Elias Schneitter
Mein Körpergewicht
Notizen
Als Kind der Fünfzigerjahre ist man in der Regel nicht an einem üppigen Futtertrog aufgewachsen. Durch einen Konkurs meines Vaters hatten meine Eltern ihr bisschen Hab und Gut verloren, sodass ich in die Obhut meiner Großmutter gegeben wurde, die als Witwe eines Krippenschnitzers ihr Leben als Mindestpensionistin fristete.
Meine Oma hatte einen kleinen Gemüsegarten, ansonsten strotzte unser Speisezettel nicht gerade durch Vielfältigkeit. Wenn ich an die Zeit zurückdenke, dann ernährten sich Oma und ich vorwiegend von Butterbroten und Muckefuck. Nicht selten gingen wir zwei abends mit einem Hungergefühl zu Bett.
Als ob der Konkurs des Vaters nicht genug gewesen wäre, erkrankte er auch noch an Tuberkulose und musste ein halbes Jahr in eine Lungenheilanstalt. Das hatte für mich zur Folge, dass ich vom Gesundheitsamt der Bezirkshauptmannschaft drei Sommer hintereinander in das Erholungsheim Grafenhof in St. Veit im Pongau verschickt wurde. Zur Erholung! Zum Aufpäppeln!
Jede Woche gab es eine Abwaage für alle Kinder, und am Ende des Sommeraufenthaltes wurde jenes Kind, das am meisten zugelegt hatte, zum Sommersieger erklärt. Ich schaffte einmal sogar vier Kilo, die aber daheim bald wieder weg waren.
Durch übermenschlichen Fleiß schafften es trotz widrigster Umstände meine Eltern aus ihrer materiellen Misere herauszukommen, sodass ab den Siebzigerjahren wirklich gute Zeiten kamen. Es ging aufwärts und es ging uns immer besser, sodass es mir sogar möglich war – Kreisky sei Dank – an der Universität in Wien zu studieren.
Um es kurz zu machen: dieser Aufschwung hielt bei mir ein Leben lang an, besonders was mein Gewicht betraf, sodass ich seit etwa zehn Jahren ziemliche Schwierigkeiten damit habe. Das steigerte sich so weit, dass ich in eine Reha-Klinik für Stoffwechselerkrankungen eingewiesen wurde, um gegen die „verdammte überbordernde Schwerkraft“ vorzugehen.
Es zeigten sich auch erste Erfolge. Und mir wurde ein weiterer Aufenthalt ein Jahr später in Aussicht gestellt. Bedingung: 10 Prozent mussten zuhause abgenommen werden!
Inzwischen ist das Jahr vorbei und ich konnte die Vorgabe einfach nicht schaffen. Gesamt gesehen: Ich bin ein hervorragendes kulturgeschichtliches Beispiel, wie in den letzten Jahrzehnten aus Hungerkindern Wohlstandsalte wurden.
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