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Elias Schneitter
Eine Sternstunde historischen Ausmaßes
Notizen

Für einen österreichischen Fußballfan hat die EM hervorragend begonnen. Ein Sieg für unser Team, eine Niederlage für die Deutschen. So weit so primitiv! Aber das gehört zur Kickerei halt dazu, oder vor allem.

Und dann noch unser glorreicher Sieg über die Ukraine und der Aufstieg ins Achtelfinale. Was will man mehr?

Hinzu kommt, dass wir mit dem Auftritt unseres guten Arnie gegen die Nordmazedonier auch noch einen Skandal hatten. Wir alle wissen, auf dem Rasen und in den Stadien geht’s natürlich nicht lupenrein zu. „Son of a bitch“ oder „Motherfucker“ und ähnliche Unfreundlichkeiten kommen da vor. Und auf Beleidigungen der Mütter scheinen besonders südländische Spieler besonders anzusprechen. Denken wir an Herrn Zidane.

Auch unser Arnie – keiner hat es zwar vernommen – soll in diese und eine ähnliche Kiste gegriffen haben und bekam ein Spiel Ruhepause aufgebrummt. (Tat ihm sicher gut, da er ohnehin nicht gut durchtrainiert ist). Seine Freundlichkeiten waren sicher nicht die feine englische Art oder für den Freiherrn von  Knigge geeignet.

Aber wir als österreichische Fußballfans haben es ohnehin in mehrfacher Hinsicht nicht einfach. Das fängt schon mit unserer Bundeshymne an. Wenn die österreichische Hymne im Stadion erklingt, dann schlafen einem die Füße ein. Das scheint auch bei unseren Kickern der Fall zu sein. Hört man hingegen die Marseillaise oder die Hymne der Italiener, dann ist man geradezu elektrisiert. Bis in die Haarspitzen! Andere Gefühle erweckt wiederum, zumindest in mir, die von Altösterreich übernommene deutsche Hymne. Automatisch fallen mir die hochlyrischen Zeilen ein: „Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt!“ – und das erweckt nicht gerade günstige Assoziationen. Darum auch die Freude über deutsche Niederlagen, die aber ohnehin sehr selten vorkommen.

Der große Profifußball, also EM, WM, Champions-League etc. ist eigentlich ein unglaubliches Phänomen. Es geht um Milliarden, die Spieler beziehen Millionengehälter, die Hintermänner (UEFA, FIFA) sind ein korrupter Haufen und wir Fußballbegeisterte (genauer gesagt: Fußballtrottel) sitzen vor der Glotze. Verdient ein Spitzenpolitiker einen Bruchteil eines Balltreters, überhäufen wir ihn mit Spott und Häme. Verdient ein Alaba monatlich eine Million netto, finden wir das im extremsten Fall vielleicht ein wenig überzogen.

Im nächsten Jahr ist die WM in Katar. Dort ist es so heiß, dass selbst in „der kalten Zeit“ die Stadien gekühlt werden müssen. Der Bau solch sinnloser Gebäude hat Tausenden Sklavenarbeitern aus Indien das Leben gekostet. Bin gespannt – bei uns findet das Turnier in der Vorweihnachtszeit statt – ob der Fußball selbst diesen Wahnsinn unbeschadet übersteht.

Aber zurück nach Österreich: Von den Nordmazedoniern wurde unser Arnie aufgrund seines Auftritts nach dem Goal „eines nationalen Ausbruchs“ beschuldigt. Diese Argumentation finde ich eigentlich schon wieder süß: Der EM, wo die Nationen gegeneinander kämpfen, Nationalismus vorzuwerfen, ist höhere Philosophie. Den goldenen Schuss hat dabei Sportreporter Thomas König nach dem Sieg über Nordmazedonien gelandet: „Eine Sternstunde historischen Ausmaßes!“ Genial. Aber wir Fußballtrottel haben ohnehin ein eigenes Geschichtsbewusstsein. So gelten für uns der Erste und der Zweite Weltkrieg sowie Cordoba als die drei Hauptereignisse des zwanzigsten Jahrhunderts.
Und jetzt steht uns bei der EM der übermächtige Gegner Italien bevor. Na bravo!

Notiz: Eine kleine Ehrenrettung für uns Fußballtrottel: Im ORF III versorgen sie uns gerade gehäuft mit österreichischen Kabarettisten. Ich hab mir Auszüge von Niavarani, Gernot und Seidl angesehen und bin zur Überzeugung gelangt: so langweilig wie die drei kann ein Fußballmatch gar nicht sein. Und auch nicht so banal, wie das, was sie an Abgelutschtem liefern. Ein Schuss Lenny Bruce tät ihnen gut. Gerade in Zeiten wie diesen.

Elias Schneitter

Elias Schneitter, geb. 1953, lebt in Wien und Tirol. Zahlreiche Publikationen. Zuletzt der Erzählband „Fußball ist auch bei Regen schön“ (Edition BAES), der Roman „Ein gutes Pferd zieht noch einmal“ (Kyrene Verlag) und der Gedichtband „Wie geht’s“ in der Stadtlichter Presse, Hamburg. Daneben Tätigkeit als Kleinverleger der edition baes (www.edition-baes.com), wo ein Schwerpunkt auf die Veröffentlichung von Literatur aus der US-amerikanischen Subkultur gelegt wird. Schneitter ist Mitbegründer und Kurator beim internationalen Tiroler Literaturfestival „sprachsalz“ (www.sprachsalz.com) in Hall.

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