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Friedrich Hahn
Buch ist bald mal was.
Über das Gemachte
von sogenannten Bestsellern
Notizen

Als einer, der selbst schreibt und Kritiken zu den Neuerscheinungen von Kollegen und Kolleginnen verfasst, kommt man schnell in Verdacht, dass man nicht objektiv ist. Und wenn besprochene Titel dann noch auf allen möglichen Bestenlisten stehen und man nicht in die Lobeshymnen miteinstimmt, ist man auch schnell der Neidische.

Nur zum besseren Verständnis: Früher arbeitete ich als Rezensent dem ORF, dem SPECTRUM/Die Presse und auch manchmal dem STANDARD zu. Da war ich nicht der Schriftsteller Friedrich Hahn, da war ich ORF, DIE PRESSE, oder der STANDARD. 

Heute betreibe ich nur noch einen Blog, führe als Autor Mein persönliches Büchertagebuch. Und bin überdies in einem Alter, wo man eher weiß, welche Bücher man nicht lesen will, als dass man weiß, welche man vermeintlich nicht auslassen sollte.

Anlass für diesen Artikel war eine Ablehnung. Valerie Fritsch landet mit ZITRONEN einen Bestseller. Ich bestellte bei Suhrkamp ein Rezensionsexemplar, bekam aber eine abschlägige RückMAILdung: Das Kontingent an Freiexemplaren sei erschöpft. 

Mein persönliches Büchertagebuch ist offenbar nicht wichtig genug. Ich musste mich mit den ZITRONEN als Leseprobe begnügen. Nun denn. Hätte ich nicht den Verlagstext gelesen, hätte ich nicht gewusst, worum es geht. 

Aber kein erster Satz, der mich neugierig gemacht hätte. Stattdessen viel Enge einer dörflichen Tristesse. Auch das kam mir bekannt vor. Hatte ich doch erst unlängst eine andere Leseprobe gelesen, den Beginn eines gefeierten Erstlings. 

Julia Josts Roman mit dem Titel, den man sich nur schwer merken kann, wurde in den ersten Wochen nach dem Erscheinen rauf- und runterbesprochen. In der aktuellen Buchkultur war Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht sogar die Titelstory. 

Auch hier. Viel Geografie. Viel Dorf. Und anfangs nicht der geringste Hinweis, worum es geht. Oder ein Satz, der mich neugierig gemacht hätte. Im Gegenteil. Sätze wie diese lassen mich Romane eher weglegen: Dazwischen immer wieder Bäume, zuerst vereinzelt, dann vermehren sie sich und drängen zu einem maßlosen Schatten eng aneinander, es ist nur noch Nadelwald. Bäume, die sich vermehren? 

Tja. Oder dieser hier: Bienen mäandern unter dem Gewicht der Blütenstaublast über die Felder wie Betrunkene. Nicht nur, dass die Bienen mäandern, sie müssen das auch noch wie Betrunkene tun. Geglückte Sprachbilder sehen anders aus. 

Angeblich erzählt Jost aus der Perspektive eines Kindes. Auch das ist nicht wirklich zu erkennen, nicht wirklich konsequent durchgehalten. Aber wen kümmert’s. Sind so die schiefen Bilder (s.o.) zu erklären? Spricht so ein Kind? Ich hab da meine Zweifel.

Die billige Ausrede für ihre seichte Sprache hat eine andere Autorin gleich am Titel preisgegeben. Barbi Markovic nennt ihrem Roman Minihorror und signalisiert damit auch gleich, wessen Stils sie sich bedient. Es ist der Stil von Comic-Figuren. Gleich im ersten Satz heißt es: Mini und Miki wollen nett sein, aber nichts ist einfach. Urghhh. Viel platter geht’s wohl nicht mehr. Aber wen schert’s. Ist ja bloß Comicsprache. 

Eine andere Geschichte (Spät im Kapitalismus) beginnt mit dem Satz: Manche Unternehmen sind tief, in ihnen gehen Leben verloren. Zwar geht’s um IKEA, aber da war wohl Onkel Dagobert beim Residenz-Verlag schnell mal als Berater zu Besuch. 

Barbi, der zur Kult-Kitsch-Puppe Barbie nur ein „e“ fehlt, wird ihre Kohle machen. Da bin ich mir sicher. Nächstens vielleicht mit einer Ken-Geschichte? Wer weiß…

Vom Migrantinnen-Bonus zum Promi-Bonus. Habe ich vor AutorInnen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, immerhin noch Respekt, sind Promis, die mal so ein Buch auf den Markt werfen, ein rotes Tuch für mich. Jüngstes Beispiel: des Kaisers neue Seiten, Palfraders Familienroman Ein paar Leben später

Als ich mich auf der Ueberreiter-Seite  -der Verlag übrigens, der auch Thomas Stipsits im Programm hat – als ich mich also auf die Verlagsseite klicke – von wegen Details und Leseprobe – ist der Roman noch mit null Seiten ausgewiesen. 

Die Legitimation für den literarischen Seitensprung erteilt sich Palfrader selbst, indem er sein Machwerk als Aneinanderreihung von Unwahrscheinlichkeiten bezeichnet. 

Aber gut getriggert ist noch lange kein Zeugnis für literarische Bedeutung. Die paar Leben später sind zwar ordentlich (angeblich über 30 Jahre) recherchiert, aber über eine Doku gehen die Schreibambitionen des Comediens nicht hinaus. 

Er hätte nichts verblödeln wollen. Wie ist das mit des Schusters Leisten? Na gut. Wirklich witzig würde ich eh nur finden, wenn der Roman tatsächlich nur null Seiten hätte. Miki würde jetzt mit einem hämischen Hehe in einer fetten Sprechblase reagieren. Aber inzwischen ist die Null auf der Ueberreiter-Homepage ohnehin auf 160 ausgebessert.

Tja. Sie wollen eine ehrliche Empfehlung von mir? Der Roman, der mich zuletzt literarisch am meisten beeindruckt hat, war Bodo Kirchhoffs Seit er sein Leben mit einem Tier teilt. Da liest man noch virtuose Sprachbilder, überraschende Formulierungen und echte Sprachperlen. Nachzulesen unter anderem auch auf https://leseliste702458521.wordpress.com/ , meinem Büchertagebuch-Blog.

Denis Scheck hat den Roman über einen alternden Hollywood-Nebendarsteller übrigens als am Rande des Kitsches abgeurteilt. Tja…so ist das halt mit den Geschmäckern…

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Hahn Friedrich

Geboren 1952 im Waldviertel / NÖ, schreibt und veröffentlicht seit 1969. 54 Bücher mit Lyrik, Prosa sowie 20 Arbeiten für den Rundfunk und für die Bühne (zuletzt „im rücken des schattens“, die rampe, Stuttgart 2004). Performances (u. a. im Centre George Pompidou/Paris im Rahmen der Polyphonix), Ausstellungen und Kataloge (u. a. „remakes“: Museum Moderner Kunst/Wien, „unterm strich“: Galerie Eichgraben, „allerhand hahn“: CA-Galerie im TZ). Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung und des Literaturkreises "Podium". Lebt in Wien/Alsergrund. www.literaturhahn.at

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