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Friedrich Hahn bespricht:
Vom Buchberserker zum Sprachvirtuosen.
Zu Bodo Kirchhoffs Roman
„Seit er sein Leben mit einem Tier teilt“

Meine Freunde wissen, dass ich ein Büchernarr bin, und fragen mich oft, was ich denn gerade lesen würde. Zuletzt brachte mich diese Frage in Verlegenheit. Ich konnte zwar den Autor nennen, aber beim Titel kam ich ins Stottern. Ich bekam es ein aufs andere Mal nicht und nicht hin: Irgendetwas mit einem Tier. Also ein alter Mann…

Und statt des Titels kam ich dann immer gleich auf den Inhalt zu sprechen.
Also gut. Warum nicht auch hier…

Kirchhoff hat seinen Samuel Goldwyn gelesen: Ein Film muss wie ein Erdbeben beginnen und sich dann langsam steigern. Kirchhoffs Einstieg hat tatsächlich etwas Filmisches, hat er doch selber auch schon so manches Drehbuch geschrieben. So sehen wir die Titelfigur, Louis Arthur Schongauer (75), anfangs gleich mit nacktem Oberkörper, schon in seiner Schlafhose, dafür aber mit einem gezückten Revolver, Kaliber 357 Magnum, in der Hand. Das Erdbeben kommt in Form der vierundzwanzigjährigen Bloggerin Frida, die mit ihrem Wohnmobil beim Wenden auf der steilen Auffahrt zu Schongauers Refugium und Alterssitz gestrandet ist.

Bei Lektüre des Buches muss man nicht lange über Wahrscheinlichkeiten nachdenken. Alle Figuren bestehen durch und durch aus Konjunktiven. Das lässt Platz für jede Menge Überraschungen. Und man kann sich über lauter kleine, feine Szenen freuen, die man so noch nicht gelesen hat.

Schon allein das Setting ist interessant. Zwei Frauen und ein Mann mit seiner Hündin, die durch Zufall im Haus des Mannes inmitten eines Olivenhains oberhalb des Gardasees zusammengekommen sind. Neben Frida, die mit der Panne, hat sich auch noch eine Almut Stein, eine Journalistin, die Schongauer um ein Interview gebeten hat, angesagt. 

Almut ist so Mitte 40, eine von jenen Frauen, die erst mit vierzig einen eigenen Reiz bekommen, deren Ehe gerade am Zerbrechen ist, und die bei Schongauer ein wehmütiges Verlangen auslöst. Während sich Frida als Hundesitterin und auch so im Haushalt nützlich macht, unternimmt Schongauer eine Bootsfahrt mit Almut. Es knistert gehörig, auch wenn Schongauer nur noch auf einem Ohr gut hört. (Aber keine Sorge, das Pikante bleibt nicht aus…)

Zusätzliche Abwechslung bzw. Ablenkung ergibt sich, als Fridas Mutter – sie ist 50 und moderiert eine TV-Sendung mit dem vielsagenden Titel Der reine Tisch – zu Besuch kommt. Und Schongauer einen Mechaniker, der Fridas Wohnmobil reparieren soll, organisiert. Für viel Zwischenmenschliches, für action ist also gesorgt.

Aber es soll hier keine Nacherzählung, keine Inhaltsangabe werden. Ich habe die ersten Kirchhoffs früh gelesen. An Dame und Schwein, so um 1985, bewunderte ich den Mut und das Berserkerhafte im Wechselspiel zwischen Eros und Sprache. 

Dieses Unbändige nahm mich für Kirchhoff und für viele seiner späteren Titel ein. Dann verlor ich ihn etwas aus den Augen. Nun also das Alterswerk. Ein anderer Kirchhoff. In Seit er sein Leben mit einem Tier teilt herrschen bei aller stürmischen Drastik der Handlung die feinen Töne vor. Ein neuer Kirchhoff, ein abgeklärter Kirchhoff. Mehr muss über die Handlung hier nicht verraten werden. 

Es ist das Buch eines reifen Autors. Ein raffiniertes Buch über Abstoßung und Anziehung, über Sehnsüchte und Abschiede. Das lässt so ziemlich alles offen. Und alles Konventionelle hinter sich. Mit einem Wort: Tolle, großartige Literatur. Jetzt heißt es nur noch: selber lesen. Oder für Lesemuffel: auf den Film warten. 

Denn ich bin sicher, dieser Stoff, der wird bald auch in den Kinos zu sehen sein. Vielleicht dann auch mit einem anderen, kürzeren Titel.

Bodo Kirchhoff: Seit er sein Leben mit einem Tier teilt. Roman. dtv. 384 Seiten. 24,70 Euro.

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Hahn Friedrich

Geboren 1952 im Waldviertel / NÖ, schreibt und veröffentlicht seit 1969. 54 Bücher mit Lyrik, Prosa sowie 20 Arbeiten für den Rundfunk und für die Bühne (zuletzt „im rücken des schattens“, die rampe, Stuttgart 2004). Performances (u. a. im Centre George Pompidou/Paris im Rahmen der Polyphonix), Ausstellungen und Kataloge (u. a. „remakes“: Museum Moderner Kunst/Wien, „unterm strich“: Galerie Eichgraben, „allerhand hahn“: CA-Galerie im TZ). Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung und des Literaturkreises "Podium". Lebt in Wien/Alsergrund. www.literaturhahn.at

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