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Egyd Gstättner
Zwei Wörtherseen
Oder:
Die Schönen und die Reichen, die Armen und die Leichen
Essay

Zweimal im Jahr ist der Wörthersee das Fernseh-Hauptabendprogramm: Einmal in der Starnacht, einmal Am Schauplatz. Seltsamerweise sind Moderatoren, Personal und Inhalte streng voneinander getrennt, als gäbe es zwei Wörtherseen. Niemals hat Peter Resetarits ein Wort darüber verloren, wie romantisch die Sonnenuntergänge, wie hot die Hotspots, wie lecker die Longdrinks und wie lang die Beine von Helene Fischer sind.

Dagegen hat Alfons Haider niemals etwas über Umwidmungen landwirtschaftlicher Nutzfläche in Bauland, Seen-Zupflasterung, Zweitwohnsitztrickserei, Verdrängung der Einheimischen vom Seeufer und tiefer Resignation der Politik gesagt. Im Fall unbeweisbarer Korruption gelten die Unschuldsvermutung und die Unwahrheitsvermutung. Kein Wort vom „Beton-Gold-Land“, keines vom „Investment-Kärnten“.


Drei Wege zum See

Drei Wege führen zum See: Der Luftweg im Hubschrauber, aus dem Fotografen und Kameramännern die eindrucksvollsten Bilder des Wörthersees gelingen, die man immer gern während der „Starnacht“ oder vor Länderspielen im Wörtherseestadion einspielt: Heißa, wie glitzert das Wasser im Sonnenlicht! Und diese Weltklassefarben! Einmal Türkis, einmal Smaragdgrün, einmal Curacao! Ein Longdrink von Klagenfurt nach Velden! Meine Minimunduskaribik!

Der zweite Weg: Der Fußmarsch durch die Drehkreuze des Strandbads, nicht frei und gratis, aber leistbar, den normalsterbliche Bürgerinnen und Bürger unternehmen, Ganzjahreswörtherseemenschen, denen der See kein „Hot Spot“, sondern eine Naturreligion ist, um die Bootsbrückenplanken zu entern – und dann hinein ins uterale Nass!

Der dritte Weg schließlich, den Wundersee mit eigenen Augen zu erblicken, ist, ein Wasserfahrzeug zu benützen – und je nach Einkommen Standup-Paddelboard, Ruderboot, Motorboot, Yacht oder eines der Schiffe der Wörtherseeflotte zu besteigen. Ahoi!

Das Ufer des Naturjuwels ist nämlich zu über 90 % weggesperrt, verbarrikadiert und seit Urzeiten in Geiselhaft der Reichen und Schönen genommen, der Immobilienentwickler und Investoren. Der See ist ein Gefängnis! Wobei: Alles ist relativ! Schönheit ist vergänglich, und viele, viele, die hier noch vor einem Jahrzehnt als unfassbar reich – und einflussreich – gegolten haben, sind heute in Konkurs, im Knast oder im Krematorium. Ich hingegen bin nach wie vor der ungekrönte König von Strandbadland und besitze ein Nummernschloss am Wörthersee, mit dem ich meine Kabine versperre, bevor ich mich aufs Steuerbord der „Kärnten“ praktiziere. Das stolze Schiff ist bis obenhin gefüllt mit Touristen aus aller Welt, vor allem aus Deutschland, Ungarn und St. Pölten.


GTI-Treffen und Betonwüstenkrebs

Der erste Diener seines Volkes, seines Zeichens Landeshauptmann und mein Bootsbrückenliegenachbar, hat vor mittlerweile einem halben Jahrzehnt ein ehrgeiziges politisches Projekt in Angriff genommen, nämlich die Rückeroberung des Ufers für die Öffentlichkeit. Schon in weniger als tausend Jahren sollen erste Resultate sichtbar werden. Und tatsächlich: In dem Schlupfloch, wo zwanzig Jahre lang zwischen Schilf und Buschwerk gigantische Tribünen aus dem Boden und Wochen später wieder in den Boden schossen und aus gewaltigen Megaphonen kryptische Frohbotschaften wie Put your hands up in the air! und Aha! Aha! I like it! und 3, 2, 1: die Welle! schallten, vor allem aber Wertschöpfung! Umwegrentabilität! Nachhaltigkeit! – Wo Eskimo-Girls mit Helene-Fischer-Beinen begeisterte Sozialhilfeempfänger mit Feuerwehrschläuchen abspritzten, da ist plötzlich wieder Friede, Ruhe, Hundebad. Die letzten Klänge sind verklungen, sogar: Que Sera, Sera, whatever will be, will be, the future`s not our`s to see…

