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Elias Schneitter
Die Nebelwälder von Ecuador
Notizen

Die Wälder haben immer ihr Leben bestimmt. Ohne Wälder könne sie nicht existieren. Eine ältere vornehme Dame sitzt zufällig am Nebentisch, während ich auf der Terrasse eines Cafés frühstücke. Wir kommen ins Gespräch. Sie spricht gepflegtes Deutsch, Hochdeutsch.

Aufgewachsen im Schwarzwald ist sie vor 27 Jahren mit ihrer Familie, drei Töchtern und Ehemann, nach Ecuador ausgewandert. Inzwischen leben zwei ihrer erwachsenen Kinder in Wien. Ihnen stattet sie gerade einen Besuch ab. Beide wohnen am Wilhelminenberg, nahe dem Wienerwald.

Natürlich interessiere ich mich, wie sie nach Ecuador gekommen ist und was sie dort macht, nachdem ich nicht den Eindruck habe, dass sie mir eine „Story“ auftischen wird.

Sie sagt, es waren die Nebelwälder, die sie gerufen hätten. Nicht sie hätte sich das Land ausgesucht, sondern sie wurde vom Land ausgesucht. Es hätte so sein müssen. Vor 27 Jahren besuchte sie mit ihrem Mann eine befreundete Familie und in kurzer Zeit fühlten sie sich zuhause. Es lief alles wie von selbst.

Damals erhielten sie und ihr Mann ein großes Stück Land zugewiesen und sie bauten sehr erfolgreich Kakaobohnen an und produzierten unter anderem Pralinen, die sie sogar nach Europa verkauften.

Wichtig war ihnen immer das soziale Engagement und vor allem der Schutz der Nebelwälder Ecuadors. Das führte dazu, dass sie von Indigenen vertrieben und ihnen die Plantagen abgenommen wurden. Unter Lebensgefahr mussten sie flüchten. Die Indigenen waren aber nur vorgeschoben, dahinter steckten ganz andere Mächte.

Inzwischen lebe sie in einem Resort für Reiche, in dem alle ihren Besitz mit hohen Mauern und Elektrozäunen schützen müssen. Trotzdem würden sie laufend überfallen.

Ecuador wäre eines der reichsten Länder der Welt: Gold, Kupfer, Öl! Aber der vorige Präsident habe alle Rechte für den Abbau an die Chinesen verkauft. Sogar die Fischereirechte! Er lebe inzwischen im Exil. Jetzt werde das Land radikal ausgebeutet und die Nebelwälder zerstört. Auch die Europäer seien daran beteiligt. In den Handys und in der Fotovoltaik werden Metalle aus Ecuador verwendet.

Kürzlich wurde ein neuer Präsident gewählt. Ein junger Mann aus reichem Haus. Er habe eine schöne Rede im Fernsehen gehalten. Darum wurde er Präsident. Der aussichtsreichere Kandidat wurde zuvor erschossen.

Inzwischen ist es als Kämpferin für die Nebelwälder zu gefährlich. Man könne eingesperrt oder erschossen werden. Ihre ganze Familie habe immer für den Urwald gekämpft. In Kürze wolle sie noch einmal zurück nach Ecuador. Ihr Mann sei schwer krank. Ihre Tochter und sie würden ihn noch auf seinem letzten Weg begleiten.

Dann werden sie beide wieder nach Europa zurückkehren. Nach Wien. In die Nähe des Wienerwaldes. Ohne Wald könne sie nicht leben.


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Elias Schneitter

Elias Schneitter, geb. 1953, lebt in Wien und Tirol. Zahlreiche Publikationen. Zuletzt der Erzählband „Fußball ist auch bei Regen schön“ (Edition BAES), der Roman „Ein gutes Pferd zieht noch einmal“ (Kyrene Verlag) und der Gedichtband „Wie geht’s“ in der Stadtlichter Presse, Hamburg. Daneben Tätigkeit als Kleinverleger der edition baes (www.edition-baes.com), wo ein Schwerpunkt auf die Veröffentlichung von Literatur aus der US-amerikanischen Subkultur gelegt wird. Schneitter ist Mitbegründer und Kurator beim internationalen Tiroler Literaturfestival „sprachsalz“ (www.sprachsalz.com) in Hall.

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