Egyd Gstättner
Reden ist Katzensilber.
Eine Rede
Mehrere Leser haben sich auf Egyd Gstättners amüsante Geschichte hin, warum Schriftstellerkollege Josef Winkler ihn nicht mehr grüßt, mit der Frage an schoepfblog gewandt, um welche Rede es sich dabei handele und weshalb sie vom Land Kärnten Schaden abgewendet habe. Um die Frage zu beantworten, hat Egyd Gstättner uns seine Rede übermittelt und zum Druck freigegeben. Herzlichen Dank an den Autor!
Sehr geehrte Damen und Herren!
Ich glaube, Josef Winkler hat als Vorredner beim Festakt zum 500Jahr-Neugründungsjubiläum der Stadt Klagenfurt das falsche Wort zur falschen Zeit am falschen Ort gesprochen, wenn auch mit voller Absicht.
Ich glaube, seine Rede hat ihr Thema verfehlt und war einfallslos. Alle ihre Inhalte sind Wiederholungen von Wiederholungen und etwa zehn Jahre alt, zusammengesetzt und wiedergekäut aus allen möglichen Reden und Texten, die alle schon mehrfach publiziert sind. Quo usque tandem, Josef?
Und es war äußerst unhöflich dem Hauptredner, dem großen Geistesmenschen Konrad Paul Liessmann gegenüber, seine Redezeit um mehr als das Doppelte zu überschreiten und damit das halbe Publikum aus dem Saal zu treiben. Der musste die verbliebene Publikumshälfte so begrüßen: „Ich verspreche Ihnen, meine Redezeit nicht zu überziehen und das Thema nicht zu verfehlen.“
Die Forderung nach einer Stadtbibliothek ist bald ein volles Jahrzehnt alt, und in diesen letzten zehn Jahren ist mir kein zweiter Schriftsteller, kein anderer Künstler oder Intellektueller untergekommen, der diese Forderung ebenfalls erhoben hätte. Und es gibt viele im Land. (Was jetzt noch nachgereicht würde, wäre bestellt).
Angekündigt war ein Stadtbibliotheks-Hungerstreik am Neuen Platz schon vor vier Jahren. Stattgefunden hat er nicht. Alle Leser, die ich gefragt habe, sind mit den existierenden Bibliotheken in der Stadt sehr zufrieden, manche kaufen sogar Bücher (und meine Bücher zu meiner Freude sogar viele). All die engagierten, fleißig, aber eingeschüchterten Bibliothekarinnen und Bibliothekare in Stadt und Land verrollen mittlerweile die Augen, wenn sie das Wort Stadtbibliothek bloß hören, aber sie schwören hoch und heilig, dass sie trotzdem weder nationalsozialistisch, noch faschistisch sind. Ja, die meisten wählen nicht einmal die soziale Heimatpartei.
So arm ist dieses Land wieder nicht, dass irgendjemand, der sich für Bücher interessiert, vor der Wahl Buch oder Brot stünde. Das ist Anti-Heimatkitsch. Ein öffentliches Anliegen ist eine offizielle Stadtbibliothek offenbar nicht. Quo usque tandem, Josef?
Das Stadion ist überdimensioniert wie der Eiffelturm oder der Dom zu Maria Saal, aber genau wie diese ist er kein Zweckbau, sondern ein Kunstwerk! Sic! Große Architektur! Große Kunst! (Und so nebenbei wird es auch genutzt wie vergleichbare Europäische Stadien.) Zwei Autostunden entfernt steht eine Stadt ähnlicher Größenordnung mit einem genauso großen Fußballstadion, und der sehr bedeutende, aber überaus bescheidene Büchnerpreisträger Walter Kappacher hat sich noch kein einziges Mal darüber beschwert.
Überhaupt: Büchnerpreis! Das ist DAS Killerargument, mit dem man eine Kleinstadt samt Bundesland rundherum ein Jahrzehnt lang gewissermaßen auf Knopfdruck ordentlich erpressen kann!
Wie sich Sportjournalisten zwangsläufig selber bedeutender fühlen, wenn sie statt von einem armseligen Regionalligaclub, der vor leeren Rängen spielt, von einem stolzen Bundesligisten berichten dürfen, auch wenn sie genau dieselben Phrasen und Stehsätze vom unmöglichen Winkel bis zur Brechstange und von der Schnittstelle bis zum Umschaltspiel verwenden, so sonnen sich auch die Institutionen, Kulturjournalisten, Kritiker, Wissenschaftler und, wenn`s grad passt, sogar Politiker im Glanz ihres Büchnerpreisträgers. Das ist ja viel bequemer so!