Tja. Jetzt, da die Super-Golden-VIP-Longue der Beachvolleyball-Capital nicht mehr existiert, können auch die Milliardärswitwen leider nicht mehr hinein. Aber zumindest ihre Anwesen, Villen, Palästchen stehen noch. Jetzt, da sich die „Kärnten“ Reifnitz nähert, meldet sich der Kapitän erstmals zu Wort und unterrichtet die Passagiere von den 120.000 Nächtigungen in wenigen Tagen anlässlich des GTI-Treffens, dem eigentlichen Sinn dieses Ortes.

Dementsprechend ist auch das Denkmal, das Wahrzeichen gewählt, der aus dem Fels gehauene VW-Golf. Rundherum ist alles niedergerissen und das Areal wird das ganze Jahr als Parkplatz verwendet. Vom Reifenquietschterror rund um die Diskonttankstelle Mischkulnig und den jahrzehntelangen Leiden der Anrainer erzählt der Kapitän natürlich ebenso wenig wie Alfons Haider.

Wenn aber eines Tages das GTI-Treffen nicht mehr stattfinden sollte, kann man es ohne weiteres durch ein Hörgeräteherstellertreffen ersetzen…; Schaut der Passagier auf hohem See nun vom steinernen Auto hangaufwärts, wird er nicht umhinkommen, eine ebenso geheimnisvolle wie furchterregende Landschaftskrankheit epidemischen Ausmaßes wahrzunehmen. Man findet sie auch an anderen Seeufern oder an der Meeresküste, etwa in der Kvarner Bucht.

Aber nirgendwo ist sie so dramatisch fortgeschritten wie hier: Betonwürfelkrebs! Zuerst verlieren die Hänge plötzlich Wald und Wiese. Und im Handumdrehen wuchern aus den nackten Stellen Glas und Beton! Unsichtbar und unterirdisch verlaufen finstere Kanäle von Konto zu Konto: Da fließt nur eines: Geld! Dreckiges Geld!

Bekanntlich gibt es nichts Schöneres, Natürlicheres und Herzerfrischenderes als Beton! Da muss man nur Otto Retzer fragen, den großen Schöngeist, Regisseur, Visionär, lustigsten Ex-Kellner aller Zeiten und Spekulanten, der kennt sich da aus! Eine Bürgerin meint am Schauplatz: „Es ist nur noch ein Investment-Kärnten. Es ist ganz schwer, eine gewachsene Struktur aufzubauen. Die Jungen verlassen das Land, die Überalterung der Bevölkerung… sehr zukunftsreich schaut das nicht aus. Das einzige, was Zukunft hat, ist Geld. Die Politik ist der Handlanger der Investoren, sie geht in die Knie…“


Die Lieblingshalbinsel

Doch da tritt schon meine Lieblingshalbinsel ins Blickfeld: Nur Kirchfriedhof, Kirche, Kircherl, Grasser, Androsch: Fertig ist Maria Wörth! Was für eine Idylle! Schnell einen Sprung vom Schiff herunter und zum Friedhof hinauf: Der Gedenkstein von Ottilie von Herbert ist rechtzeitig zur Hauptsaison von Gestrüpp und Gebüsch befreit, glänzt im goldenen Sonnenlicht und ist wieder sichtbar, wenn auch kaum noch lesbar. Ottilie: Die erste Poetin Kärntens. Die erste Liedermacherin! Und das erste Ruderbootopfer! Seit 170 Jahren wartet sie, dass man sie endlich zur Starnacht einlädt! Oder ein steinernes Denkmal neben dem steinernen Golf-GTI! Aber der künstlerische Durchbruch in Kärnten: Das kann dauern!

