Elias Schneitter
Die Schleichende Privatisierung im Gesundheitsbereich
Notizen

Eine immer größer werdende Baustelle im Gesundheitsbereich ist die fortschreitende „Privatisierung“, was auf den Punkt gebracht heißt, dass die Patienten immer häufiger gezwungen sind, Wahlärzte aufzusuchen und damit die Behandlungen fast zur Gänze selbst zu bezahlen.

Das „Vertragssystem“ der Kassen wird zusehends ausgehöhlt, denn immer weniger Mediziner sind an einer direkten Zusammenarbeit mit den Kassen interessiert.

Zu dieser Thematik hat Dr. Preindl, der zehn Jahre als Leitender Angestellter in der TGKK tätig war, in einem Vortrag beim Freundeskreis der TGKK eine klare Analyse der sehr unbefriedigenden Situation gehalten. An den Vortrag anknüpfend habe ich mit Dr. Preindl folgendes Gespräch geführt.

Herr Dr. Preindl, warum haben immer weniger junge Ärzte Interesse mit den Kassen ein Vertragsverhältnis einzugehen?

Das hängt vor allem mit der geltenden Honorarordnung zusammen. Einerseits ist den Meisten die Honorierung der einzelnen Leistungen viel zu niedrig, zudem quartalsmäßig gedeckelt, wobei noch hinzu kommt, dass viele zeitgemäße Leistungen aus allen verschiedenen Fachrichtungen überhaupt nicht in den Leistungskatalogen der Kassen abgebildet und somit grundsätzlich nicht verrechenbar sind.

Andererseits spielt gerade bei einem Frauenanteil in der Ärzteschaft von etwas über 60%, die Work-Life-Balance gerade für viele Jungärztinnen mit Kindern eine immer größere Rolle. Nachdem der Gesamtvertrag der Ärztekammer mit der Kasse viele Verpflichtungen für die Ärzte enthält wie z.B. 20 Stunden Mindestöffnungszeit der Ordination pro Woche (= in den meisten Fällen 30 – 35 Stunden pro Woche Arbeit in der Ordination, zu der dann auch noch Hausbesuche und Gesundenuntersuchungen außerhalb der regulären Ordinationszeiten dazukommen) und verpflichtende Teilnahme an Wochenendbereitschaftsdiensten und Nachtdiensten, so ist ein Kassenvertrag aus Gründen der Nicht-Vereinbarkeit mit der Familie besonders für Jungärztinnen uninteressant.

Was müsste unternommen werden, um eine zufriedenstellendere Situation für alle Beteiligten zu erreichen? Mehr Geld? Eine neue Honorarordnung?

Die Höhe der Honorare ist derzeit so gestaltet, dass eine wirtschaftliche Praxisführung nur mit hohen bis sehr hohen Patientenzahlen zu erreichen ist. Dies bedeutet eine „Massenabfertigungspraxis“ führen zu müssen mit wenig Zeit für eine qualitative Betreuung des einzelnen Patienten, was nicht nur für Patienten, sondern auch Ärzte frustrierend ist und auch viele von einem Kassenvertrag abhält. Dementsprechend werden Honorare eingefordert, die hoch genug sind, dass man auch mit weniger Patienten und mehr Zeit für den einzelnen halbwegs gut leben kann.

Also zusammengefasst sind eine höhere Honorierung und ein erneuerter, erweiterter Leistungskatalog mit neuen Leistungen und besserer Bewertung der Gesprächs- und Zuwendungsmedizin notwendig, um für junge Ärzte Kassenverträge wieder attraktiv zu machen.

Das Problem mit der Work-Life-Balance wird zudem nur mit besseren Angeboten für Gemeinschaftspraxen, Vertragssharing und Primärversorgungszentren zu lösen sein.

Verbandsobmann Huss hat in einem Statement gemeint, die Wahlärzte ganz abzuschaffen? Ein ernsthafter Vorschlag kann das ja kaum sein?

Die mediale Wortmeldung von ÖGK-Obmann Huss, dass man allen niedergelassenen Ärzte in Österreich einen Kassenvertrag anbieten sollte, dafür aber alle Nicht-Vertragsärzte zu reinen Privatärzten machen sollte, für deren Leistungen es dann keinerlei Rückvergütung durch die Kasse mehr gäbe, also ein System wie in der BRD, sollte wohl die Wahlärzte „erschrecken“, dass sie dann als reine Privatärzte keine Patienten mehr haben würden.

Da dies bei den dzt. nur sehr geringen durchschnittlichen Kassenvergütungen von 10 – 15% wohl keinen Patienten davon abhalten würde auch weiterhin zum reinen Privatarzt zu gehen, wäre diese Maßnahme ohnehin kaum wirksam. Die Wortmeldung ist wohl nur taktisch zu verstehen, um das leidige Wahlarztproblem für die Versicherten ins allgemeine Bewusstsein zu rücken und die Suche nach Lösungen voranzutreiben.

Aber jetzt im Ernst, was wird wirklich vonseiten der Kassen unternommen, um Verträge wieder attraktiv zu machen bzw. was müsste unternommen werden?

