende Weise fortbewegt hat. Allenfalls würde man sich ja mit einer Pekingente zwischendurch versöhnen lassen, aber die gibt es im Hotel nicht, da man sich dummerweise für die billigere Reisevariante entschieden hat.


England

Generell kann man schon sagen, dass über kaum ein anderes Thema weltweit so viele falsche Klischees im Umlauf sind wie über die Küche anderer Länder, die chinesische inbegriffen. Am beharrlichsten hält sich wohl der Irrglaube, dass man in England dem Hungertod ausgeliefert ist, was ganz und gar nicht der Fall ist. Vor allem nicht, wenn man Fisch & Chips mag.

In Großbritannien macht natürlich der Tee die Musik und bei einem nachmittäglichen Cream Tea mit Scones, Erdbeermarmelade und Clotted Cream werden so gut wie alle musikalisch, obwohl einem bewusst ist, dass sich der köstliche dicke Rahm binnen Minuten auf die Hüften legt. Da nimmt es auch niemand krumm, wenn im Tea Room die meisten Häferln abgesprungene Stellen haben, so lange nur die aufgemalten Rotkehlchen oder das Bluebells-, Fuchsien- oder Rosendesign noch erkenntlich sind.

Strotzten die Speisekarten der feudalen Landhotels noch vor kurzem von französischen Bezeichnungen wie coulis, timbale oder noisette d’agneau für ein  Lammfilet, so haben die Briten inzwischen auch die italienische Küche entdeckt und präsentieren sie mit geradezu hemmungsloser Leidenschaft und britischem Humor.

Wer sich allerdings darauf versteift, dass Nudeln oder Reis al dente gekocht sind, der sollte sich doch besser auf das altbewährte Roastbeef mit Yorkshire Pudding und dicker Krensauce verlassen, da machen die britischen Köche nichts falsch. Ehre, wem Ehre gebührt.

Die legendären Gurkensandwiches, so dünn, dass man ziemlich viele davon essen muss, bevor der Magen sein Knurren einstellt, bekommt man wiederum am besten dort, wo die Engländer einmal das Sagen hatten, inzwischen aber längst abgezogen sind: zum Beispiel im Reid’s Hotel in Funchal auf Madeira.


Schmerzgrenzen

Etwas Toleranz sollte man angesichts der für den Urlaub grundsätzlich angepeilten Andersartigkeit fraglos auch für die kulinarischen Seiten eines Landes aufbringen, aber es gibt gewisse Schmerzgrenzen.

Dass der im vulkanischen Dampf der Azoreninseln gegarte Cozido leicht schwefelt, mag ja noch als originell hingehen. Und eine Zeit lang kann man sich auch einreden, dass Chili, nachdem alle Gerichte in Malaysia, ganz gleich wie sie auf der Speisekarte auch benannt werden und wie liebevoll sie mit aufwändigem Schnickschnack dekoriert wurden, unisono nach dem Scharfmacher schmecken, seiner desinfizierenden Wirkung wegen in diesen Ländern unverzichtbar ist.

Wenn dann aber nach einigen Tagen sämtliche Verdauungsorgane allein schon beim Geruch von Chili zu streiken beginnen, bleibt einem aus Selbsterhaltungstrieb nichts anderes übrig, als sich mit Reis und Erdnusssauce am Leben zu erhalten, auch wenn der Reis in Fernost unter Garantie – wie schon erwähnt – klebrig ist.

Sonst könnte man ihn in Japan schließlich nicht mit Stäbchen essen, was ich übrigens überhaupt nicht anstrebe, da die Herstellung der hölzernen Einwegstäbchen bekanntlich auf dieser Erde bereits riesige Wälder vernichtet hat. Andere wieder könnten mit der täglichen Chili-Ration am liebsten bereits beim Frühstück beginnen und nehmen Unmengen davon und einschlägige Kochbücher mit nach Hause.


Frankreich

Um übrigens die in höchsten Tönen gepriesene französische Cuisine aufzuspüren, muss man über einen ausgeprägten Jagdhund-Instinkt, noch besser aber über ein beträchtliches Urlaubsbudget verfügen. Schreien Sie jetzt nicht empört auf, aber nirgendwo isst man als Tourist schlechter als in Frankreich.

