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Elias Schneitter
Feiern wir das Leben!
Notizen

Auf dem Parkplatz vor dem Supermarkt komme ich mit einem alten Bekannten ins Gespräch, auch kurz über die momentane Weltlage. Da ereifert er sich darüber, dass im Fernsehen inzwischen das Wort Mutter durch entbindende Person ersetzt wird. Wir dürfen nicht mehr Mutter sagen, erhitzt er sich, das ist die reine Diktatur!

In einem Lokal, in dem ich gemütlich meinen Kaffee trinke, erregt sich ein Besucher über die Kleber von der letzten Generation und meint, dass er die alle kleben lassen würde, bis sie sich ansch…n.

In einem Wirtshaus unter Stammgästen flucht ein Mann mit hochrotem Kopf über die Ausländer und dass ihm die Kopftücher und die Syrer und Afghanen und die Araber alle so auf die Nerven gehen, dass er sich nur noch den Kickl an der Macht wünscht, der mit diesen Schmarotzern endlich abfahren wird.

So weit einige kurze Begegnungen aus letzter Zeit. Vor wenigen Tagen ist ein alter Bekannter aus meiner Nachbarschaft im 53. Lebensjahr verstorben. Ich besuchte das Begräbnis. Und Begräbnisse sind immer eine Zeit zur Besinnung.

Die Abschiedsfeier von Leo Kaserer-Ligges war  eine, wie ich sie schon lange nicht mehr erlebt hatte. Sie dauerte über zwei Stunden. Die Kirche war gesteckt voll. Einige Freunde von Leo kamen von weither, aus Südamerika, aus Kanada, aus Italien, aus England.

Sie alle hatten mit dem Verstorbenen zusammengearbeitet und zahlreiche Projekte mit ihm initiiert und durchgeführt: Mit Straßenkindern in Chile, Indigenen Stämmen in Kanada und natürlich bei Projekten mit und für Jugendliche aus allen Teilen und Schichten Europas. Etwa EU-Austauschprogramme für berufstätige Jugendliche – ähnlich wie das Erasmus- Programm für Studenten – damit die Stipendiaten andere Kulturen kennenlernen können.

Sozial- und Jugendarbeit war Leos Antrieb. Wenn ich ihn zufällig auf der Straße oder im Zug traf, dann erzählte er mir mit seinem freundlichen und gewinnenden Lächeln stets von den Projekten, an denen er gerade dran war.

Er erzählte davon eher nebenbei, nie sich selbst in den Mittelpunkt stellend.
Sein Projekt Rückenwind, sein Verein Cubic oder das Radlkino, das sind nur einige seiner Ideen. Legendär sein Filmprojekt The last fisherman, eine Dokumentation über einen Fischer in Cornwall. Hoffentlich kann sich endlich unser ORF dazu aufraffen, den Film ins Programm aufzunehmen. Wim Wenders und Werner Herzog waren jedenfalls begeistert davon.

Die Verabschiedung von Leo hat mich persönlich sehr aufgewühlt, das Porträtbild neben dem Sarg mit seinem typischen friedlichen Lächeln rührte mich zu Tränen. All seine Aktivitäten, die bei der Verabschiedung zur Sprache kamen, setzten mich in Erstaunen. Was hat dieser Mensch in meiner Nachbarschaft für positive Energien in seinem zu kurzen Leben in die Welt gebracht!

Auf einem Zettel hat er seiner Frau einmal eine kleine Notiz hinterlassen: Feiern wir das Leben! Jedenfalls ist mit Leo ein Mensch gegangen, dem der Kleinmut und das Motschgern (siehe oben) völlig fremd waren.

Danke Leo

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Elias Schneitter

Elias Schneitter, geb. 1953, lebt in Wien und Tirol. Zahlreiche Publikationen. Zuletzt der Erzählband „Fußball ist auch bei Regen schön“ (Edition BAES), der Roman „Ein gutes Pferd zieht noch einmal“ (Kyrene Verlag) und der Gedichtband „Wie geht’s“ in der Stadtlichter Presse, Hamburg. Daneben Tätigkeit als Kleinverleger der edition baes (www.edition-baes.com), wo ein Schwerpunkt auf die Veröffentlichung von Literatur aus der US-amerikanischen Subkultur gelegt wird. Schneitter ist Mitbegründer und Kurator beim internationalen Tiroler Literaturfestival „sprachsalz“ (www.sprachsalz.com) in Hall.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Rudolf Ostermann

    War leider nicht auf der Beerdigung , habe es nicht geschafft: aber ein sehr einfühlsamer Kommentar.

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