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Egyd Gstättner
Schluss mit dem Literaturpreis-Kasperltheater
Essay

Mein Lieblingstext von Anna Baar stammt aus dem Jahr 2017 und heißt Das Schweigen der Dichter, in dem sie Josef Winkler und den Ankauf seines Vorlasses durch die öffentliche Hand gegen alles Böse auf der Welt wild entschlossen verteidigt.

Alle Dichter haben zu Josef Winklers Vorlassankaufskreuzweg eisern geschwiegen, von Michael Köhlmeier bis Robert Menasse, von Michael Scharang bis Peter Henisch, von Erich Hackl und Reinhard P. Gruber bis Christoph Ransmayr. Auch alle Dichterinnen haben geschwiegen, von Elfriede Jelinek und Barbara Frischmuth bis Monika Helfer, von Lilian Faschinger bis Margit Schreiner, alle, alle haben sie geschwiegen, als damals „einer von uns“ bloß wegen der 460.000.- „vorgeführt“ wurde, die ER doch „exemplarisch für alle Kritischen und Unangepassten“ erhalten hatte (was natürlich auch heißt: anstatt aller Kritischen und Unangepassten).

„Vor unser aller Augen“ wurde ER in seiner „Menschenwürde“ bedroht, „gebrandmarkt“ und an „den Pranger“ gestellt, DER allerdings geheimnisumwittert und im Nebel der Prosa verborgen blieb. Wer nicht für Winkler und seinen Deal war, war laut Baar schon „eher unmusisch“, von „niederen Instinkten“ geleitet, irgendwie rechts und birnbacheresk (Birnbacher: Der ungeheuerliche Steuerberater Haiders, der mit dem 6-Millionen „Patriotenrabatt“; Anm. E.G.).

Man durfte laut Anna Baar aber auch den „kulturpolitischen Wahnsinn in der Türkei oder im Iran“ assoziieren. Und die Dichter? Alle, alle haben sie geschwiegen (aus Neid? Aus Missgunst? Aus Berechnung?), nur eine von uns hat nicht geschwiegen: Anna Baar hat nicht geschwiegen, obwohl sie damals keine ausgewiesene moralische Instanz, sondern noch eine ganz junge, ganz unbekannte Autorin mit einer EIN-Buch-Publikationsliste war. So allein im Wald, selber so hilfsbedürftig, und doch so eine Nibelungentreue, wie man sie seit den Nibelungen nicht mehr gelesen hat! Siehe, ich bin die Magd des Herrn!

Nüchtern betrachtet könnte man vielleicht meinen, mit ihrem fast alttestamentarischen Plädoyer für den Kunstsenatspräsidenten Josef Winkler habe die junge Anna Baar dem Kunstsenatspräsidenten Josef Winkler die Worte förmlich aus dem Mund genommen, er selbst hätte es nicht besser sagen können. Sie habe vor unser aller Augen einen von uns aus dem Pranger befreit, seine Menschenwürde wiedergegeben, die Wunden seiner Brandmarkung und Vorführung gesalbt und seine Ehre wiederhergestellt. Nüchtern betrachtet könnte man vielleicht meinen, nach einer solchen öffentlichen Josef Winkler-Verteidigungstirade könnte beim Kunstsenatspräsidenten Josef Winkler vielleicht Befangenheit vorliegen.

Aber es geht eben gerade darum, die Angelegenheit nicht nüchtern zu betrachten, denn widrigenfalls schlüge man sich auf die Seite aller Schelme und korrupten Bösewichte. Nein, nein, nur das nicht!

Ich glaube, Josef Winkler hat Anna Baars schöne Geschichte Das Schweigen der Dichter auch sehr gut gefallen, denn dann ging es los: Anna Baar bekam den „Sonderpreis des Landes Kärnten“ (Alleiniger Juror: Josef Winkler), Anna Baar bekam den „Humbert-Fink-Preis“ (einer von zwei Juroren: Josef Winkler) und so weiter…; Man liest es heraus: Der Literaturfunktionär Josef Winkler sitzt in etlichen Jurys, und zwar immer gleich ein ununterbrochenes Jahrzehnt lang und länger.

Zum Beispiel ist Josef Winkler schon über ein Jahrzehnt Juryvorsitzender des Lyrikwettbewerbs der Stadtwerke Klagenfurt. Wer jemals ein Gedicht von Josef Winkler selbst gelesen hat, der rufe jetzt ganz laut: „Hier!“ Nicht unpraktisch jedenfalls für die eigene Karriere, wenn man IHM gefällt. Aber wie macht man das bloß? Worüber schreibt man da? Und wie?