Beim geringsten Anfall inhaltlichen Zweifels: Einfach den Büchnerpreisknopf drücken! Schon schrillt die literarische Alarmanlage! Wer wird da nicht zugreifen – bei einem so sensationellen Angebot, mit so minimalem Aufwand maximal gebildet und versiert und kompetent zu sein? Ein Wort: BÜCHNERPREIS – erspart einem die Lektüre! Die mühsame Lektüre jedes einzelnen Buches! Die zähe, anödende, ja anwidernde Lektüre aller dieser Bücher, die einander alle gleichen, die ja nicht durch Komposition, sondern durch stereotype Eruption glänzen – nein, sie glänzen nicht, sie ätzen bloß; eigentlich will sie niemand lesen, nicht nur die nicht, deren Welt darin gegeißelt wird. Auch alle anderen nicht.
Aber das muss zum Glück auch gar nicht sein! Stattdessen gibt es zum Glück den: BÜCHNERPREIS. Zum Glück der Kulturamtslady gibt es den BÜCHNERPREIS: Da kann man nichts mehr falsch machen! Zum Glück der Literaturhausdirektorin gibt es einen: BÜCHNERPREIS! Zum Glück der Bürgermeisterin gibt es einen BÜCHNERPREIS! (Zum Unglück der Rechtspopulisten gibt es einen BÜCHNERPREIS! Deutsche Erfindung! Hart wie Kruppstahl!)
Für Franz Klammer: Olympiagold in Innsbruck. Für den Franz Klammer der Finsternis den: BÜCHNERPREIS! Man muss nicht selber die Franz-Klammer-Piste in Bad Kleinkirchheim herunterbretteln, um Franz Klammer zu ehren, unseren Kaiser Franz. Man muss nicht selber die Litaneien des Franz Klammer der Finsternis lesen, um JOWI zu ehren, unseren Heiligen Josef.
Statt einer Analyse, einer Interpretation, einer Auseinandersetzung, einer Erklärung, einer literarischen Debatte sagt man einfach: BÜCHNERPREIS! – und ist automatisch und unfehlbar auf der richtigen Seite! BÜCHNERPREIS – das Zauberwort auszusprechen dauert zwei Sekunden und erklärt alles.
BÜCHNERPREIS!, das ist die literarische Universalformel, das E=mc2 der Literatur, dagegen kein ordentliches Rechtsmittel zulässig. HÄNDE HOCH! BÜCHNERPREIS! KEINE WIDERREDE!
Und das Reizthema Haider, ach ja! Aber: Warum hier? Warum jetzt? Haider ist mittlerweile auch schon zehn Jahre tot. Wir haben keine blaue Regierung mehr, weder in der Stadt, noch im Land; die Gerichte arbeiten – langsam, aber doch – es gibt Regressforderungen gegen die Erben, Prozesse, Urteile, Inhaftierte.
Aber die Asche (bloß weil das Wort vor zehn Jahren so gut gewirkt hat) ins Gefängnis zu sperren und zu bewachen, das ist – mit Verlaub – präseniler Mumpitz. Was soll das bringen außer ein paar sehr billige Lacher von den sehr billigen Plätzen? Quo usque tandem?
Josef Winkler hätte – bei aller Wertschätzung – ein (brandgefährliches) Jahrzehnt lang (von 1999-2008) Zeit und Gelegenheit gehabt, Jörg Haider Widerrede zu bieten, Widerstand zu leisten und dessen Wirken und Wildern, seine Versprechen und Verbrechen zu seinen Lebzeiten während seiner 10jährigen Amtszeit anzuprangern und zu geißeln.
Ich habe in diesen 10 Jahren keine einzige Winkler-Rede gegen Haider vernommen, keinen einzigen Winkler-Essay gegen Haider gelesen, nicht ein einziges Winkler-Wort gegen Haider gehört.
Jetzt vernehme ich – bei aller Wertschätzung – mit wachsendem Unwillen das Kläffen eines Terriers, der auf verwesende Dobermänner losgeht.
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