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Stephan Alfare
Vier Gedichte zum Allerheiligen-Tag


Lange Lügen

Die Zeiten, als wir noch
die schönen Gedichte schrieben,
mit nacktem Oberkörper
in der Hitze unterm Dach.

Bier um Bier;
eine Zigarette
nach der anderen
ausgedrückt auf der
nackten Unterarmhaut.
Blasse Tätowierungen,
junges Glück.

Und nachts der
geisterhafte Vollmond,
dämonisch;
im Gras gelegen,
wir haben uns im Gras gewälzt.

Das Licht – eben angeknipst …
Licht von einem falschen Vollmond.
Jahre ist es her. Wie viele Jahre?
Ein fremder Kontinent …
… und Lügen, lange Lügen.


MS

Ein alter Freund
ist gestorben.
Mit dreizehn
sind wir auf geklauten
Mopeds gefahren,
einer Zündapp
und einer KTM.

Multiple Sklerose.
Nun ist er also in den
ewigen Jagdgründen,
Sigmar.

Seine Schwester ist zehn Jahre
zuvor verbrannt. Multiple Sklerose.
Feuer in der Wohnung,
mutterseelenallein, ein Rollstuhl.
Jede Hilfe zu spät.


Schlaff wie eine leere Luftmatratze

Wien ist nass, weil es regnet.
Du weißt nicht mehr,
wo hinten und vorn,
wo oben und unten ist;
eine Autotür schlägt zu.
Ein Moped; du glaubst,
es sei eine Puch DS 50.
Langsam scheint es,
als gehe dir die Luft aus.

Eine Luftmatratze
aus den Sechzigerjahren
des vergangenen Jahrhunderts,
abgewetzt, mit Rissen und Resten
von Gletschercreme, Sonnenmilch,
eingetrocknet … etwas,
das es schon lange nicht mehr gibt.

Der verdorrte Busen
einer toten Großmutter
unterm Leichentuch.


Steine im Sand

Irgendwann dann
hört das Leben auf.
Im Sand Kriechtiere,
schwarze Würmer
mit Fettfalten, ein
Lächeln im Kopf.

Kleine
Steine.

Eine Hand, an der die
Haut wie altes Pergament
abblättert, Fingerknochen
darunter … und eine
Kraftbrühe sickert hervor;
zwei, drei rohe Eier
und das Moos
an den kleinwinzigen Steinen.

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Stephan Alfare

Stephan Alfare (* 28. Jänner 1966 in Bregenz) unternahm von 1987 bis 1990 Reisen auf dem Balkan, nach Griechenland, Italien, Frankreich und in die Türkei. Anschließend arbeitete er bis 1996 als Sargträger auf dem Ottakringer Friedhof in Wien. Heute lebt er als freier Schriftsteller in Wien. Im Jahre 2000 nahm er am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt teil. Stephan Alfare ist Verfasser von erzählenden Werken und Gedichten, Mitglied der Grazer Autorenversammlung und des Vorarlberger Autorenverbandes. Alfare erhielt u. a. 1999 das Staatsstipendium für Literatur in Österreich sowie 2002 den Theodor-Körner-Förderpreis.

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