ÖGK-Obmann Huss hat neben seinem „Marketing-Gag“ – es scheint ihm ein sehr wichtiges Anliegen zu sein – erste wichtige Schritte unternommen, um gemeinsam mit der Österreichischen Ärztekammer (ÖAK) einen österreichweit gültigen Leistungskatalog zu erarbeiten, der oben stehende Anforderungen erfüllt. Auch die ÖAK hat bereits einen diesbezüglichen Vorschlag vorgelegt, der lt. Huss zu 75% von der ÖGK akzeptiert werden könnte. Über die restlichen 25% soll bis Ende des Jahres 2022 eine Einigung erarbeitet werden.

Wie schaut es mit den Gesundheitszentren aus?

Seitens der Gesundheitspolitik wird schon seit vielen Jahren die Errichtung von mehreren Primärversorgungszentren (PVZ) in allen 9 Bundesländern gefordert und dies wurde z.B. in Oberösterreich, Niederösterreich und Burgenland auch schon zumindest teilweise umgesetzt, Tirol ist hier aber leider Schlusslicht in Österreich, obwohl auch wir bis heuer schon zumindest ein PVZ haben sollten.

Ursache dafür ist nicht zuletzt die Blockadehaltung der Ärtzekammer für Tirol, die wegen ungeklärter Honorierungsfragen, betriebsrechtlichen Fragen (Einzelverträge oder eine GmbH etc.) ein solches PVZ bisher verhindert hat. Aber auch das Land, das sich an der Errichtung solcher PVZ zur Entlastung der Spitäler beteiligen sollte, ist bisher nicht gerade durch ein besonderes Engagement aufgefallen.

Danke für das Gespräch


Note 1: In einer Kolumne von Tobias Müller im Standard mit dem Titel „Wieso ist das Essen in Italien um so viel besser als in Österreich“ führt er als markantes Beispiel besonders Tirol an. Besonders auffällig, schreibt er, sei das Gefälle in Tirol. Der Norden ist eine kulinarische Wüste, aber kaum ist man über den Brenner, tut sich eine Art Schlaraffenland auf. Diese Meldung hat mich sehr erheitert. Jedenfalls für meinen Heimatort Zirl kann ich die kulinarische Wüste für eine Neuntausend-Einwohner-Gemeinde mit ein bis zwei winzigen Oasen vollinhaltlich bestätigen. Aber bei meinem Körpergewicht ist es ohnehin besser so!


Note 2: Dass wir in einer grotesken Welt leben, ist nicht gerade eine besonders neue Erkenntnis. Als sich 1990 die UdSSR auflöste, hat die Ukraine für ihre Selbständigkeit auf ihr großes Atomwaffen-Arsenal verzichtet. Hätte sie das nicht getan, hätte es dann Putin trotzdem gewagt, die Ukraine anzugreifen? Absurde Frage in einer absurden Welt.


Note 3: Boris Johnson, der britische Rabauke, nennt Putin in einem toxischen Macho-Wahn gefangen. Diese Aussage hat den russischen Kriegstreiber schwer getroffen. Er verlangt via Botschaft eine Entschuldigung, wie es in höflichen Gesellschaften üblich ist. Was will man dazu noch sagen?


Note 4: Während unsere Welt aus allen Fugen gerät, Pandemie, Klimawandel, Wirtschaftskrise, raufen wir uns die Haare wegen Genderei und ein Untersuchungsausschuss beschäftigt sich bereits seit Monaten mit Inseraten-Geschäften.


Note 5: Unentwegt wird über den bevorstehenden Untergang der westlichen Gesellschaften und Chinas Aufstieg berichtet. Aber noch scheint es nicht so weit zu sein, denn der Westen ist für Flüchtlinge immer noch der Zielort Nummer eins. China, Russland und die reichen Ölstaaten stehen da (noch) nicht als Wunschkandidaten ganz oben.


Note 6: In Wien, besonders in alternativen Künstler- und kritischen Intellektuellenkreisen, gibt es jede Menge „Putinversteher“. Ein Großteil der Schuld für den Ukraine Krieg wird der Nato und dem Westen zugeschrieben, und dass Putin durch den Westen in die Enge getrieben worden sei, keine andere Chance gehabt habe als sich zu verteidigen. So wird argumentiert und vor allem werden die Kriegsverbrechen des Westens (Irak, Afghanistan, Südamerika etc.) ins Spiel gebracht. Auch wenn dieser Vergleich grundsätzlich hinkt (ein Fehler kann nicht durch einen anderen Fehler gerechtfertigt werden) muss man dem Westen zumindest zugute halten, dass er die Opposition im eigenen Land nicht mundtot macht und mit Haftstrafen bedroht hat.

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Elias Schneitter

Elias Schneitter lebt in Wien und Tirol. Zahlreiche Publikationen. Zuletzt der Erzählband „Civetta“ (baes) und der Roman „Ein gutes Pferd zieht noch einmal“ (Kyrene Verlag) und der Gedichtband „Zirler Blues“ (baes). Daneben Tätigkeit als Kleinverleger der edition baes (www.edition-baes.com), in der ein Schwerpunkt auf die Veröffentlichung von Literatur aus der US-amerikanischen Subkultur gelegt wird. Schneitter ist Mitbegründer und Kurator beim internationalen Tiroler Literaturfestival „sprachsalz“ (www.sprachsalz.com) bis 2023 in Hall, seit 2024 in Kufstein.

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