Alois Schöpf
Pflichtlektüre für Dichter,
bevor es zu spät ist.
Zu Friedrich Hahns ungehaltenen Poetikvorlesungen
“Dichterleben”
Das größte Kompliment, das ich dem Werk eines österreichischen Schriftstellers machen kann, ist, dass ich es zu lesen geschafft habe. Meist schaff ich es nicht, weil ich mangels Welthaltigkeit und trivial-trister Plots von Einschlafattacken geplagt werde.
Bei Dichterleben bin ich nicht eingeschlafen, weil es keine Dichtung ist, sondern real vom vergangenen Jahr des Friedrich Hahn handelt, also welthaltig ist, wenn auch die Welt, die Hahn bevölkert, sehr klein ist. Sie spielt sich, bedingt auch durch eine leichte Gehbehinderung, zwischen der Wohnung des Dichters, seinem Stammbeisl, einem Spar-Markt und der Ordination des Hautarztes ab. In der Wohnung selbst dominieren Schreibtisch, Bücher und Fernsehapparat. Allfällige Außenbeziehungen bestehen zu einer Exfrau, deren Interesse am Leben des Dichters enden wollend ist, einer Tochter, die dem Vater die Teilhabe an ihrem Leben verweigert, was ihn sehr schmerzt, einigen meist wie der Dichter selbst maroden Freunden und aus jenen verständnislosen Gatekeepern der literarischen Welt, die am Markt der Aufmerksamkeit Friedrich Hahn und seinem umfangreichen Werk die gebührende Beachtung versagen, was ihm immer wieder aufstößt und wohl auch die Ursache eines fragwürdigen Klappentextes ist, der von einem herausragenden Buch spricht. Dieses Urteil sollten Verlag und Autor bitte schon dem Publikum überlassen!
Mit dieser Rüge möchte ich die Aussage zugleich bestätigen: Ich bin immer wieder gern lesend in die Wohnung des Dichters zurückgekehrt, habe aber mein Urteil, von dem ich hoffte, dass ich es im Lauf der Lektüre ändern würde und der Autor es nicht als beleidigend empfindet, aber bis zuletzt nicht geändert: Was für ein armseliges, kleines Leben wird hier geschildert! Nicht wie beim großen Jan Vermeer, der in seinen berühmtesten Gemälden das Zimmer ebenfalls nicht verlässt, was ihn aber nicht daran hindert, alle Schönheit der Welt und alles Wissen seiner Zeit in sein Interieur hereinzunehmen. Nein, das Dichterleben des Friedrich Hahn ist so trostlos, so traurig, dass junge Dichter und Dichterinnen dazu zwangsverpflichtet werden sollten, das Buch zu lesen, bevor sie einen Preis oder ein Stipendium überreicht bekommen und sich in jugendlichem Wahn einbilden, eine Karriere in der Literatur anzustreben.
Es steht mir nicht zu, meinen Lebenslauf über jenen Hahns zu stellen. Ich habe mich entschieden, er hat sich entschieden. Beides verdient den gleichen Respekt. Dennoch war die Lektüre der Bestandsaufnahme seiner Entscheidung auch für mich, der ich nicht mehr jung bin, bedeutend und spannend, war ich doch ebenfalls einer, der sich von der Regional- in die Landesliga hinaufkämpfend die Sturheit verordnet hatte, dran zu bleiben, denn nur solche, die dran bleiben, sind die wahren Künstler. So lautete über Jahrzehnte mein Dogma.
Wäre ich doch nur konsequent und in Wien geblieben! Und Schriftsteller geblieben! Und hätte ich mich doch weiterhin über all die bleichgesichtigen Männlein und Weiblein geärgert, die mir als Kritiker und Redakteure auf dem Weg nach oben die Hilfe verweigerten: Dann wäre ich auch ein richtiger Künstler geblieben! Dann ist es aber auch nicht auszuschließen, dass ich wie Hahn, sofern ich überhaupt noch am Leben wäre, in einer Wiener Altbauwohnung bei lebendigem Leib vor mich hin verschimmeln würde.
Zum Glück war ich ein Spießbürger, dem schon in jungen Jahren das Leben in der Großstadt mit ihrem Gestank, ihrer Kommunikation übers Telefon, mit all ihren schrägen Beziehungen und ihrer Naturferne die Luft zum Atmen nahm. Und zum Glück war ich Spießbürger genug, um die Armut und demütigende Abhängigkeit des mäßig erfolgreichen Dichters abzulehnen und in den Journalismus überzuwechseln, mit dem ich mir eine Mittelstandsexistenz mit Familie, Blumengarten und Klarinette aufbauen konnte. Und zum Glück war ich irgendwann auch gescheit genug, um mir den Gymnasiasten-Traum vom großen Dichter abzuschminken und zu erkennen, dass in einer Zeit, in der alles gesagt werden kann, weil keine Diktatur herrscht, und das Wichtige, das gesagt wird, ohnehin von den Wissenschaften gesagt wird, die Literatur nur noch eine durch die neuen Medien rasant aus der Mode geratende Methode ist, das immer kleiner werdende Publikum nicht aufzuklären, sondern zu unterhalten, also in seinen Vorurteilen möglichst kunstvoll zu bestätigen.
Dass ich den letzten Rest schlechten Gewissens, das ich angesichts all dieser Erkenntnisse entwickelte, nun im fortgeschrittenen Alter auch noch eliminieren kann, dafür bin ich dem etwa gleichaltrigen Kollegen Friedrich Hahn mit seinem erhellenden Buch Dichterleben sehr dankbar.
Friedrich Hahn: Dichterleben. Ungehaltene Poetikvorlesungen. Edition Roesner; 220 Seiten. ISBN-10: 395054058X. ISBN-13: 978-3950540581. 25,60 Euro
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lieber alois!
hab zwar zweidreimal schlucken müssen, aber danke für die rezension im wissen um die dinge.
weißt du, was das komische ist: ich wollte eigentlich nie schriftsteller werden. also kein gymnasiastentraum, keine berühmtheitsansprüche. aber wenn man dann zurückschaut und 55 bücher am speisezettel hat, kann man ja schwer behaupten, dass man nichts mit literatur am hut hat. so oder so ähnlich steht es auch in https://www.bibliothekderprovinz.at/buch/7480/
also danke noch einmal für den aufwand, dich in mein DICHTERLEBEN zu vertiefen. und schön, dass ich dich auf deinem weg bestätigen konnte.
mit kollegialem gruß:
friedrich http://www.literaturhahn.at