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Elias Schneitter
Drei Gedichte

Großmutter

Bei Großmutter wusste man nie,
ob sie schon tot war oder noch lebendig.
Sie starb nicht an einem bestimmten Tag,
sondern über Jahre hinweg.

Wir glaubten sie schon längst im Grab,
als sie dann ganz überraschend
doch wieder auf der Ofenbank lag.

Sie verfluchte das Jenseits,
sie hasste Gott,
von dem sie annahm,
dass er sie ungerecht behandelt hätte.

Alle ihre Kinder ließ sie wissen,
dass sie nie wieder Kinder in die Welt
setzen würde
und dann verschwand sie wieder
für einige Tage
und wir hielten Ausschau nach ihr,
in den Flussauen,
in den Wäldern.

Wir holten die Gendarmerie zu Hilfe,
wir gaben eine Vermisstenanzeige auf,
jedoch ihre Leiche wurde nicht gefunden.

Oft hatte sie gedroht, ins Wasser zu gehen
oder sich mit Tabletten zu beseitigen.

Nach Tagen wurde die Suche schließlich
eingestellt
und ein Onkel meinte trocken,
sie möge bleiben, wo sie wolle.

Aber kaum hatte man begonnen
ihre kleine Wohnung auszuräumen,
lag sie ganz plötzlich
wieder auf der Ofenbank
und ließ ihrer Wut auf die Welt,
auf die katholische Kirche,
ihre missratenen Kinder,
freien Lauf.

Darum kamen alle mit
Großmutter nie so richtig zurande,
weil man nie genau wusste,
ob sie schon tot war
oder noch lebte.


Die Brennsuppe

Abends, wenn der Vater
von der Arbeit nach Hause kam,
dann machte er sich oft
eine Brennsuppe,
die er mit einem Stück Brot
zu sich nahm.

Er schätzte die Brennsuppe
über alles. Für die Verdauung,
für den kleinen Hunger, oder einen
verdorbenen Magen gäbe es
nichts Besseres als eine
Brennsuppe, war er völlig
überzeugt.

Manchmal fragte er mich,
ob ich auch einen Teller mitessen wolle.
Meistens lehnte ich ab.
Hin und wieder ließ ich mich
aber dazu überreden
und dann sagte der Vater jedes Mal,
wenn wir zu essen begannen,
dass so eine Brennsuppe
das wahre Gedicht sei.


Die Ehe

Früher, in den ersten Jahre ihrer Ehe,
wünschte sie sich vor allem Kinder,
aber es klappte nicht und nicht.
Alles Mögliche wurde unternommen,
aber ohne Erfolg.

Das ließ sie verbittern.
Ihr Ehemann war ein Schlitzohr,
hatte eine Frauengeschichte nach der anderen.

Er sah gut aus, hatte ein flottes Mundwerk,
war stets gut drauf.
Sie wusste von seinen Geschichten,
aber man besaß ein vornehmes zuhause,
Reichtum und Wohlstand.

Er war die meiste Zeit außer Haus,
beruflich wie es hieß.
Sie verbrachte die meiste Zeit in diesem,
räumte auf, putzte unentwegt,
hielt alles in Schuss,
wusch seine Unterhosen,
seine Socken,
bügelte die Hemden.

Immer war für ihn alles vorbereitet,
damit er in See stechen
oder in das gemütliche
Zuhause zurückkehren konnte.

Sie wusste, dass sie nur sein Mutterersatz war.

Ihre Verbitterung wich einem stillen Unglück,
verbunden mit der Angst,
dass er bei einer anderen ein Kind hätte.

An einem ganz einsamen Tag,
machte sie sich ohne Termin auf den Weg
zu ihrem Friseur in die Stadt.
Sie hatte den Entschluss gefasst,
sich ihre schulterlangen glänzenden Haare
auf ganz kurz abschneiden zu lassen.

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Elias Schneitter

Elias Schneitter, geb. 1953, lebt in Wien und Tirol. Zahlreiche Publikationen. Zuletzt der Erzählband „Fußball ist auch bei Regen schön“ (Edition BAES), der Roman „Ein gutes Pferd zieht noch einmal“ (Kyrene Verlag) und der Gedichtband „Wie geht’s“ in der Stadtlichter Presse, Hamburg. Daneben Tätigkeit als Kleinverleger der edition baes (www.edition-baes.com), wo ein Schwerpunkt auf die Veröffentlichung von Literatur aus der US-amerikanischen Subkultur gelegt wird. Schneitter ist Mitbegründer und Kurator beim internationalen Tiroler Literaturfestival „sprachsalz“ (www.sprachsalz.com) in Hall.

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