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Franz Mathis
Ukraine - Russland
Widerstand oder Kapitulation?
Lehren aus der Geschichte

Um von vorneherein jedes mögliche Missverständnis auszuschließen, sei den folgenden Zeilen vorausgeschickt, dass sie in keinster Weise von der Sorge um unterbrochene Gaslieferungen oder eine steigende Inflation getragen sind, sondern einzig und allein vom Mitgefühl mit den Tausenden von Menschen in der Ukraine, die nun schon seit Monaten Tod, Leid und Zerstörungen an Hab und Gut ertragen müssen!

Im Grunde genommen spielt sich der Krieg auf zwei Ebenen ab. Für jede von ihnen bietet die Geschichte Beispiele, aus denen man – wie so oft gefordert – lernen sollte.

Die erste Ebene betrifft den Konflikt zwischen der Ukraine und Russland. Dazu liefert unsere eigene österreichische Geschichte einen Präzedenzfall, der sich vor 84 Jahren im März 1938 abgespielt hat.

Angesichts der übermächtigen Wehrmacht des damaligen Nazi-Deutschland entschloss sich Bundeskanzler Schuschnigg, gegen den bevorstehenden Überfall auf Österreich keinen bewaffneten Widerstand zu leisten, um ein absehbares Blutvergießen zu vermeiden. Der Preis dafür war das Ende seiner Regierung und das Verschwinden Österreichs als eigenständiges Land.

Eine solche Reaktion wäre auch im Falle der Ukraine möglich gewesen, wobei eine Kapitulation vorerst nicht die Annexion des gesamten Landes an Russland, sondern lediglich der Halbinsel Krim und zweier Provinzen im Osten der Ukraine zur Folge gehabt hätte.

Die zweite Ebene bezieht sich auf das Verhältnis zwischen dem Angreifer Russland und dem Rest der Welt, der zumindest mehrheitlich und völlig zurecht einen Überfall auf einen souveränen Staat im 21. Jahrhundert nicht mehr akzeptieren will.

Auch für den Umgang mit einem tatsächlichen oder auch nur potentiellen Aggressor bietet die Geschichte mehrere Beispiele. Im Falle Hitler-Deutschlands war es der massive militärische Widerstand der Alliierten, der die Herrschaft der Nazis zunächst in den eroberten Ländern und schließlich auch in Deutschland selbst beseitigte.

In kleinerem Maßstab war dasselbe im Zweiten und Dritten Golfkrieg der Jahre 1990/91 und 2003 der Fall, als eine militärische Koalition mehrerer Staaten unter Führung der USA das Regime von Saddam Hussein zunächst aus Kuwait vertrieb und schließlich auch im Irak selbst beseitigte.

Ein solches konzertiertes Vorgehen etwa der NATO gegen Putins Armee wäre auch im Falle der Ukraine möglich gewesen, doch hat man darauf aus Sorge vor einem größeren, eventuell auch atomaren Konflikt von vorneherein verzichtet und den Widerstand gegen die Angreifer der Ukraine selbst überlassen.

Um es erst gar nicht zu einem Angriff wie auf die Ukraine kommen zu lassen, hätte man ebenfalls aus der Geschichte lernen können. Durch mehr als vier Jahrzehnte standen sich zwischen den 50er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts die auch atomar hoch gerüsteten Militärbündnisse der NATO und des Warschauer Paktes gegenüber, mit genügend Abschreckungspotential, um einen Angriff des einen auf den anderen zu verhindern.

Im Falle der Ukraine hätte eine Sicherheitsgarantie der NATO, das Land im Falle eines Angriffes wie ein Mitglied der NATO zu behandeln und zu verteidigen, den russischen Überfall mit großer Wahrscheinlichkeit verhindert.

Was lässt sich aus den zitierten historischen Erfahrungen für den derzeitigen Konflikt ableiten?

Was die Ukraine betrifft, wäre zu überlegen, ob es angesichts des tausendfachen Leides, Todes und der massiven Zerstörungen, die jeder weitere Kriegstag mit sich bringt, nicht besser wäre, all dies durch eine Kapitulation und Verhandlungen über die Zukunft der Ukraine zu vermeiden.

Was die Verhinderung weiterer Angriffskriege gegen andere Länder betrifft, wären einerseits die bestehenden wirtschaftlichen Sanktionen zwecks anhaltender Schädigung des Angreifers und gewissermaßen zur Abschreckung vor künftigen Aktionen dieser Art aufrechtzuerhalten und andererseits – vielleicht noch wichtiger – den derzeit noch außerhalb der NATO stehenden Ländern dieselben Sicherheitsgarantien zu gewähren wie den NATO-Mitgliedern selbst.

Auf diese Weise könnten Tausende Menschen vor weiterem Leid, Tod und Zerstörung bewahrt und gleichzeitig der Angreifer so massiv wie möglich bestraft und weitere Angriffskriege verhindert werden.

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Franz Mathis

Geboren in Hohenems (Vorarlberg) 1946, Studium der Geschichte und Anglistik an der Universität Innsbruck, Mag. phil. 1971, Dr. phil. 1973, Habilitation aus Wirtschafts- und Sozialgeschichte 1979, ordentlicher Universitätsprofessor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte seit 1993. Forschungsaufenthalte in England und den USA, Gastprofessor an den Universitäten Salzburg, New Orleans (USA), Trient und Bozen. Studiendekan der Geisteswissenschaftlichen Fakultät, Rektorsbeauftragter der Universität Innsbruck für die Partnerschaft mit der University of New Orleans, Vorstandsmitglied der Internationalen Gesellschaft für historische Alpenforschung, Schriftleiter der Tiroler Wirtschaftsstudien. Schwerpunkte in Forschung und Lehre: vergleichende Stadtgeschichte, vergleichende Unternehmensgeschichte, Dritte Welt, allgemeine Wirtschaftsgeschichte Zusammenhänge und Grundlagen sozio-ökonomischer Entwicklung.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Rainer Haselberger

    Sie schreiben: „Was die Ukraine betrifft, wäre zu überlegen, ob es angesichts des tausendfachen Leides, Todes und der massiven Zerstörungen, die jeder weitere Kriegstag mit sich bringt, nicht besser wäre, all dies durch eine Kapitulation und Verhandlungen über die Zukunft der Ukraine zu vermeiden.“
    Wie der Umgang der Russen mit den bereits besetzten Gebieten zeigt, und wie auch die Erfahrung der Österreicher in der deutschen Wehrmacht zeigt, ist langfristig die Kapitulation die schlechtere Wahl! Wer nicht gegen den völkerrechtswidrigen Aggressor zu kämpfen bereit ist, kämpft irgendwann in seinen Reihen und stirbt für die verbrecherische Sache statt für die gerechte!

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