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Elias Schneitter
Ein gutes Pferd zieht noch einmal.
Fortsetzungsroman
Folge 15
Wofür tauge ich?

Zwei Menschen auf der Suche nach etwas Glück. Eine Geschichte, getragen von Elias Schneitters – bei aller kritischen Distanz – warmherziger Empathie für die sogenannten einfachen Leute, denen auch noch unter den schwierigsten Umständen die Möglichkeit eines zuletzt guten Lebens erhalten bleibt.

Hintergrund der Erzählung ist die Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs nach dem Krieg. Die Ehe der beiden Hauptpersonen steht unter keinem guten Stern. Trotzdem stellen sie sich den Fährnissen des Schicksals, getrieben von der Sehnsucht nach einem halbwegs menschenwürdigen Dasein, nach etwas Wohlstand, vor allem aber nach ein wenig Freundschaft und Liebe.


15. Kapitel

Durch das Fernsehgerät kamen Nachrichten aus vielen Teilen der Welt in unser Haus. Straßenkämpfe in Paris, russisches Militär in Prag, junge Verrückte in San Francisco. So nahmen wir das bei Oma in der Stube wahr.

Mehr schlecht als recht hatte ich den Hauptschulabschluss geschafft, ohne eine klare Vorstellung zu haben, wie es mit mir weitergehen sollte. Es standen zwei Möglichkeiten offen. Entweder eine weiterführende höhere Schule oder das Polytechnikum, das neunte Pflichtschuljahr, das damals gerade neu eingeführt wurde. 

Trotz meiner mäßigen Leistungen entschied meine Mutter, dass ich eine Handelsschule besuchen sollte. Für einen handwerklichen Beruf wäre ich wegen meiner körperlichen Voraussetzungen ungeeignet, wie mein Vater meinte, aber für den Bleistift, also für das Büro, wäre mit mir sicher was anzufangen. 

Um aber in eine höhere Schule zu kommen, musste man eine Aufnahmeprüfung bewältigen, bei der ich sang- und klanglos unterging. So blieb für mich nur das Polytechnikum. 

Das Polytechnikum war als berufsvorbereitendes Jahr gedacht. Da es neu installiert wurde, hatte man keine Erfahrungen damit und niemand wusste, wie das genau ablaufen sollte. Bei uns wurde ein Direktor bestellt, der noch zwei Jahre bis zur Pensionierung hatte. Eigentlich wollte er Hauptschuldirektor werden, aber da kam ein anderer an die Reihe. So hatte er jetzt doch noch einen Direktorsposten ergattert, bevor er in den Ruhestand wechseln konnte. 

Für uns Schüler hatte das Polytechnikum den Vorteil, dass wir relativ unbehelligt blieben und so ein Jahr Ruhe und Erholung genießen konnten. Sogar ich hatte keine schulischen Probleme, und das sollte etwas bedeuten.

Für mich war es vor allem ein unbeschwertes Jahr, wenngleich ich stets mit der Frage Was willst du nachher machen? konfrontiert wurde. Ich wusste darauf keine Antwort und es belastete mich auch kaum, zumindest weniger als meine Mutter.

Bisher hatten wir unsere Freizeit auf dem Fußballplatz verbracht. Das änderte sich in diesem Jahr grundlegend. Der alte Fußballplatz wurde umgewidmet und sollte mit Wohnblöcken bebaut werden. Eine neue Sportstätte wurde im Süden des Dorfes, jenseits des Flusses, errichtet. 

Wir trainierten zwar dort und absolvierten unsere Matches, aber sonst bedeutete uns der Fußball nicht mehr so viel wie bisher. Inzwischen hatte sich unser Interesse mehr aufs Kino verlagert. Seit einigen Jahren gab es in unserem Dorf Lichtspiele und ein gerissener Geschäftsmann erweiterte das Kino um ein Tanzlokal, dem er den Namen Fortuna gab, wo renommierte Live-Bands auftraten und junge Leute vom ganzen Land herbeiströmten.

Wir waren noch zu jung, um uns dort vergnügen zu dürfen, aber es gab auch ein kleines Tagescafé, im Vorraum und im angeschlossenen Kinosaal standen Flipperautomaten, ein Tischfußball, eine Autorennbahn und vor allem eine Musicbox. 