Zum Glück gibt es viele kleine Boulangerien, in denen man sich mit frischem Baguette versorgen kann. So viele Brotsorten führen sie allerdings nicht wie ein Hotel am Roten Meer, in dem ich einmal eine Urlaubswoche verbracht habe, wo jeden Morgen rund 25 Sorten Brot zum Frühstück angeboten wurden und jeden Mittag und Abend so um die 50 verschiedene Nachspeisen in Stückchen, Würfelchen, Röllchen und Gläschen, so dass einem letztlich nur mehr das Stoßgebet einfiel: O Herr, Du hast mir das Können genommen, nun nimm mir auch das Wollen! – während im kleinen Ort draußen in der Wüste, mit respektvollem Anstandsabstand von unserem Hotel, vermutlich sehr viele mit sehr wenig zurechtkommen mussten.

Sehr individuell verhält es sich wiederum mit dem Maisbrot in Costa Rica, vor dem ich vor einer Reise gewarnt wurde und folglich mit etlichen Packungen Haltbarbrot auf den Weg machte, was mir bei jedem Frühstück ziemlich neidische Blicke einbrachte. Dabei lebt der Mensch nicht von Brot allein.


Sehnsucht nach der Heimat

Es kommt natürlich auch auf die Länge des Urlaubs an, aber dauert er lange genug, erscheint einem während der noch zu überstehenden seltsamen Bordverpflegung auf dem Heimflug eine einfache heimische Wurstsemmel oder eine echte Münchner Weißwurst mit süßem Senf wie eine Fata Morgana, unerreichbar und unglaublich verlockend, und man macht sich überhaupt keine Gedanken, ob man die imaginäre Gaumenwohltat wohl nach bayerischen Regeln richtig zutzelt oder unorthodox mit Messer und Gabel verspeist.

Jedenfalls kann man nicht begreifen, warum das übrige Deutschland beharrlich auf der als Weißwurstäquator bezeichneten Kulturgrenze zu Bayern besteht, obwohl so ein Rheinischer oder Thüringer Sauerbraten mit Kartoffelklößen und Blaukraut auch nicht zu verachten ist. Natürlich nur, wenn keine sichtbaren Rosinen drinnen sind.


Trennendes

Übrigens schafft die Kulinarik nicht immer nur Verbindendes, sie kann auch trennen, wie der sich mitten durch die Schweiz ziehende Röstigraben beweist, der die romanischen Schweizer von den Deutschschweizern trennt. Dass Böhmen einst bei Österreich war, erkennt man unschwer an den Böhmischen Knödeln, mit denen sich nicht alle jene spontan anfreunden, die eher zu den Tiroler Knödelvarianten tendieren.

In teuren internationalen Urlaubshotels kann man während eines einwöchigen Aufenthaltes unter Garantie auf kulinarische Weltreise gehen, nur höchstens einmal pro Woche gibt es auch ein einheimisches Buffet. Aber einen griechischen Salat isst man zum Beispiel doch am besten in irgendeiner kleinen Strandtaverne mit Meerespanorama und Sand zwischen den Zehen.


Küche auf der Couch

Unter uns gesagt, so eine von der heimatlichen Couch aus angetretene Fernsehweltreise hat gegenüber dem echten Reisen einen wirklich unschätzbaren Vorteil.

Kann man doch nach dem Bericht über eine Trekkingreise durch die Weiten Tibets, wo es über Wochen wahlweise nur getrocknetes Yakfleisch oder saure Yakmilch gibt, oder auf einer Bootsreise zum Ursprung des Amazonas, wo die Wilden von gegrilltem Affenfleisch, Yamsknollen und ausgebuddelten dicken Maden leben, von Grausen geschüttelt ganz einfach die Kühlschranktür aufmachen und hat alles vertraut und hygienisch zur Hand, kühles Bier inklusive, während sich diese Wahnsinnigen im Fernsehen nun schon den dritten Tag im Sandsturm durch die Wüste Gobi quälen und die Wasserstelle einfach nicht finden können.

Was uns nicht umbringt, macht uns härter, hat irgendjemand einmal behauptet. Da ist fraglos etwas Wahres dran.

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Gerda Walton

Gerda Walton ist ein wandelndes botanisches Lexikon. Sie hat in den letzten Jahren weit über 600 Gärten dieser Welt bereist, die sie mit viel Einfühlungsvermögen auch fotografisch festgehalten und über die sie zahlreiche Artikel in renommierten Gartenzeitschriften geschrieben hat.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. c. h. huber

    am liebsten würde ich nun gleich aufbrechen und mir eine fleischkässemmel holen!

  2. Susanne Preglau

    Herzlichen Dank für Ihre launige kulinarische Weltreise!
    Als seit dem Jahr 1977 in Tirol lebende Wienerin nur folgende Anmerkung: Fleischkäse wird nicht nur in Deutschland, sondern auch in Wien Leberkäse genannt – ich hatte bei meiner Übersiedlung den Begriff Fleischkäse noch nie zuvor gehört.

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