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Helmuth Schönauer
Nachhaltige Justiz durch Selbst-Umerziehung
Stichpunkt

Kafka
Ein gutes Urteil hält bis zum Tod! – Franz Kafka, der Meister von Justiz und Literatur, hat seine großen literarischen Figuren dieser wundersamen Erkenntnis untergeordnet.

Im Process wird der Delinquent einen Roman lang aus dem Nichts heraus gerichtlich verfolgt und am Schluss in einem Steinbruch abgestochen wie ein Hund, was dieser beinahe erleichtert zur Kenntnis nimmt.

Im Schloss versucht ein Landvermesser bei seinem Auftraggeber, dem legendären Grafen Westwest, eine Audienz zu ergattern, um Näheres über seine Arbeitsaufgabe zu erfahren. Aber es kommt zu keiner klärenden Aussprache, weil die vorgelagerten Behörden ständig alles verhindern. Der Roman bricht unverrichteter Dinge ab, weil es selbst ihm nicht gelingt, einen gerichtsfesten Termin auf die Beine zu stellen.

Im Verschollenen verschwindet ein sechzehnjähriger Auswanderer in Amerika irgendwo in Oklahoma, nachdem er kurz beim Naturtheater angeheuert und dabei das N-Wort verwendet hat. Im Text ist von einem gewissen Negro die Rede, und der Sachverhalt wird heutzutage im aufgekratzten Milieu von Culture Cancel wöchentlich gerichtlich untersucht.

In allen drei Fällen jedenfalls wird die Justiz als sehr nachhaltig wirksam für das Leben der Helden dargestellt.


China
In China macht dieser Tage ein literarisch-komisches Urteil die Runde und erweckt sogar weltweit Interesse. Ein Komiker nämlich wird zu einer hohen Millionenstrafe verurteilt, weil er in einem Witz die Armee gekränkt hat.

Jeder Witz ist kontextgebunden, weshalb er für uns Europäer vielleicht gar nicht witzig ist. Aber Europäer sollen schon öfters Probleme mit dem Chinesischen Witz gehabt haben, wie umgekehrt auch viele Chinesen nicht über den Europäischen Witz lachen können.

Der Witz lautet übersetzt so, (Achtung Witz!):
Der Komiker Li Haoshi erzählt in einer Show, er habe zwei streunende Hunde adoptiert und sie bei der Jagd auf ein Eichhörnchen beobachtet. Da sei ihm ein Satz in den Sinn gekommen: Habe einen guten Arbeitsstil, sei in der Lage, zu kämpfen und Schlachten zu gewinnen – ein bekannter Slogan des Politbüros über die Volksarmee.

Jetzt muss er 14,7 Millionen Yuan (rund 1,94 Mio. Euro) zahlen, und vor physischem Ungemach bewahrt ihn nur das öffentlich-spontane Versprechen, sich selbst umzuerziehen!
[Quelle: red, ORF.at, 17.5.23]


Österreich
Das führt stracks nach Österreich, wo die Meister der Selbst-Umerziehung sitzen. Da fast alle Literaten von der Staatskasse leben, ist es für ein geordnetes Auskommen dieser Künstler notwendig, sich vor dem Einreichen für ein Stipendium selbst umzuerziehen.

Die Methode ist so nachhaltig und raffiniert, dass die darauf angesprochenen Künstler oft gar nicht mitbekommen, wie dieser Prozess sie ständig umschleicht. Die letzte größere Auseinandersetzung zwischen der Freiheit der Kunst und der Auslegung der österreichischen Mediengesetze gab es 1988 in der berühmten Enquete Der Zeit ihre Kunst – der Kunst ihre Freiheit – der Freiheit ihre Grenzen?

Dabei wurden zwanzig Fälle aufgerollt, die als Kunst vor dem Gericht gelandet sind. Die Hälfte wurde freigesprochen, die andere bedingt verurteilt.

Eine Auswirkung dieses Geistes zeigt sich nachhaltig darin, dass der Film Das Gespenst von Herbert Achternbusch noch immer verboten ist, obwohl sein Autor schon gestorben ist.

Hier geht Kafkas Diktum also über den Tod hinaus.


Konsequenz
Kein Gerichtsverfahren geht spurlos an den Delinquenten vorüber. Fragt man heute die noch lebenden Heroen der damaligen Enquete, so schwören alle, dass eine gelungene Selbst-Umerziehung die einzige Chance ist, den Fängen der Justiz zu entkommen.

Für KI-affine Literaten noch ein Tipp:
Da die KI ja kein Urheberrecht verströmen kann, kann man ihr ungeschützt in den Mund legen, was man selbst nicht sagen dürfte.

Freilich müsste die Fragestellung ziemlich frech sein, wollte man durch KI einen frechen Artikel generieren. Und die Kunst der Fragestellung bleibt bei staatlich gelenkten Schreibwerkstätten (Volkseigene Betriebe) in Österreich schon seit Jahrzehnten auf der Strecke.

Um den ausjudizierten Stillstand der österreichischen Literatur nicht zu gefährden, wäre es daher günstig, der KI beizeiten die Selbst-Umerziehung beizubringen.

 

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Helmuth Schönauer

Helmuth Schönauer (* 23. September 1953 in Innsbruck) ist Schriftsteller und Bibliothekar an der Universität Innsbruck. In seinen Romanen beschreibt er das Alltagsgeschehen skurriler Randfiguren auf dem Weg nach oben. Als beinahe lückenloser Rezensent der Tiroler Gegenwartsliteratur ist er Vertreter der "low lectured edition". Im sechsbändigen Tagebuch eines Bibliothekars sind knapp 5000 Rezensionen aus den Jahren 1982–2018 zu einem durchgehenden Fließtext zusammengefasst, der chronologisch nach Erscheinungsweise der rezensierten Bücher geordnet ist. Dadurch ergibt sich eine zeitgenössische Geschichtsschreibung anhand von Lektüre. Schönauer ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung.

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