Diese kleine Spielhölle war auch nachmittags geöffnet und wir verbrachten dort den Großteil unserer Freizeit. In der Musicbox liefen fast unentwegt Massachusetts, San Francisco und Una festa sui prati von Adriano Celentano oder Moooonja. Irgendjemand hatte immer etwas Geld, um die Maschine zu füttern und auch um das eine oder andere Spiel an den Automaten zu finanzieren oder ein Freispiel am Flipper zu erkämpfen.

Während der Woche gab es täglich eine Abendvorstellung um acht Uhr und am Wochenende wurde eine zweite Vorführung angeboten. Das Filmangebot bestand aus amerikanischen Western, Krimis, aber auch Schinken wie Vom Winde verweht oder Die Brücke am Kwai, Verdammt in alle Ewigkeit oder Dr. Schiwago und dazu noch heimische Produktionen à la Franz Antel, zumeist Verwechslungskomödien mit Peter Alexander, Gunther Philipp, Peter Weck, Peter Kraus und Conny Froboess. 

Unser aller Liebling war natürlich Gunther Philipp mit seinen Grimassen und seinen Wackelohren. Über diese Späße konnten wir uns tagelang unterhalten. Mein engster Freund war damals der Friedl Knoll, der ein Jahr älter war als ich und der eine Lehre zum Maurer absolvierte. Er war erst vor kurzem zu uns ins Dorf gekommen. Er stammte aus dem Zillertal. 

Mit seinem Großvater hatte er mehrere Sommer auf den verschiedenen Almen bei bester Luft und gesunder Nahrung verbracht. Er strotzte geradezu vor Kraft und die harte Arbeit am Bau machte ihm kaum zu schaffen und obwohl er erst seit kurzem hinter dem Ball herjagte, hatte er bereits einen Stammplatz in der ersten Mannschaft. Er gehörte zwar nicht zu den großen Technikern, aber mit seiner unbändigen Kraft und seiner Ausdauer überrannte er alles, sodass er sehr bald den Spitznamen Pferdelunge verpasst bekam.

Friedl und ich besuchten abends zwei Mädchen, die miteinander befreundet waren und in der Nachbarschaft lebten, und bei den beiden verbrachten wir Stunden vor ihren Fenstern und versuchten sie zu erobern. Ihren Eltern blieb das nicht verborgen, aber sie ließen uns gewähren, weil sie uns kannten und wussten, dass wir harmlos waren. 

Ich hatte mich in Monika verliebt und Friedl war Gerda nicht gleichgültig. Natürlich waren wir nicht die Einzigen, die hinter den beiden Mädchen her waren, schließlich waren sie begehrte Schönheiten. Wir hatten hartnäckige Konkurrenten. 

Zwei junge Burschen aus dem Sellraintal tauchten immer wieder auf, um uns unser Revier streitig zu machen. Zudem waren sie älter und einer der beiden hatte auch noch ein Auto, einen Opel Kadett. Sie wollten Monika und Gerda immer zu Kuchen und Kaffee und zum Fünf-UhrTee ins Schlosscafé Fragenstein einladen. Aber die beiden hatten natürlich gegen uns zwei keine Chance, denn schließlich kamen sie aus dem Sellraintal und das Sellraintal ist ein Seitental, wo nur Bauern zu Hause waren. So war unsere Vorstellung. 

Jedenfalls schien es für Friedl und mich recht gut zu laufen, was unsere Liebschaften anlangte, glaubten wir zumindest. Einmal luden wir die beiden Mädchen ins Kino ein und sie willigten sofort ein. Friedl war ungestümer und fasste sehr rasch nach der Hand von Gerda. Auch meine Hand brannte vor Sehnsucht, aber ich hielt sie aus Angst vor einer Zurückweisung im Zaum. Das sollte noch Folgen haben. Monika war über meine Schüchternheit schwer enttäuscht und ließ das Gerda wissen, sodass sie beschlossen, mich einem Test zu unterziehen. Würde ich ihn nicht bestehen, wäre ich für immer aus dem Rennen. 

Diesmal waren wir bei ihnen zu Hause, denn die Eltern waren nicht daheim. Sie hatten sturmfrei. Gerda war in das Spiel eingeweiht. Darum ließ sie mich und Monika allein in der Küche zurück und drehte sogar das Licht ab, als sie hinausging. Monika und ich waren allein in der dunklen Küche. 