Jedenfalls: In einem so idyllischen Kirchfriedhof mit Seeblick möchte man nicht nur gern begraben sein. Da heiratet man auch gern! Ein Lautsprecher überträgt die Worte des Pfarrers nach draußen: … sollt ihr die Treue chalten in guten und in bäsen Tagen, bis dass der Tod eich scheide… offenhörbar kommt der Geistliche aus Osteuropa: Was ein Pole verbunden hat, sollen die Kärntner nicht trennen, und wenn die Frischvermählten aus der Kirche treten, werden sie die letzten sein, über denen keine Seilbahn schwebt, die man von Pörtschach über den See bis hinauf zum Gipfel des Pyramidenkogels spannen will, wo der architektonisch eindrucksvolle neue Turm des Duos Klaura/Kaden steht.

Wie lange hatten die beiden dafür kämpfen müssen, die größte Schraube des Landes aus dem Kogel drehen zu dürfen! Vor lauter Machbarkeitsstudien war fast kein Geld mehr für die Machbarkeit vorhanden! Und jetzt sind alle Zauderer froh und begeistert und immer schon dafür gewesen! Vor die Wahl zwischen Seilbahn und Therme oder Erlebnishallenbad gestellt, würde ich als nachsaisonaler Wochenendurlaubsgast aber sicher trotzdem Letzteres wählen…


Weißes Rössel und Velden

Ladies and Gentlemen, our next Stop: Weißes Rössel! Ja, verdutzter Leser, es gibt auch ein weißes Rössel am Wörthersee, bekannt durch den Schlager Im weißen Rössel am Wörthersee, da steht das Unglück vor der Tür…; Genau genommen hängt an der Anlegestelle ein Schild: „Baden, Sonnen, Fischen polizeilich verboten. Strafe 100 Euro!“ Großartig, nicht? Wo gibt es das heute noch? Da wissen die herzlich willkommenen Urlaubsgäste gleich einmal, woran sie sind! Das möchte ich in meinem Dichterleben noch einmal schaffen – ein Strafmandat wegen unerlaubten Sonnens zu bekommen! Die Sensation muss einem das bisschen Geld einfach wert sein!

Die Promenade vor dem Veldener Schlosshotel wird zum Walk of Fame auffrisiert: Vorderhand ist sie vier Stationen – acht Handflächen im Beton lang. Roy Black und Alban Berg haben es nicht mehr rechtzeitig geschafft, aber zumindest Thomas Gottschalk und Ottfried Fischer konnten sich verewigen: Ottfried Fischers Handstand hätte ich gerne gesehen.

Tatsächlich gesehen habe ich aber ein Tischkärtchen in einem Strandlokal, das Gästen eine Mindestkonsumation von 50 Euro vorschreibt („Today this table requires a minimum cash flow of Euro 50.- “). Günstig zwar im Vergleich zu polizeilich verbotenem Sonnen, dennoch required this fact me getting lost for free, sail the ship and going home, und ich musste nostalgisch an den legendären Bundeskanzler Kreisky denken, der gemeint hatte, er müsse nach Mallorca, den Wörthersee könne er sich nicht leisten.

Einen Kreisky-Platz am Ufer habe ich dann doch noch entdeckt. Er/sie ist zwar nicht so benannt, aber es gibt eine betonwürfelfreie Stelle zwischen Reifnitz und Sekirn, da ist das Gelände zwischen Süduferstraßenleitplanken und Südufer so felsig, wurzelüberwuchert, abschüssig, unwegsam, dass man keinen Zaun, keine Villa, nicht einmal einen Liegestuhl aufstellen könnte. No cash flow possible, holy shit! Nur uralte, krumm gewachsene Bäume ragen aus den Klippen: auf deren Stämme sind Sprossen genagelt, eine Liane baumelt am Geäst, eine Art Aufzugsstrick ist an die Leitplanke geknüpft: Not und Platznot machen erfinderisch!

Hier begnügen und vergnügen sich junge einheimische Menschen mit einer Mischung aus No-Budget-Abenteuerurlaub, Tarzan-und-Jane-Romantik und Selbstmordversuch. Nichts für Milliardärinnen und Milliardäre! Von hier aus sieht man auch mein Büro am gegenüberliegenden Ufer, und gleich dahinter die traditionsreichen Leerstandsobjekte am besten Platz, die Schrottenburg, den Schrottenturm, das Klagenfurter Wörthersee-Hotel. Ewige Mahnmale kommunalpolitischen Dauerversagens! Die Losung, die sprichwörtlich für das ganze Ufer gilt, gilt hier wortwörtlich: Entweder Nobelbordell oder gar nichts!


