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Elias Schneitter
Ein gutes Pferd zieht noch einmal.
Fortsetzungsroman
Folge 4
Der Vater muss in den Krieg.

Zwei Menschen auf der Suche nach etwas Glück. Eine Geschichte, getragen von Elias Schneitters – bei aller kritischen Distanz – warmherziger Empathie für die sogenannten einfachen Leute, denen auch noch unter den schwierigsten Umständen die Möglichkeit eines zuletzt guten Lebens erhalten bleibt.

Hintergrund der Erzählung ist die Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs nach dem Krieg. Die Ehe der beiden Hauptpersonen steht unter keinem guten Stern. Trotzdem stellen sie sich den Fährnissen des Schicksals, getrieben von der Sehnsucht nach einem halbwegs menschenwürdigen Dasein, nach etwas Wohlstand, vor allem aber nach ein wenig Freundschaft und Liebe.


4. Kapitel

Im Frühjahr 1942 hatte mein Vater einen ersten Termin vor der Stellungskommission, wo er noch die Hoffnung hegte, dass er wegen seiner Kopfverletzung als untauglich eingestuft werden würde. Aber diese fand keine Berücksichtigung und er wurde vorerst dem Arbeitsdienst zugeteilt. Zur Silberplastik im Kopf meinte der Militärarzt ganz lapidar: Da sind S’ halt ein bisschen mehr wert als die anderen.

Am 13. Jänner 1943 wurde er schließlich eingezogen. Drei Tage vorher kam seine jüngste Schwester Marianne zur Welt, die am Tag seiner Abreise getauft wurde. Seine Grundausbildung absolvierte Vater in Bregenz, zusammen mit anderen aus dem Heimatdorf, ehe er nach Villach (Kraftfahrer) und dann nach Grafenwörth (Unteroffiziersschule) geschickt wurde und schließlich in einem für Viehtransporte vorgesehenen Zug nach Stalino in der Ukraine gebracht wurde.

Diese Fahrt nahm insgesamt drei Wochen in Anspruch. Später kämpfte Vater mit seiner Einheit am Kuban-Brückenkopf, wo sie von den Russen eingekesselt wurden. Es gelang jedoch, einen Teil nach Lukawicza auszufliegen. Das war in seinem Leben der erste und einzige Flug. 150 Soldaten wurden in eine JU 52 gepfercht, wo keiner umfallen konnte, da sie so eng standen. Vom Boden aus wurden sie beschossen, aber sie kamen in Lukawicza an.

Im Dezember 1943 kam mein Vater auf Genesungsurlaub nach Hause, weil er wegen eines Lungendurchschusses rekonvaleszent war. Am Vormittag des 15. Dezember stand er beim Einlass des Gefangenenhauses in der Schmerlingstraße und verlangte in barschem Ton, dass er auf der Stelle den Direktor sprechen wolle. Mein lieber Herr, das geht nicht so einfach, war die Antwort.
Und ob das einfach geht, beharrte mein Vater. Er wurde zu einem Herrn Stenek geschickt, der meinen Vater zuerst sehr abweisend behandelte.
Ich komme gerade aus Russland, sofern Ihnen das etwas sagt, und ich will jetzt zu meinem Vater und ich will ihn über Weihnachten nach Hause mitnehmen.
Nach einigem Hin und Her wurde er zum Direktor Gstättner vorgelassen, der dem Vater sehr freundlich begegnete und nach einem kurzen Gespräch auch sofort eine dreiwöchige Haftunterbrechung bewilligte.

Daraufhin verließen die beiden die Schmerlingstraße Richtung Bahnhof Wilten. Dort bestiegen sie den Zug nach Zirl. Als sie um die Mittagszeit in Völs ankamen, mussten sie den Zug fluchtartig verlassen, weil im Raum Innsbruck ein Bombenangriff geflogen wurde. Es war der erste große Luftangriff auf Innsbruck. Viele Menschen saßen beim Mittagessen und da es in der Vergangenheit öfters Fehlalarme gegeben hatte, nahmen die Menschen die Sirenen nicht weiter ernst. Nicht weniger als 269 Menschen fielen dem Bombardement zum Opfer, auch im Gefängnis starben sieben Menschen durch die Bomben.

Mein Vater wurde im Krieg dreimal verletzt. Ein Steckschuss im Oberschenkel, ein Lungendurchschuss und ein Granatsplitter im Hals. Diesen holte er sich in Matzen, als sie schon auf dem Rückzug waren. Damals wollten sie nach Krumau am Kamp, um dort die Amis zu erreichen. Das gelang ihnen auch, aber diese, vorwiegend schwarze Soldaten, schickten sie wieder zurück, wo sie dann von den Russen in Gefangenschaft genommen wurden.

Meinem Vater gelang es abzuhauen und bei einem Bauern in Mesau Unterschlupf zu finden, aber nach einigen Tagen konnte er nicht mehr dortbleiben. Er versuchte mit einer eiternden Wunde am Hals in den Westen zu kommen, aber sehr bald wurde er geschnappt und er befand sich genau wieder in der Truppe, von der er sich abgesetzt hatte. Das war in Horn.

Von dort wurden alle Gefangenen in einem Fußmarsch bis nach Stuhlweißenburg am Plattensee getrieben. Viele Soldaten verließen die Kräfte und alle, die umfielen, erhielten von den Wachsoldaten den Gnadenschuss. In Stuhlweißenburg wurde Vater notdürftig behandelt, aber die Wunde sollte nicht abheilen, weil sie nicht genügend Medikamente vorrätig hatten.