Mein Verlangen, Monika in die Arme zu nehmen, war kaum auszuhalten, aber mein Körper schien wie einbetoniert zu sein. Ich konnte kaum atmen, die Dunkelheit erdrückte mich, ebenso wie mein Verlangen. Meine Schüchternheit raubte mir jegliche Bewegungsfreiheit und ich saß wortlos neben meiner Madonna, ehe Gerda zurückkam und das Licht andrehte. 

Das war wie eine Erlösung aus meiner Erstarrung, aber es bedeutete auch, dass ich bei Monika für alle Zeiten unten durch war. Ihr Gesicht drückte endlose Enttäuschung aus. Sie hatten dieses Spiel inszeniert, um mir eine Chance zu bieten, meine Monika zu küssen und in die Arme zu nehmen. Ich hatte den Test nicht bestanden.

Meine geliebte Monika ließ mich also fallen und mir brach beinahe das Herz. Ihr Fenster blieb geschlossen, sie schlug Einladungen aus, ich war für sie nicht mehr existent. Sie nahm sogar auf dem Beifahrersitz des Opel Kadett Platz, was für mich eine schwere Niederlage bedeutete. Aber es sollte noch schlimmer kommen. 

Wenige Monate später eröffnete mir Manfred, der Halbbruder von Friedl, dass Monika schwanger wäre, übrigens, wie er meinte, auch von einer Brillenschlange, natürlich nicht von mir. Die Schwangerschaft des jungen Mädchens war damals Gesprächsthema nicht nur im Äuele, sondern im ganzen Dorf. Schwanger mit fünfzehn!

Ein kleiner Trost für mich war damals, dass auch für Friedl die Fenster geschlossen blieben, obwohl er bei keinem Test durchgefallen war. Gerda verliebte sich in einen Gleichaltrigen und interessanterweise leben die beiden heute noch glücklich zusammen. Unglaublich.

Das Polytechnische Jahr neigte sich dem Ende zu. Die große Frage, wie es mit mir weitergehen sollte, musste in irgendeiner Form beantwortet werden. Wofür taugte ich? In welchem Beruf sollte ich einmal mein Auskommen finden? 

Für Vater und Mutter war klar, dass ich nur für den Bleistift geeignet wäre. Um einer neuerlichen Pleite bei einer Aufnahmeprüfung aus dem Weg zu gehen, wurde ich in eine private einjährige Büroschule geschickt. Das war die Dr.Wagner-Schule in der Andreas-Hofer-Straße, die einen guten Ruf hatte. So wurde ich dort angemeldet, was mit einem empfindlichen Schulgeld in Verbindung stand. 

In dieser Hinsicht hielt aber Dr. Ravelli die schützende Hand über mich, besser gesagt über Mutter. Er griff ihr unter die Arme, wie es häufig in Zukunft passieren sollte. Inzwischen war ihm das Fortkommen von mir und meiner Schwester ein persönliches Anliegen, sodass er auch unsere Ausbildung unterstützte.

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Elias Schneitter

Elias Schneitter, geb. 1953, lebt in Wien und Tirol. Zahlreiche Publikationen. Zuletzt der Erzählband „Fußball ist auch bei Regen schön“ (Edition BAES), der Roman „Ein gutes Pferd zieht noch einmal“ (Kyrene Verlag) und der Gedichtband „Wie geht’s“ in der Stadtlichter Presse, Hamburg. Daneben Tätigkeit als Kleinverleger der edition baes (www.edition-baes.com), wo ein Schwerpunkt auf die Veröffentlichung von Literatur aus der US-amerikanischen Subkultur gelegt wird. Schneitter ist Mitbegründer und Kurator beim internationalen Tiroler Literaturfestival „sprachsalz“ (www.sprachsalz.com) in Hall.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Susanne Preglau

    Lieber Elias,
    deine Schüchternheit in der Küche mit Monika war dein großes Glück!
    Stell dir nur vor …….
    Und auch ich kenne das Gefühl des (gottlob nur fast!) gebrochenen Herzens in diesem jugendlichen Alter nur zu gut ……
    Diese Erinnerungen werden erst viel später wertvoll –
    in diesem Sinne wünsche ich dir das Allerbeste zu deinem runden Geburtstag am 5. August.
    Ganz herzlich!

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