Schließlich berührte Josef Winkler, Präsident des Österreichischen Kunstsenats, Anna Baar wieder mit seinem Zauberstab, und er sprach: Siehe, der große Österreichische Staatspreis für Literatur, die höchste Kultur-Auszeichnung, die die Republik (auf Vorschlag des Österreichischen Kunstsenats) zu vergeben hat, geht nicht an Michael Köhlmeier, nicht an Robert Menasse, nicht an Christoph Ransmayr, nicht an Elfriede Jelinek, Margit Schreiner oder Barbara Frischmuth. Siehe, der große Österreichische Staatspreis für Literatur geht an: Anna Baar!

Da sank die Magd des Herrn auf die Knie und rief: „Ich fühle mich sehr geehrt!“ Und alle Gläubigen sanken mit ihr in die Knie und priesen den Herrn und riefen: „Sehet! Es ist ein Wunder geschehen!“ Und die Dichter schwiegen weiter; ich persönlich, weil ich der FPÖ keine Argumente liefern wollte…

Heute ist Anna Baar gerade einmal sieben Jahre am Markt und im Geschäft und hat sage und schreibe vier Buchpublikationen vorzuweisen: Also, von einem „Lebenswerk“ zu sprechen wäre vielleicht verfrüht. Sagen wir: Ein Lebensabschnittswerk.

Im Literaturland Kärnten durfte man das freilich nicht so sagen und keinen Verdacht äußern, denn außer Türkei, Iran, FPÖ wären einem wie ein bedingter Reflex Neid und Missgunst attestiert worden. Und man wäre – absurd und traurig, aber wahr – bedingt reflexartig auch explizit gefragt worden, was man denn „gegen Anna Baar habe, etwa dass sie eine Frau sei?“

Nun, wenn ich mich nicht sehr täusche, sind Elfriede Jelinek, Margit Schreiner, Lilian Faschinger, Monika Helfer, Waltraud Anna Mitgutsch, Marlene Streeruwitz oder Barbara Frischmuth auch Frauen…

Nur Klaus Nüchtern, Redakteur des Wiener Falter, ehemaliger Bachmannpreis-Jury-Vorsitzender und über jeden Verdacht erhaben, „bloß neidisch“, missgünstig oder rechts zu sein, brachte das alles, was wir längst wussten, aber fremdschämend verschwiegen, nüchtern an die Öffentlichkeit: Er nannte Dramatis Personae beim Namen, rümpfte die Nase über die „Mentor-Protegé-Dyade“ und konstatierte trocken: „Der Kunstsenat riecht etwas komisch. Löst ihn endlich auf!“

Sagt nicht: Freunderlwirtschaft, Hausmachtpolitik, Korruption. Sagt: Naheverhältnis, Synergieeffekte, Win-win-situation! Jetzt aber hat Schweigen keinen Sinn mehr!

Alsdann, Herr Präsident, trete zurück und nimm deinen Kunstsenatskrempel gleich mit! Wer in ganz Österreich braucht einen Österreichischen Kunstsenat? Du hast dem Ansehen der Kunst und des Kunstsenats Schaden zugefügt! Und du hast nicht einmal Anna Baar einen guten Dienst erwiesen! Schluss mit dem Literaturpreiskasperltheater!

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Egyd Gstättner

Egyd Gstättner (* 25. Mai 1962 in Klagenfurt) ist ein österreichischer Publizist und Schriftsteller. Egyd Gstättner studierte an der Universität Klagenfurt Philosophie, Psychologie, Pädagogik und Germanistik. Schon während des Studiums begann er mit Veröffentlichungen in Zeitschriften wie manuskripte, protokolle, Literatur und Kritik oder Wiener Journal. Seit seiner Sponsion 1989 lebt er als freier Schriftsteller in Klagenfurt, wo er zahlreiche Essays u. a. für die Süddeutsche Zeitung, Die Zeit, Die Presse, Falter, Kurier und Die Furche verfasste. Besonders bekannt wurde er im Süden Österreichs mit seinen Satiren in der Kleinen Zeitung. Darüber hinaus schrieb und gestaltete er Features für die Österreichischen Radioprogramme Ö1 und Radio Kärnten sowie für den Bayerischen Rundfunk.1993 wurde er zum Dr. phil. promoviert. 1990 erschien die erste eigenständige Buchpublikation („Herder, Frauendienst“ in der „Salzburger AV Edition“). Bis 2018 wurden insgesamt 34 Bücher Gstättners bei Zsolnay, Amalthea, in der Edition Atelier und seit 2008 im Picus Verlag Wien publiziert. Seit 2016 hat er einen zweiten Wohnsitz in Wien. Gstättner ist verheiratet und hat zwei erwachsene Töchter.

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