Schlösser und Hotels

Außer Beton rund um den See Schlösser und Hütten. Die Schlösser haben ihren jeweiligen Besitzern meistens nicht sehr viel Glück gebracht. Frank Stronach wollte Schloss Reifnitz zu einem Heim für gestresste Manager ausbauen: es ist (zum Glück) nichts daraus geworden. Der Sänger Roy Black, der in der Erfolgsserie „Ein Schloss am Wörthersee“ den Hotelier spielte, starb früh und unter mysteriösen Umständen allein in einer Fischerhütte an Herzversagen. Einer der tatsächlichen Schlossbesitzer, der Bobfahrer, Fotograf, Dokumentarfilmer, Kunstsammler und Astrologe Gunter Sachs, Prototyp des Gentleman-Playboys, beging aus Angst vor Alzheimer und wegen Depressionen Suizid. Der Nachfolgeeigentümer, die Landesbank, beging ebenfalls Suizid. Sie ist für das schlimmste Finanzdebakel des Landes verantwortlich. Einer der führenden Manager, selbst nur Vasall seines Lehensherrn, kam – nicht ins Heim – sondern mit einer mehrjährigen Haftstrafe ins Gefängnis. Und dann gibt es auch noch das Hotel Wörthersee in der Klagenfurter Bucht, das Ortsunkundige oft mit dem in Velden verwechseln.

Wie legt man einen verregneten Sommer an? Eine Möglichkeit wäre ein Museumsbesuch – sofern man eben ein Museum findet…; Das Landesmuseum im Osten der Stadt versteckt, ist baufällig und daher geschlossen. Also gehe ich wie vor mir Elisabeth Matrei (das literarische Alter Ego in Ingeborg Bachmanns Erzählung „Drei Wege zum See“) auch bei Regen baden, trockne mich auf der Strandbad-Bootsbrücke ab, und schlendere hinüber zum verwunschenen Hotel Wörthersee hinter der Werft, das seit Jahren geschlossen ist.

Wäre ich der politische Chef der Stadt, ich setzte alles daran, dieses Prachtgebäude für alle Bürger der Stadt und ihre Gäste zu kaufen, zu restaurieren und ein Wörthersee-Museum daraus zu machen. Der Wörthersee in der Malerei von Pernhart bis Kalcher, der Wörthersee in der Musik von Brahms bis Mahler, in der Architektur, in der Literatur – von den drei Wegen (Bachmann) bis zur versunkenen Kathedrale (Jonke), von Ottilie von Herbert, vom Mädchen im See bis zu Egyds Büro und Johann Sichalich; im Sport (Eisprinzessinnen, Schwimmnixen, Albatros, Nautilus…), der Wörthersee im Film (von „Universum“ bis zu Roy Black: Endlosvorführungen im kleinen Filmtheater unterm Dach) der Wörthersee kulinarisch (Touch-Screen-Spezialrezepte, wirkliche Reinanken zum Selberessen im angeschlossenen Restaurant…), Schauküche, Sonderschauen (Christbaumversenken im Wörthersee, Verbrechen am Wörthersee etc.) Souvenirshop. Alles über den Wörthersee – und als Hauptattraktion und Publikumsmagnet natürlich ihn selbst, den Nessi des Südens, „den Fuß vom Wörthersee“! Hereinspaziert, hereinspaziert!


Politische Fantasielosigkeit

Tatsächlich hat man gar nichts daraus gemacht. Wie konnten die politisch Verantwortlichen des Badestädtchens dieses großartige Monument bloß so verkommen und verfallen lassen und dann aus Fantasielosigkeit an einen Privatmann verkaufen, der sich so lange mit dem Denkmalschutzamt streitet, bis kein Denkmal mehr zu schützen ist, weil es als Ganzes eingestürzt ist, und dann hat der Investor für seine Appartements freie Hand. Business as usual, die Öffentlichkeit, die Bürgerinnen und Bürger der Stadt sollen sich brausen gehen.

