Print Friendly, PDF & Email

Gerda Walton
Traumzeit
Bemerkungen zur Reisekunst

Nur wo Du zu Fuß warst, bist Du auch wirklich gewesen. (J.W.v.Goethe)

Gelegentlich kommen sie mir schon sehr verlockend vor, die Traumzeit- Erzählungen der australischen Aborigines. Die Ureinwohner dieses von uns so weit entfernten Kontinentes nahmen sich bekanntlich ab und zu eine Auszeit und gingen monatelang auf Wanderung, ganz ohne Hotelbuchung und Gepäck, sogar ohne Geld oder Nahrungsvorrat, da sie das wenige, das sie zum Überleben benötigten, selbst in den menschenfeindlichsten Gebieten aufzufinden imstande waren. Eine Fähigkeit, die den Touristen von heute völlig abhandengekommen ist.

Wir erkennen bestenfalls anhand einer weggeworfenen Cola-Dose, dass wir uns nicht ganz außerhalb der Zivilisation befinden, was etliche bereits nach einigen Stunden am manchmal doch etwas rauen Busen der Natur aufatmen und mit Erleichterung zum üppig gedeckten Hotelbuffet zurückkehren lässt.

Viele von uns bezeichnen den zumeist ein ganzes Jahr lang herbeigesehnten Urlaub als ihre Traumzeit. Obwohl es vorkommen soll, dass Urlaubsträume bei einer nachlässigen Planung durchaus in eine Alptraumzeit mutieren.

Zumindest erfährt man das in gewissen dem wahren Leben entnommenen Fernsehsendungen. Meist stellt sich zuletzt allerdings heraus, dass die von dramatischem Urlaubspech und einschlägigen Alpträumen Heimgesuchten bis zu ihrem Urlaubsantritt völlig darauf vergessen haben, auf ein sensationell billiges Internet- Schnäppchen hereingefallen zu sein, und nachtragend sind, wenn sich das Schnäppchen als zugeschnappte Falle herausstellt. Dass der Urlaub aber zu einem Preis angeboten wurde, der bei erfahrenen Reisenden von vorneherein sämtliche Alarmglocken hätte schrillen lassen, wird tunlichst verschwiegen.

Leider tragen auch Vulkanwolken, Tsunamis, Erdbeben, diverse Streiks, Terror und Kriege und natürlich Corona dazu bei, das Urlaubsvergnügen der armen Touristen zu schmälern, die sich dann möglichst rasch wieder in die heile heimische Welt verkrümeln, wo die Erinnerung an die armen Menschen, die noch in der Ferne ausharren müssen, zum Glück bald, spätestens jedoch bis zum nächsten Urlaub wieder verblasst.

Der Wind ist nur dem günstig, der weiß, wohin er segeln will. – sollte eigentlich als Wahlspruch über jedem Reisebüro stehen. Fragt man dort nämlich nach, so haben eher wenige eine konkrete Vorstellung davon, wo sie den nächsten Urlaub verbringen wollen.

Im Glücksfall wissen Kunden allenfalls, was sie nicht möchten, oder dass eine Disco oder eine tolle Wasserrutsche für die Kinder in der Nähe sein sollte. Natürlich gibt es auch Profis in Sachen Reisen, die bereits heute wissen, dass sie in zwei Jahren um diese Zeit die dünne Höhenluft von Machu Picchu einatmen oder die Schwüle des Amazonas befahren werden, aber das bedarf zumeist auch einer längeren budgetären Vorbereitung!

Interessanterweise haben Pilgerreisen über die Jahrhunderte hinweg ihre Attraktivität nicht verloren. Über die wohl berühmteste, den Jakobsweg nach Santiago de Compostela, hört man recht unterschiedliche Meinungen. Von Wasserblasen auf schmerzenden Füßen, Husten und Schnupfen, Raubüberfällen bis zu einem neuen Ehepartner hat man sich da schon so ziemlich alles eingehandelt, was aber insbesondere in Sachen Blasen nicht schicksalshaft ist, sondern eher mit mangelnder Reisevorbereitung zu tun hat. Hilf Dir selbst, dann hilft Dir Gott, dürfte auch auf einer Pilgerreise ein angebrachtes Motto sein, besonders wenn man dringend ein Pflaster benötigt und selbst Heilige ob des sakrotouristischen Ansturms ganz einfach überfordert sind.

Mit jemandem auf Campingurlaub zu fahren soll übrigens der schnellste Weg zur Erkenntnis sein, ob man es mit einem Partner auch im normalen Leben aushalten wird, da Camping aus den verschiedensten Gründen eine echte Herausforderung für jede Beziehung ist. Eine meiner Freundinnen hat aus diesem Grund ihre heiratsfähigen Söhne mit ihr ungeeignet erscheinenden Eheaspirantinnen immer wieder zu einem derartigen Urlaub animiert. Ziemlich erfolgreich, zumindest aus ihrer Sicht.

Die Weisheit, dass der Weg das Ziel sei, wäre auf den Urlaub bezogen folgendermaßen auf den Punkt zu bringen: Das Ziel sollte die Reise und ihren Preis wert sein. Dann darf der Weg in die Traumzeit ruhig weit und sogar beschwerlich ausfallen. Wenn die Schuhe gut passen, vergisst man bekanntlich auf die Füße.

Wenn Ihnen schoepfblog gefällt, bitten wir Sie, sich wöchentlich den schoepfblog-newsletter zukommen zu lassen, und Freundinnen und Freunde mit dem Hinweis auf einen Artikel Ihres Interesses zu animieren, es ebenso zu tun.


Weitere Möglichkeiten schoepfblog zu unterstützen finden Sie über diesen Link: schoepfblog unterstützen

Gerda Walton

Gerda Walton ist ein wandelndes botanisches Lexikon. Sie hat in den letzten Jahren weit über 600 Gärten dieser Welt bereist, die sie mit viel Einfühlungsvermögen auch fotografisch festgehalten und über die sie zahlreiche Artikel in renommierten Gartenzeitschriften geschrieben hat.

Schreibe einen Kommentar