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Elias Schneitter
Im Tschocherl geh‘n die Lichter aus.
Eine Herbststimmung

Gleich neben meiner Unterkunft in Wien ist das Beisl am Eck, eines der letzten Tschocherln in der Wiener Vorstadt. (Im Zentrum gibt’s keine Tschocherln).

Die grün angehauchte, hoch intellektuelle Stadtzeitung „Falter“ hat die Gegend hier in Hernals als eine schäbige Gegend bezeichnet. In Ordnung. Und so ganz falsch liegt das Wochenblatt mit seiner Einschätzung ja nicht. Jedenfalls das richtige Umfeld für ein Tschocherl.

Ein Tschocherl ist eine Trinkstube. Kehre ich im „Eck“ ein, dann treffe ich zumeist auf die gleichen Gäste. Besonders jetzt am Herbstbeginn, mit dem täglichen Hochnebel, den kalten Ostwinden und den grauen Straßen, wird das Tschocherl immer wichtiger für die Besucher.

Die Tschocherln in Wien spenden zumindest vorübergehend Trost. Wien und Wein liegen ja nah beieinander. Sind auch als Anagramm zu lesen.

Das Herz und die Seele des Eckbeisl‘s ist Brigitte, die ihre Gäste in- und auswendig kennt. Sie hat ihre Pappenheimer, wie sie sagt, genau im Auge, wie z.B. den Zweimetermann mit schulterlangem Haar, ehemals Stadtbediensteter und Rocker, der dreimal wöchentlich vorbeischaut und jedesmal mehr als 10 Traunsteiner benötigt. Dazwischen braucht er immer einen Ruhetag. „Er hat den Tod seiner Frau nicht überwunden“, sagt Brigitte.

Oder die vornehme, halb blinde Sissi, die stets am gleichen Hocker thront. Vor ihrer Pensionierung war sie auf der Geschlossenen am Steinhof und sie sagt immer, „Ich hab eigentlich nur die Station gewechselt.“

Oder: Die sogenannte Blauensteiner-Runde. Drei Witwen, die bereits seit Jahrzehnten ihre Männer unter der Erde haben.

Oder: Der Schwarze mit den dunklen Sonnenbrillen, den ich für einen ehemaligen Fußballprofi hielt. Er kommt ziemlich vergammelt daher. Er spricht aber fließend drei Sprachen, hat als Lehrer gearbeitet und sein Wunsch ist es, nach Afrika zurückzukehren, weil er dort begraben sein möchte.

Oder: Der lautstarke Willi. Als Junger war er österreichischer Boxmeister, ehe er seine Kräfte in der Halbwelt einsetzte, an zwei Bordellen beteiligt war und nach einem staatlich verordneten „Kuraufenthalt“ einigermaßen resozialisert dann als Chaffeur für den Direktor des Naturhistorischen Museums Bernd Lötsch fungierte.

Oder: ein ruhiger, still in sich gekehrter Feingeist, ehemaliger Professor, der hin und wieder aus HC Artmann‘s „med ana schwoazzn dintn“ vorträgt. Eine Zeilang hören die Stammgäste sogar andachtsvoll zu. Nur zu lang darf er nicht werden!

Brigitte kümmert sich nicht nur um die Seelen ihrer Gäste, nein, sie bekocht auch die halbe Mannschaft mit besten Speisen zum Selbstkostenpreis. Da gibt es auch Hauszustellung. Wie z.B. für den Peter. Dieser verlässt schon seit einem halben Jahr nicht mehr seine Wohnung. „Der Peter hat abgeschlossen. Er wartet auf seinen Tod. Trotzdem isst er wie ein Scheunendrescher.“ Jede Woche schickt ihm Brigitte eine Palette hartgesottener Eier.

Manchmal verirren sich ins Beisl eine Runde deutscher Jungmediziner vom AKH hierher. Sie wollen Wiener Lokalkolorit kennenlernen.

Auch einen Chihuahua Hund gibt’s hier. Er heißt Gismo und gehörte dem Stammgast Leo, der überraschend verstarb. Auch darum kümmert sich Brigitte und ihr Lebensgefährte.

Was die Sperrstunde betrifft, ist das Eckbeisl sehr flexibel. Die hängt vom Zustand der Gäste ab. Manchmal ist schon am Nachmittag Schluss, manchmal gehen im Tschocherl erst gegen Mitternacht die Lichter aus.


Note: Selbsternannte Umweltaktivisten machen momentan auf sich aufmerksam, indem sie berühmte Kunstgemälde anschütten. Was das mit Umweltschutz zu tun hat, ist mir ein Rätsel. Das kommt mir ähnlich vor, wie wenn ein Bankräuber seine Tat als eine Anti-Kapitalismus-Aktion bezeichnet.

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Elias Schneitter

Elias Schneitter, geb. 1953, lebt in Wien und Tirol. Zahlreiche Publikationen. Zuletzt der Erzählband „Fußball ist auch bei Regen schön“ (Edition BAES), der Roman „Ein gutes Pferd zieht noch einmal“ (Kyrene Verlag) und der Gedichtband „Wie geht’s“ in der Stadtlichter Presse, Hamburg. Daneben Tätigkeit als Kleinverleger der edition baes (www.edition-baes.com), wo ein Schwerpunkt auf die Veröffentlichung von Literatur aus der US-amerikanischen Subkultur gelegt wird. Schneitter ist Mitbegründer und Kurator beim internationalen Tiroler Literaturfestival „sprachsalz“ (www.sprachsalz.com) in Hall.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. c. h. huber

    melancholie, dein name sei das herbstliche wien samt seinen letzten tschocherln …

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