Vom Plattensee ging es dann in LKWs weiter ins Lager Mammorosigid. Nach einjähriger Gefangenschaft wurde mein Vater nach Österreich zurückgebracht und landete wieder in Horn. Er bekam von einer österreichischen Kommandantur die Entlassungspapiere.

Von hier führte der Weg nach Enns, wo die Amis lange Baracken stehen hatten. Sie mussten sich alle nackt ausziehen und die Kleidung abgeben. Sie wurden am ganzen Körper rasiert, sodass kein Haar mehr aufstand. Auch die Russen hatten sie immer kahlgeschoren. Sie wurden durch einen Gang getrieben, in dem sie von oben bis unten mit DDT abgesprüht wurden, während ihre Kleider in Hochdruckkessel kamen, um das Ungeziefer abzutöten.

In Hochfilzen wurden sie von den Franzosen übernommen. In Innsbruck verbrachte Vater noch einige Tage im Lager Reichenau, ehe er nach Hause durfte. Das war am 22. August 1946. Auf dem Heimweg vom Bahnhof kam er unterwegs beim Estrichfeld vorbei, wo zufällig einige Geschwister und seine Mutter auf einem Kartoffelacker tätig waren.

Der Bruder Othmar sah ihn als Erster. Der Vater war bis auf die Knochen abgemagert und kahlgeschoren. Seine Mutter schaute zu ihm herüber und der erste Satz, den sie sagte, war: Das ist nicht der Hugo.

Der Krieg war unter den Erwachsenen all die Jahre immer präsent und es kam, besonders wenn Alkohol im Spiel war, zu heftigen Auseinandersetzungen. Nur in der Gegenwart von uns Kindern war der Krieg nie ein Thema, es gab höchstens kleine Anspielungen, die wir aber nicht verstanden.

Mit seinem Freund Jonny und anderen Bekannten aus dem Dorf fuhr mein Vater immer wieder zu Veteranentreffen nach Mittenwald oder Garmisch oder Berchtesgaden. Wenn sie zurückkamen, waren sie schwer betrunken. Die Ehefrauen hassten diese Ausflüge, aber sie äußerten sich darüber nur kurz und eher beiläufig. Sie wussten, hier mussten sie mit Bemerkungen sehr vorsichtig sein.

In späteren Jahren, als wir bereits Jugendliche waren, hatte mein Vater manchmal Tränen in den Augen, wenn Kriegserinnerungen in ihm auflebten. Jeden Sonntagnachmittag lief im lokalen Radiosender das Wunschkonzert. Im Volksmund wurde dieses Programm als Erbschleichersendung bezeichnet. Hörer konnten ihren Angehörigen oder Bekannten Grüße und gute Glückwünsche zukommen lassen. Der Inhalt dieser Botschaften war zumeist identisch, der jeweilige Jubilar sollte in Zukunft nicht mehr so viel arbeiten und mehr auf seine Gesundheit achten, damit er noch viele Jahre im Kreise seiner Liebsten genießen könne. Dann wurde ein Lieblingslied für den Jubilar gespielt.

Bei uns zu Hause wurde diese Sendung regelmäßig gehört. In den wärmeren Jahreszeiten saßen die ganze Familie und häufig auch Besucher im Garten bei Kaffee oder Bier und es lief das Wunschkonzert.

Hin und wieder wurde auch das Lied Heimat, deine Sterne gespielt und das ging meinem Vater jedes Mal so nahe, dass seine Augen feucht wurden und er, hatte er schon etwas mehr getrunken, in Tränen ausbrach. Das Lied rief in ihm die traurigen Erinnerungen an Weihnachten 1945 in der russischen Kriegsgefangenschaft wach, als am Heiligen Abend, spät in der Nacht bei sternenklarem Himmel, das Lied über die Lautsprecher des Gefangenenlagers gesendet wurde.

Das ganze Lager hat geweint, sagte mein Vater, wenn er sich wieder einigermaßen im Griff hatte. Und fügte stets hinzu: Aber so schön wie damals habe ich dieses Lied nie wieder gehört.

Wenige Jahre vor seinem Tod äußerte Vater manchmal den Wunsch, noch einmal eine Reise an jene Orte, wo sie im Krieg stationiert waren, zu unternehmen. Da fielen Städtenamen wie Stalino, Donezk, Krasnodar, der Kuban Brückenkopf, Lukawicza, Jessi, Großstrelitz oder Stuhlweißenburg … Geworden ist aus diesem Vorhaben nichts. Er hatte es auch eher nur so vor sich hin gesagt und nicht wirklich ernst gemeint.

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Elias Schneitter

Elias Schneitter, geb. 1953, lebt in Wien und Tirol. Zahlreiche Publikationen. Zuletzt der Erzählband „Fußball ist auch bei Regen schön“ (Edition BAES), der Roman „Ein gutes Pferd zieht noch einmal“ (Kyrene Verlag) und der Gedichtband „Wie geht’s“ in der Stadtlichter Presse, Hamburg. Daneben Tätigkeit als Kleinverleger der edition baes (www.edition-baes.com), wo ein Schwerpunkt auf die Veröffentlichung von Literatur aus der US-amerikanischen Subkultur gelegt wird. Schneitter ist Mitbegründer und Kurator beim internationalen Tiroler Literaturfestival „sprachsalz“ (www.sprachsalz.com) in Hall.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Rudolf Ostermann

    Sehr berührender Kommentar über eine gebrochene Generation, wie sie jeder in unserem Alter auf die eine oder andere Weise erlebt hat.

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