Sprach man Politiker auf die Ungeheuerlichkeit an, sagten sie einem ungeniert: „Ich bin bei dir! Mir blutet das Herz! Mir sind die Hände gebunden!“ Dafür hat man sie ja gewählt. Dafür werden sie ja bezahlt. Ja, Bürgerinitiativen gibt es. Aber Bürgerinitiativen werden in einer Demokratie vertröstet, demoralisiert, ausgehungert und mundtot gemacht. „Bürgerinitiativen“, „Volksbegehren“: Die großen Lügengebäude der verkommenen „Demokraten“ in der Geiselhaft der Kapitalhaie.

Von außen und auf den ersten Blick sah das Hotel am besten Platz nur verfallen aus wie ein ausrangierter Bahnhof oder eine vor langer Zeit still gelegte Fabrik, kein Panhans, ein Panhansel am See. Ins Innere gestiegen sah ich aber sofort, wie abbruchreif und einsturzgefährdet das gesamte Anwesen bereits war. Eine der zahllosen furchtbaren politischen Todsünden, die hier seit Menschengedenken ganz normal und gewöhnlich waren, ohne dass die Bürgerinnen und Bürger dagegen revoltiert hätten. Der Boden voller Schutt und Scherben, Holzbretter, morsch oder verkohlt. Die meisten Fenster verplankt. Die meisten Decken bis auf die Traversen eingebrochen: Was früher einmal Parterre (Empfangshalle, Rezeption, Salon, Speisesaal), erster und zweiter Stock (die Gästezimmer) gewesen sein mochte, war jetzt eine einzige große, allerdings völlig verfallene Halle. Jedenfalls konnte man vom Parterre durch alle Stockwerke bis hinauf zur Dachmansarde sehen, die Fundamente waren durchgebrochen, und wüsste man es nicht besser, man hätte denken können, im Inneren des Hotels sei eine Bombe detoniert.


Wo waren die Barden?

Wo war die vielgepriesene, hochdekorierte kritische Intelligenz des Landes, wenn es darauf ankam? Welcher von den Büchnerpreisträgern, Bachmannpreisträgern, Barden, Burgtheaterdirektoren, Humbert-Fink-Preisträgern hatte denn ein einziges Mal seine Stimme gegen die skrupellose politische Ermordung des Paradieses erhoben? Sie revoltieren immer noch gegen die Ohrfeigen verwester Großbauern aus den Fünfziger-Jahren, sie erzeugen die ihnen so verhasste Sprachlosigkeit in einer noch viel furchtbareren heutigen Dimension. Sie stopfen die Silberlinge des Immobilienmoguls in die eigene Tasche und schweigen. Sie weben mit am Schleier!

Alle Peter- (und Petra-) Alexanders dieser Welt singen seit Generationen starnachts in unterschiedlichen Worten: „Komm, steck dir deine Sorgen an den Hut!“ Nichtsdestotrotz sorgt sich ein Bürger (angesichts der neuesten Bad-Saag-Verpachtungs-Misere, bei der einer der letzten öffentlichen Uferstellen einer „Immobilienentwicklung“ zum Opfer zu fallen droht): „Zu hinterfragen wäre auch, wieso das Land Kärnten bzw. eine dem Land zugehörige Gesellschaft einem Bauträger bzw. Immobilienmakler so einen Pachtvertrag überhaupt zukommen lässt. Weil es ist ja naheliegend, dass der irgendwie im Hinterkopf etwas anderes im Schilde führt.“

Nanana! Wo denkst du hin, besorgter Bürger? Das ist ja nicht irgendein Bauträger bzw. Immobilienmakler! Das ist ja der Klimaschutz-hochkultur-tourismus-förderungs-immobilien-entwickler! Der hat ja letztes Jahr beim Hauptherzensprojekt des Landes, dem weltsensationellen Klimaschutz-hochkultur-tourismus-pionierprojekt For Forest enorme finanzielle Vorleistungen erbracht, erinnerst du dich, besorgter Bürger? – was natürlich nicht heißen soll, dass er sich eingekauft hat, das nicht! Andere bei hohen Idealen tatkräftig zu unterstützen, darf ja kein Geschäft werden; aber dankbar wird man sein dürfen, umgekehrt, erkenntlich wird man sich wohl noch zeigen dürfen, lieber besorgter Bürger!


