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Elias Schneitter
Die Platane vor dem Café Eiles
Notizen

Nach dem Lockdown nistet sich langsam wieder ein normaler Alltag ein. Für mich bedeutet das nach langer Abwesenheit einen längeren Aufenthalt in Wien (Zweitwohnsitz) mit Kaffeehaus, Zeitunglesen, Theater, Konzerten, Yppenplatz und die Begegnung mit alten Bekannten. Gesprächsstoff gibt’s jede Menge.

Wenn ich in Wien bin, dann ist der nachmittägliche Besuch im Café Eiles ein Fixtermin. Hier trinke ich meinen Verlängerten braun und hier widme ich mich meiner Zeitungslektüre. Für die Cafetiers ist es im Moment nicht gerade einfach, besonders für das Eiles nicht. Grund dafür ist die Baustelle zur U5 direkt vor dem Haus. Deswegen hat es auch schon im Herbst einigen Wirbel gegeben, weil eine Platane gegenüber dem Eiles gefällt werden sollte. Einige „Stadtgrüne“ protestierten dagegen und es gelang ihnen, den Baum zu retten. Er wurde mittels eines Tiefladers auf den Schmerlingplatz umgepflanzt. Die Kosten für die Aktion beliefen sich auf über eine halbe Million Euro. Sie haben richtig gelesen!

Im Schatten der Platane stand bis zum Baubeginn ein Zeitungskiosk mit einem sehr sympathischen Verkäufer. Bei ihm besorgte ich mir stets die Tiroler Tageszeitung, den Ballesterer und andere Publikationen. Jetzt ist der Kiosk weg. Auch der U-Bahn zum Opfer gefallen.

Zufällig habe ich dieser Tage den Zeitungsverkäufer getroffen. Ich fragte ihn nach dem Verbleib seines Kiosks. Weg für immer, war die Antwort. Er hatte dabei einen sehr traurigen Blick, was kein Wunder ist, nachdem er fünfunddreißig Jahre hier seine Arbeitsstelle hatte.

Ich fragte ihn, ob er einen Ersatz bekommen habe, oder eine Abschlagszahlung oder Ähnliches, aber er winkte nur ab. Er hätte nichts bekommen, auch kein Angebot, aber er wolle kein Aufhebens machen. Er möchte seine Ruhe. Dann verabschiedete er sich.

Irgendwie haben das „Schicksal“ des Kiosks und der Platane etwas Symbolträchtiges an sich. Für einen Unsinn (Transferierung der Platane) gibt’s mediale Aufmerksamkeit und jede Menge Geld. Für den Arbeitsplatz eines einfachen Verschleißers gibt es nichts.

Elias Schneitter

Elias Schneitter, geb. 1953, lebt in Wien und Tirol. Zahlreiche Publikationen. Zuletzt der Erzählband „Fußball ist auch bei Regen schön“ (Edition BAES), der Roman „Ein gutes Pferd zieht noch einmal“ (Kyrene Verlag) und der Gedichtband „Wie geht’s“ in der Stadtlichter Presse, Hamburg. Daneben Tätigkeit als Kleinverleger der edition baes (www.edition-baes.com), wo ein Schwerpunkt auf die Veröffentlichung von Literatur aus der US-amerikanischen Subkultur gelegt wird. Schneitter ist Mitbegründer und Kurator beim internationalen Tiroler Literaturfestival „sprachsalz“ (www.sprachsalz.com) in Hall.

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