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Elias Schneitter
Die Fleischkässemmel
Amts-Szene

Während die junge Büroangestellte Summen und Daten in die Maschine klopft, stellt sie sich vor, wie sie diesem Schweinskopf von Stadtrat das Parteibuch hinknallt und ihm so richtig die Meinung sagt. Wenn der glaubt, denkt sie, dass er ein Kasperltheater aufführen kann, dann ist er bei mir an der falschen Adresse!

Ihr gegenüber werkt ein gleichaltriger Arbeitskollege, der sich jeden Morgen, bevor er seine Arbeit in Angriff nimmt, die Frage stellt, warum er noch immer hier ist. Er hängt mehr in seinem Bürosessel, als dass er drin sitzen würde, sodass seine Kollegin, wenn sie einen Blick zu ihm hinüberwirft, grade einen Haarschopf über den Bildschirm ragen sieht.

Im Hintergrund läuft das Radio, so kommt es, dass sie lauter als gewöhnlich reden müssen, wenn sie sich miteinander unterhalten wollen.

Sie: (kurz aufblickend) Du
Er reagiert darauf nicht.
Sie: (eindringlich) Heeeee!
Er: (aufgeschreckt) Du…
Sie: Ha?
Er: (etwas aufgebracht) Du darfst ruhig Markus zu mir sagen.
Sie: (lachend) Das auch noch!
Er: (sie nachäffend) Das auch noch!
Sie: Wie spät ist es eigentlich?
Er: Halb zehn.
Sie: Was? Erst halb zehn.
Heut geht die Zeit wieder einmal gar nicht vorbei.
Er: Nicht nur heute.
Sie: Dass da herinnen die Zeit einfach nie vorbeigeht.
Etwas später.
Sie: (seufzend) Mensch…
Er: Was?
Sie: Mensch hab ich einen Hunger.
Er: Nicht nur du.
Sie: Gehst du die Jause holen? Heute bist einmal du an der Reihe.
Er: Ja. Ich muss mir eh die Beine vertreten. Was soll ich dir mitnehmen?
Sie: Hm… Was könnte ich heute essen?
Er: Eine Fleischkässemmel.
Sie: Mir hängt der Fleischkäs schon zum Hals heraus.
Er: Aber du isst doch jeden Tag eine Fleischkässemmel.
Sie: Darum will ich ja einmal etwas anderes.
Er: Jetzt isst du bereits seit sieben Jahren eine Fleischkässemmel, da wirst du doch nicht ausgerechnet heute…
Sie: (nachdenklich) Es ist ein Wahnsinn. Jetzt bin ich schon seit sieben Jahren hier. Dabei kommts mir grade so vor, als ob ich gestern angefangen hab.
Er: Da sieht man, wie schnell die Zeit vergeht. Dabei jammerst du immer, dass die Zeit nie vergeht.
Sie: Ach, du Blödmann. Mit dir kann man kein vernünftiges Wort reden.
Er: (unschuldig) Was?
Sie: Nichts.
Er: Achso.

Nachdem er den letzten Beleg seines Stapels eingegeben hat, atmet er auf. Er schiebt sich die Rechenmaschine zurecht und beginnt mit dem Aufrechnen. Dabei wird überprüft, ob die Rechnungsbeiträge richtig eingegeben worden sind. Währenddessen läutet das Telefon. Sie hebt ab.

Sie: Hallo?…Hallo! Servus, wie geht’s? Aber sicher hab ich Zeit…. Ha?… Ja, gestern war ich oben am Magistrat. Diese Frechheit musst du dir vorstellen. Natürlich bekomme ich die Wohnung nicht… Nein… Aber die größte Sauerei dabei ist, dass sie schon längst vergeben ist. Ich strample mir seit Monaten die Beine ab, mir verspricht der Stadtrat das Blaue vom Himmel, dabei ist hinter meinem Rücken alles gelaufen. Noch dazu an einen Türken… Ich hab nichts gegen Ausländer. Er soll seine Wohnung bekommen, aber zuerst sollten schon wir… Jaja natürlich. Diese Politiker sind doch alles Saukerle. Aber wart nur ab. Im Moment sind mir die Hände gebunden. Ich brauche ja eine Wohnung, aber wenn das einmal geregelt ist, dann können sie mir den Buckel runterrutschen mit ihrer Partei… Was? Heute abend? Ich weiß noch nicht… Wenn du willst. Dann kann ich dir alles erzählen….Okay…Heute abend…Servus und grüß mir den Kurti recht schön.

Sie legt auf. Ihr Kollege ist inzwischen mit seiner Addition fertig und betrachtet gequält den Rechnungsstreifen. Die Summe passt nicht. Er schaut zum Fenster hinaus, während sie etwas über einen schlecht leserlichen Beleg murrt.

Sie: (zornig) Dass diese Kalbsköpfe nicht deutlich schreiben können.
(Sie ist gezwungen aufzustehen, beugt sich über den Bildschirm und hält ihm den Beleg hin.)
Kannst du diesen Namen entziffern?
Er: (studiert eine Zeitlang den Beleg, dreht ihn hin und her.) Ich glaub das heißt Yilmaz.
Sie: Das ist wieder so ein Name.
Er: (lächelnd) Schon wieder a Türk!
Sie: Ach du Trottel. Hast du deinen Fehler gefunden?
Er: Natürlich nicht.
Sie: Soll ich dir helfen?
Er: Jetzt hol ich erst einmal eine Jause.
Sie: Das ist eine gute Idee.
Er: Was soll ich dir mitnehmen?
Sie: Was mag ich?
Er: Das Übliche?
Sie: Ja, nimm mir eine Fleischkässemmel mit.
Er: Mit Senf?
Sie: Ja, mit Senf.

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Elias Schneitter

Elias Schneitter, geb. 1953, lebt in Wien und Tirol. Zahlreiche Publikationen. Zuletzt der Erzählband „Fußball ist auch bei Regen schön“ (Edition BAES), der Roman „Ein gutes Pferd zieht noch einmal“ (Kyrene Verlag) und der Gedichtband „Wie geht’s“ in der Stadtlichter Presse, Hamburg. Daneben Tätigkeit als Kleinverleger der edition baes (www.edition-baes.com), wo ein Schwerpunkt auf die Veröffentlichung von Literatur aus der US-amerikanischen Subkultur gelegt wird. Schneitter ist Mitbegründer und Kurator beim internationalen Tiroler Literaturfestival „sprachsalz“ (www.sprachsalz.com) in Hall.

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