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Elias Schneitter
Es fährt kein Zug übers deutsche Eck.
Notizen

Eigentlich hatte ich geplant, dass ich am ersten Adventwochenende mit dem Zug von Wien heim nach Tirol fahren würde. Ein mittlerer Wintereinbruch verhinderte das, weil ich mir einen Schienenersatz im Bus oder eine Umleitung über Zell am See nicht antun wollte. Die Strecke übers deutsche Eck war wie üblich gesperrt. Die Bahn und die Deitschen sind ja, wie wir inzwischen alle wissen, ein eigenes Thema.

Zugfahren ist längst nicht mehr so angenehm wie es einst war. Bei der Auswahl, welchen Zug man wählt, muss man sehr strategisch vorgehen, und ohne Reservierung ist man ohnehin aufgeschmissen. Mir ist es auch schon passiert, dass ich trotz gültigen Tickets einen Fernzug wegen Überfüllung nicht in Anspruch nehmen durfte.

Früher war ich ein begeisterter Zugfahrer. Inzwischen bin ich das nicht mehr und überlege mir immer häufiger, wieder auf das Auto umzusteigen.

Ohne einen Beleg für die Richtigkeit meiner These zu haben, glaube ich, dass die Einführung des Klimatickets maßgeblich zur Überfüllung der Züge zumindest mitverantwortlich ist. Häufig bemerke ich auch, dass meine Altersgenossen (Pensionisten) mit dem Klimaticket eine ganz besondere Freude haben und es intensiv nützen, denn schließlich muss es sich auch rentieren. Gut so!

Wenn ich in Wien am Hauptbahnhof den Railjet besteige, dann drängen sich gefühlt Tausende Reisende in die Waggons. Bei allen Einstiegen stauen sich Trauben von Menschen, um in den Zug zu ihren Plätzen zu kommen. 

Von allen Seiten kommen die Reisenden, was zur Folge hat, dass sie in der Mitte der Waggons aufeinandertreffen, die einen von links, die anderen von rechts und sich dann Stillstand einstellt. Es geht nichts mehr nach vor und nichts mehr zurück. Niemand erreicht seinen reservierten Platz, zumindest nicht bis nach St. Pölten oder Amstetten.

Auch wundere ich mich bei jeder Fahrt von Wien nach Innsbruck und umgekehrt mit wieviel Gepäck die Menschen unterwegs sind. Oft habe ich den Eindruck, dass da halbe Wohneinrichtungen vom Kühlschrank bis zum Küchentisch mitgenommen werden. Und alles muss verstaut werden.

Ein kleiner Tipp für die ÖBB: In den Fernzügen der italienischen Bahnen sind die Einstiege und Ausstiege genau getrennt.

Hat man nach langem Kampf seinen Platz ergattert, dann stellt sich für Menschen mit meinen Körpermaßen sofort das Ölsardinen-Feeling ein.

War es früher noch möglich, ruhig ein Buch zu lesen oder gar etwas zu schreiben, so sind diese Zeiten längst vorbei. Denn zumindest die Hälfte der Reisenden verwechselt ja öffentliche Verkehrsmittel mit öffentlichen Telefonzellen und es wird – aus welchen Gründen auch immer – in einer Lautstärke ins Handy gebrüllt, als ob es gälte, sich von einem Berggipfel zum anderen zu verständigen.

Nun kann das zuweilen sehr unterhaltsam sein, wenn man sich ganze Lebensgeschichten anhören muss, jeder Datenschutz ist außer Kraft gesetzt. Man erfährt alles! Auch das, was man gar nicht wissen will.

Nun, während ich diese Zeilen in meinem Zimmer in Wien schreibe (mein Stammcafé ist momentan von Touristen/Bahnreisenden geflutet, sodass ich auch dort keinen Platz mehr finde), hoffe ich für die nächsten Tage einen Zug zu erwischen, der mich ohne Reiseschäden nach Tirol bringt. 

Ratschlag: Hoffen wir das Beste, aber rechnen wir mit dem Schlimmsten.

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Elias Schneitter

Elias Schneitter, geb. 1953, lebt in Wien und Tirol. Zahlreiche Publikationen. Zuletzt der Erzählband „Fußball ist auch bei Regen schön“ (Edition BAES), der Roman „Ein gutes Pferd zieht noch einmal“ (Kyrene Verlag) und der Gedichtband „Wie geht’s“ in der Stadtlichter Presse, Hamburg. Daneben Tätigkeit als Kleinverleger der edition baes (www.edition-baes.com), wo ein Schwerpunkt auf die Veröffentlichung von Literatur aus der US-amerikanischen Subkultur gelegt wird. Schneitter ist Mitbegründer und Kurator beim internationalen Tiroler Literaturfestival „sprachsalz“ (www.sprachsalz.com) in Hall.

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