Dankbarkeit allseits

Wenn sich einer fragt, was er für das Land tun kann, wird das Land sich wohl fragen dürfen, was das Land für ihn tun kann! Bei Bad Saag sieht man sich wieder! Ohne den Betonierer im Greenpeacepelz wäre es doch überhaupt nicht möglich gewesen, dass statt AS Roma und Borussia Mönchengladbach 299 Bäume im Europameisterschaftsstadion stehen! Einer der „der Rettung der Welt“ (Landessportdirektor Arno Arthofer, 7. 6. 2019) zuliebe 299 Bäume in ein Betonoval stellt, kann doch unmöglich 299 Betonklötze in eine Waldlandschaft stellen! Dann wäre ja alles nur Heuchelei gewesen!

Auf wessen Kosten sind denn Journalisten aus aller Welt eingeflogen worden, um darüber zu berichten, so dass man behaupten konnte, die Bilder des Stadionwalds seien um die Welt gegangen (was freilich gar nichts heißt, weil irgendwelche Bilder gehen heute immer um die Welt), wenn auch nie in Form von touristischer Umwegrentabilität zurückkommen? Na wer, wenn nicht er? Wer hat denn dem alten Schweizer Träumerlein seine 600.000 Euro Gage fürs Träumen bezahlt? Na wer?

Die Natur ist ja jetzt zum Glück für alle Zeiten gerettet, ob Amazonas oder Wörthersee. Also, ein bisserl eine Gegenleistung wird’s ja auch bei den Abfangjägern gegeben haben, besorgter Bürger! Ein bisserl einen Pachtvertrag und pipapo! Wenn so ein Gut-Investor von „Filetstücken am Seeufer“ spricht, denkt er sicher an die „hochwertige Gastronomie“. Woran sonst?

Zurück zu Hause: Die Tribünen der Haider`schen Seebühne – auch so ein gutgemeintes Millionengrab aus der letzten Ära der kriminellen Finanzwirtschaftshochstapelei – sind endgültig niedergerissen. Dafür wurden am selben Ort wie jedes Jahr Tribünen für den „Ironman“ hochgezogen, eine Woche später abgebaut und wieder eine Woche später wieder am selben Ort durch wieder andere Tribünen für die „Starnacht“ ersetzt – das Weltfestival der plastischen Chirurgie ist nebenbei die traditionelle Seebestattung österreichischer Song-Contest-Teilnehmer des jeweiligen Jahres – und das alles ein paar hundert Meter vom Wörthersee-Stadion entfernt!

Aber sonst? Hier ist es schön! – sagt der Dichter. Hier ist es schön!

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Egyd Gstättner

Egyd Gstättner (* 25. Mai 1962 in Klagenfurt) ist ein österreichischer Publizist und Schriftsteller. Egyd Gstättner studierte an der Universität Klagenfurt Philosophie, Psychologie, Pädagogik und Germanistik. Schon während des Studiums begann er mit Veröffentlichungen in Zeitschriften wie manuskripte, protokolle, Literatur und Kritik oder Wiener Journal. Seit seiner Sponsion 1989 lebt er als freier Schriftsteller in Klagenfurt, wo er zahlreiche Essays u. a. für die Süddeutsche Zeitung, Die Zeit, Die Presse, Falter, Kurier und Die Furche verfasste. Besonders bekannt wurde er im Süden Österreichs mit seinen Satiren in der Kleinen Zeitung. Darüber hinaus schrieb und gestaltete er Features für die Österreichischen Radioprogramme Ö1 und Radio Kärnten sowie für den Bayerischen Rundfunk.1993 wurde er zum Dr. phil. promoviert. 1990 erschien die erste eigenständige Buchpublikation („Herder, Frauendienst“ in der „Salzburger AV Edition“). Bis 2018 wurden insgesamt 34 Bücher Gstättners bei Zsolnay, Amalthea, in der Edition Atelier und seit 2008 im Picus Verlag Wien publiziert. Seit 2016 hat er einen zweiten Wohnsitz in Wien. Gstättner ist verheiratet und hat zwei erwachsene Töchter.

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